BERLIN. Das Bundesinnenministerium hat Berichte als mißverständlich zurückgewiesen, nach denen möglicherweise deutlich mehr Menschen Opfer rechtsextremistischer Gewalt geworden sind, als bisher angenommen. Mehrere Medien hatten zuvor unter Berufung auf Untersuchungen der Sicherheitsbehörden berichtet, daß Rechtsextremisten seit der Wiedervereinigung bis zu 746 vollendete und versuchte Tötungsverbrechen begangen haben könnten. Bislang geht die Bundesregierung von 63 Todesopfern rechtsextremistischer Gewalt aus. Linke Medien und Organisationen nennen dagegen schon seit Jahren weit höhere Zahlen, da sie unter anderem auch Beziehungstaten oder Streit zwischen Betrunkenen in ihre Liste mit aufnehmen.
Hintergrund des aktuellen Streits sind Zwischenergebnisse einer neuen Untersuchung durch die Sicherheitsbehörden. Unter dem Eindruck der dem NSU zugeschriebenen Mordserie hatte das Innenministerium Ende 2011 das Bundeskriminalamt beauftragt, bislang ungeklärte Tötungsdelikte auf einen möglichen rechtsextremistischen Tathintergrund zu überprüfen. Anhand von Kriterien wie Nationalität, Volkszugehörigkeit, Hautfarbe, Religion oder sexuelle Orientierung des Opfers seien von den 3.300 zwischen 1990 und 2011 begangenen ungeklärten Tötungsdelikten 746 Fälle übriggeblieben, bei denen ein rechter Tathintergrund nicht ausgeschlossen werden kann, teilte das Bundesinnenministerium mit. Diese Fälle werden derzeit im Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus (GAR) untersucht.
„Exit“-Chef Wagner sieht sich bestätigt
„Über den tatsächlichen politisch motivierten Hintergrund der Fälle oder dessen wahrscheinliches Vorliegen ist damit noch in keinem Fall eine Aussage getroffen“, stellte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Donnerstag klar. Die 746 Fälle seien lediglich Grundlage für eine nun folgende eingehendere, kriminalistisch-analytische Aufbereitung und Einzelfallbetrachtung. Ob sich die bislang von den Behörden genannte Zahl von 63 Todesopfern am Ende der Untersuchungen tatsächlich erhöhen wird, lasse sich derzeit noch nicht sagen.
Der Gründer des Aussteigerprogramms „Exit“, Bernd Wagner, sieht sich durch die vorläufigen Zahlen über mögliche Opfer rechtsextremistischer Gewalt dagegen bereits bestätigt. „Die politische Führung hat es immer sehr gerne gesehen, die Zahlen niedrig zu halten“, behauptete Wagner in der Berliner Zeitung. (ms)