Am 5. Oktober 2008 fanden in Bosnien-Herzegowina Kommunalwahlen statt. Über 29.000 Kandidaten von 280 Parteien, Bündnissen oder Wählergruppen bewarben sich dabei um die etwa 3.200 Gemeinderatsposten. Wahlberechtigt waren mehr als drei Millionen Bürger, der Urnengang wurde von 1.049 einheimischen und ausländischen Wahlbeobachtern überwacht.
Die Wahlen verliefen friedlich – in den beiden Teilen der EU-kontrollierten früheren jugoslawischen Teilrepublik: Der von Serben kontrollierten Republika Srpska (RS) sowie der in Kantone aufgeteilten Föderation Bosnien und Herzegowina, die mehrheitlich von muslimischen Bosniaken und katholischen Kroaten bewohnt wird.
Die bisher größten Parteien, die bosniakisch-muslimische Partei der Demokratischen Aktion (SDA) von Sulejman Tihić und der serbisch-nationale Bund der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) des Premiers der Republika Srpska, Milorad Dodik, haben dabei ihre Positionen weiter gefestigt. Auch die stärkste Partei der dritten Volksgruppe, die Kroatische Demokratische Gemeinschaft Bosnien-Herzegowinas (HDZBiH) von Dragan Čović, konnte ihre Stellung ausbauen.
Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft
Die vom Westen unterstützte postkommunistisch-multiethnische Sozialdemokratische Partei (SDP) des früheren Außenministers Zlatko Lagumdžija verlor hingegen einige Bürgermeisterposten, ebenso wie die gleichfalls als multiethnisch geltende Partei für Bosnien und Herzegowina (SBiH) des Vorsitzenden des bosnischen Staatspräsidiums, Haris Silajdžić.
Vorige Woche verabschiedete das RS-Parlament in Banja Luka eine Resolution, wonach das Amt des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina in ein Beratungsgremium umgewandelt werden soll. Dieses Gremium könne dem Land den Weg in die EU ebnen. Das Amt des Hohen Repräsentanten bekleidet derzeit der slowakische Diplomat Miroslav Lajčák. Bis 2007 war der CDU-Politiker Christian Schwarz-Schilling verantwortlich für die Überwachung des Friedensabkommens von Dayton, das 1995 nach dem Jugoslawien-Krieg Bosnien-Herzegowina als souveränen und ungeteilten Staat festschrieb.
Herr Dodik, Sie sind der eigentliche Gewinner der jüngsten Kommunalwahlen. Hat Sie das gute Wahlergebnis für ihre SNSD überrascht?
Dodik: Ich war überzeugt, daß die Bürger meiner Politik Vertrauen schenken werden, dennoch bin ich angenehm überrascht, daß wir mit so einer satten Mehrheit gewonnen haben.
Ihre Position als Ministerpräsident der Republika Srpska wird nun noch stärker. Bedeutet das nicht auch, daß Bosnien-Herzegowina jetzt noch mehr von Ihnen abhängig wird? Das Funktionieren oder Scheitern des komplizierten Staates liegt jetzt in Ihren Händen.
Dodik: Das ist vielleicht etwas übertrieben. Aber ich habe wiederholt vor den groben Einmischungen des Westens in die inneren Angelegenheiten des Landes gewarnt. Langfristig kann diese Politik keine Stabilität bringen.
„Das war ein klarer Bruch von internationalen Verträgen“
Sie sorgten vor einiger Zeit für internationales Aufsehen, als Sie verkündeten, die Republika Srpska zur staatlichen Unabhängigkeit führen zu wollen. Viele westliche Beobachter befürchteten, daß solche Erklärungen die Stabilität Bosniens gefährden könnten.
Dodik: Meine Erklärungen erschließen sich nur, wenn man sie vollständig und richtig zitiert. Ich habe zu einer Zeit darüber gesprochen, als die meisten EU-Länder und die USA die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt haben. Das war ein klarer Bruch von gültigen internationalen Verträgen und Völkerrechtsnormen. Die Anerkennung des Kosovo wurde auch nicht von der Uno sanktioniert.
Die Befürworter haben dabei unermüdlich wiederholt, daß es sich im Fall Kosovo um eine Ausnahme handele. Keiner hat aber bis jetzt überzeugend erklärt, worin diese Ausnahme besteht. Erst seit dem 8. August dieses Jahres, dem Beginn des neuen Georgien-Krieges, beginnen viele Politiker zu zweifeln, ob das wirklich so klug war, das Kosovo anzuerkennen. Die Frage ist: Wieso Kosovo und nicht Südossetien? Und warum nicht Abchasien und Korsika?
Übrigens nicht einmal ein Drittel der UN-Mitglieder hat bislang das Kosovo anerkannt. Daß die Weltgemeinschaft hinter der Anerkennung steht –davon kann keine Rede sein! Aber zurück zur Ihrer Frage: Ich unterstütze den Vertrag von Dayton. Kein Politiker in der Republika Srpska stellt diesen Vertrag in Frage. Ich unterstütze auch den internationalen Status Bosniens.
Angenommen, daß es dennoch zu einem Unabhängigkeitsreferendum in der RS kommt – wie würde es Ihrer Meinung nach ausfallen?
Dodik: In der Republika Srpska haben viele Politiker einige Schwierigkeiten, ihren Wählern zu erklären, wieso das Kosovo oder Montenegro das Recht hatten, ein Referendum zu organisieren und die RS nicht. In Montenegro reichte eine einfache Mehrheit; und das Ergebnis war zudem sehr knapp. Die notwendige 55-Prozent-Mehrheit für die Trennung vom Bund mit Serbien wurde gerademal um einen halben Prozentpunkt überschritten.
Das ist sehr ungewöhnlich für so ein wichtiges Referendum. Es ist international üblich, daß man Zwei-Drittel-Mehrheiten verlangt. Hätten wir in der Republika Srpska ein Referendum, dann würden nach meiner Überzeugung etwa 90 Prozent für die Unabhängigkeit stimmen. Also bei weitem mehr, als es im Fall Montenegro waren.
„Es handelt sich um eine Art Selbstverteidigung“
Ihre Position klingt eigentlich „politisch korrekt“. Wo liegt denn dann das Mißverständnis mit dem Westen?
Dodik: Wir, die verantwortlichen Politiker der RS, haben das Recht, über unsere Position innerhalb Bosniens selbst zu entscheiden. Ich will aber keine Konfrontation, keine Verschärfung der Lage schüren. Meine Ansicht, es könne in der RS zu einem Referendum über den künftigen Status kommen, war keine Drohung. Sie wurde in einer Situation geäußert, als das Kosovo von Washington und Brüssel anerkannt wurde.
Und sie war mehr noch als Reaktion auf die Äußerungen gewisser bosnisch-muslimischer Kreise in Sarajevo gedacht. Es handelt sich um eine Art Selbstverteidigung der RS und des Dayton-Vertrages. Es war eine Antwort auf die Versuche muslimischer Politiker, die Republika Srpska wieder von der Landkarte verschwinden zu lassen. In den Augen vieler bosnisch-muslimischer Politiker entstand die RS durch die Vertreibung von Bosniaken (Muslimen) und Kroaten. Das stimmt nicht. Die Politiker in Sarajevo wurden dabei leider von einigen westlichen Ländern unterstützt.
Wie sehen Sie denn die Zukunft des Landes?
Dodik: Eine gute und langfristige Lösung ist nur dann möglich, wenn die Menschen, die im Lande leben, diesen Staat auch unterstützten. Für die Zukunft Bosniens ist dies das Wichtigste. Das muß man respektieren. Wenn das Land nur von Washington oder einigen der EU-Länder regiert wird, ohne sich um die Stimmen der Bevölkerung Bosniens zu kümmern, dann ist das kein gutes Omen für die Zukunft des Landes.
Alle drei Völker in Bosnien müssen das Gefühl haben, daß sie vom Westen als gleichberechtigt behandelt werden. Die große Mehrheit der Serben in Bosnien hat leider den Eindruck, daß seit dem Dayton- Vertrag 1995 die USA und die EU fast immer Entscheidungen trafen, die gegen die Interessen der Serben gerichtet waren.
Brüssel befürwortet eine EU-Integration Bosniens und beschwert sich, daß die Republika Srpska hierbei eine Blockadepolitik betreibt.
Dodik: Das stimmt nicht! Viele Politiker in Sarajevo – aber auch im Westen –betreiben die EU-Integration Bosniens in einer Art und Weise, die praktisch zur Abschaffung der Republika Srpska führt. Das werden wir selbstverständlich nicht akzeptieren. Diese Tendenz ist auch gegen den Geist des Vertrages von Dayton und gegen den Willen der Serben. Aber auch die Kroaten sind mehr und mehr unzufrieden mit ihrer Lage in Bosnien.
„Wirtschaftlich geht es uns besser“
Wie ist es eigentlich um die wirtschaftliche und politische Lage in der Republika Srpska bestellt?
Dodik: Die Republika Srpska zählt heute zu den politisch stabilsten Subjekten in der Region. Wirtschaftlich geht es uns besser als zum Beispiel dem muslimisch-kroatischen Teil von Bosnien, Montenegro, Mazedonien oder sogar Serbien.
Wie steht es um die Rückkehr der vertriebenen Bevölkerung und um ihr Eigentum?
Dodik: Die RS hat 99 Prozent der Eigentumsfragen positiv beantwortet. Die Föderation Bosnien und Herzegowina hat in dieser Frage bei weitem nicht solch gute Ergebnisse aufzuweisen. Dasselbe gilt auch für die Rückkehr der Bevölkerung. Hier haben wir eine interessante Situation. Viele bosnische Muslime und Kroaten ließen sich ihre Häuser mit Hilfe von EU-Geldern erneuern oder ganz neu errichten.
Wenn die Häuser in der Republika Srspka liegen, dann verkaufen sie ihre Häuser an Serben. Mit dem Geld kaufen oder bauen die Muslime neue Häuser in der Föderation. Und Kroaten gehen oft nach Kroatien. Warum? Weil allen Kroaten noch in der Zeit von Präsident Franjo Tuđman kroatische Pässe gegeben wurden.
Da inzwischen Kroatien wirtschaftlich attraktiver ist als Bosnien, verlassen viele Kroaten für immer ihre alte Heimat. Das verursacht ein ernstes Problem. Wir sind Zeugen einer Art „ethnischen Säuberung“ in friedlichen Zeiten, verursacht durch das wirtschaftliche Gefälle zwischen Kroatien und Bosnien. 1995 lebten in Bosnien 17 Prozent Kroaten. Inzwischen sind es schon weniger als zwölf Prozent.
Herr Dodik, im Bosnien-Krieg (1992 bis 1995) spielten Sie keine wichtige Rolle. Sie standen sogar in Opposition zum damaligen RS-Präsidenten Radovan Karadžić, der seit Juli dieses Jahres im Gefängnistrakt des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (TPIY) in Den Haag einsitzt. Viele der heutigen muslimischen und kroatischen Politiker haben hingegen schon während des Bosnien-Krieges nicht immer rühmliche Rollen gespielt. Ist diese Tatsache heute von Vorteil für Sie und zugleich für die RS?
Dodik: Sicher kann ich dadurch mehr für die Republika Srpska erreichen. Aber ich verheimliche nicht, daß ich die Karadžić-Nachfolgerin Biljana Plavšić mehrmals im Haager Gefängnis besucht habe. Sie wurde im Februar 2003 zu elf Jahren Haft verurteilt. Sie ist eine 78jährige Frau, Professorin für Biologie. Sie hat sich im Krieg nur mit humanitären Fragen beschäftigt. Auf der anderen Seite gibt es den Fall Rasim Delić, er war von 1993 bis 1995 Oberkommandierender der bosnischen Armee.
Er wurde vom TPIY beschuldigt, für den Tod von hunderten serbischen Gefangenen, darunter Frauen und Kinder, verantwortlich zu sein. Der 58jährige Delić erhielt nur drei Jahre Haft. Und Naser Orić, von 1992 bis 1995 Militärchef der ostbosnischen Stadt Srebrenica, der sich vor ausländischen Journalisten damit brüstete, mit eigenen Händen viele Serben getötet zu haben, wurde sogar vom Haager Tribunal freigesprochen.
„Die RS hat etwa 1,4 Millionen Einwohner“
Ist die Republika Srpska wirklich eine serbische Republik?
Dodik: Die RS hat etwa 1,4 Millionen Einwohner. 85 Prozent davon sind Serben, zehn Prozent Muslime und fünf Prozent Kroaten. In meiner Regierung aber sind acht Minister Serben, fünf Muslime und drei sind Kroaten.
Das überrascht.
Dodik: Diese für Serben nachteilige Zusammensetzung ist durch die Intervention des österreichischen Diplomaten Wolfgang Petritsch (SPÖ) entstanden. Als Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina leitete er von 1999 bis 2002 die zivile Umsetzung des Friedensvertrags von Dayton. Der begründete seine Entscheidung mit dem letzten Bevölkerungszensus von 1991. Doch die Zahlen sind nie verifiziert worden.
Wir fragten damals: Warum berücksichtigt man nicht die Bevölkerungszahlen von vor dem Zweiten Weltkrieg? Alle bekannten Statistiken – angefangen von denen der k.u.k-Monarchie des Jahres 1910 bis zum jugoslawischen Zensus von 1939 – zeigen, daß die größte Bevölkerungsgruppe in Bosnien-Herzegowina die Serben waren. Erst mit dem Völkermord an Serben durch die Kroaten im Zweiten Weltkrieg sind die Serben zur zweitstärksten Gruppe in Bosnien abgesunken.
Nach der Meinung eines deutsch-österreichischen Diplomaten, der im Zweiten Weltkrieg für den Balkan zuständig war (Hermann Neubacher: Sonderauftrag Südost 1940 – 1945. Bericht eines fliegenden Diplomaten. Musterschmidt Verlag, Göttingen 1956), wurden 750.000 Serben von den Kroaten umgebracht. Und hier liegt das größte Unrecht des Dayton-Vertrages: Man hat diesen Bevölkerungsverlust der Serben völlig außer acht gelassen.
Viele Kroaten bestreiten diese Zahlen – aber auch die Menschenverluste des Krieges in Jugoslawien von 1991 bis 1995 sind umstritten. Wie viele Kriegstote gab es eigentlich in Bosnien in diesem Zeitraum?
Dodik: Smail Čekić, ein Muslim und Direktor des Instituts für Genozidforschung und Völkerrecht an der Universität Sarajevo, spricht von etwa 96.000 Toten. Hinter dieser Zahl verbergen sich 29.000 Serben und 14.000 Kroaten, der Rest sind die muslimischen Verluste. Die hauptsächlich von Skandinavien finanzierte Nichtregierungsorganisation IDC hat die gleichen Zahlen dokumentiert. Ich glaube, dies ist ziemlich realistisch und entspricht genau der Proportion der ethnischen Gruppen in Bosnien.
Einige im Westen sprachen aber anfangs von 300.000 Toten, die Opfer eines „serbischen Völkermords“ waren, doch das hat offensichtlich mit der Realität nicht viel zu tun. Völkermord gab es, aber im Zweiten Weltkrieg an den über 750.000 Serben. Davon leider spricht keiner. Deswegen spricht auch viel dafür, daß es in Bosnien so schnell wie möglich zu einem neuen Zensus der Bevölkerung kommt. Dagegen ist die Regierung in Sarajevo.
„Die Aufklärung versuchen nicht nur Politiker in Sarajevo zu verhindern“
Warum?
Dodik: Weil man dann feststellen wird, daß es in Bosnien nicht den behaupteten Völkermord gab, weil es dann plötzlich viel mehr Muslime in Bosnien gibt als vor 1992, dem Beginn des Bürgerkrieges. Damit ist dann auch der Mythos von den bosnischen Muslimen als den einzigen Opfern des Krieges hinfällig. Keiner ist in Bosnien heute so sehr interessiert daran, daß es zu einer restlosen Aufklärung der Zahl der Toten kommt, wie wir Serben.
Die Aufklärung versuchen nicht nur die Politiker in Sarajevo zu verhindern, sondern leider auch einige westliche Länder. Der nächste Zensus soll erst 2011 stattfinden. Die muslimische Seite hat dabei vorgeschlagen, daß es die Rubrik „Nationalität“ nicht mehr geben soll. Wir sind dagegen. Aber warum hat Sarajevo davor Angst? Weil die bosnischen Muslime dann wahrscheinlich die absolute Mehrheit der Bevölkerung darstellen werden. Aber das ist natürlich nicht zu vereinbaren mit der Geschichte vom Völkermord an den bosnischen Muslimen.
Aber es gab doch 1995 das Massaker von Srebrenica, das durch die Uno-Gerichte als Völkermord eingeordnet wurde?
Dodik: In Srebrenica wurden von 1992 bis 1995 zunächst zirka 3.500 Serben umgebracht. Davon nahmen westliche Medien kaum eine Notiz. Als serbische Truppen im Juli 1995 die Stadt eroberten, gab es von der serbischen Seite schwere Kriegsverbrechen. Aber das ist kein Völkermord. In einem holländischen Bericht spricht man von einer einzigen Frau, die umgebracht wurde und von keinem toten Kind. Die Zahl von 8.000 Toten hat, so viel ich weiß, bislang keiner bewiesen.
Ich will mich aber nicht in das Spiel mit den Zahlen einlassen. Ich sage, daß das ein schweres Kriegsverbrechen war, was einige serbische Militäreinheiten begangen haben, wobei aber immer noch vieles unklar ist. Eines scheint, so weit ich weiß, festzustehen: Keiner der serbischen Kommandnaten oder Politiker, weder General Ratko Mladić noch Präsident Radovan Karadžić, haben einen Befehl gegeben, die gefangenen Muslime in Srebrenica zu töten.
Das sieht der Haager Gerichtshof anders. Aber zu einem weiteren Thema: Wie steht es um die Beziehungen zwischen der Republik Serbien und ihrer RS?
Dodik: Die sind gut. Ich persönlich bin ein bißchen enttäuscht von der lauwarmen Antwort aus Belgrad an Brüssel, nachdem die EU – wegen des niederländischen Vetos – den Vorvertrag für die EU-Kandidatur Serbiens vorerst abgelehnt hat. Ich erwartete, daß die serbische Regierung mehr Selbstachtung zeigen würde. Denn wenn man sich selbst nicht achtet, kann man das schwer von anderen erwarten.
„Das Problem ist nicht Banja Luka sondern Sarajevo“
Wo sehen Sie das Hauptproblem in Bosnien?
Dodik: Das Problem ist nicht Banja Luka sondern Sarajevo. Das sind vor allem Politiker wie Haris Silajdžić und Sulejman Tihić. Sie wollen ein Land, in dem die Muslime herrschen. Wir arbeiten sehr gut mit den Muslimen und Kroaten aus Banja Luka zusammen. Das wirkliche Problem ist der immer größere Einfluß des Islam in Bosnien und unter den politischen Parteien in Sarajevo.
Hier meine ich vor allem Mustafa Cerić, den Großmufti von Bosnien-Herzegowina. Ich habe manchmal den Eindruck, daß er der eigentliche Führer der bosnischen Muslime ist. Silajdžić, Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina, ist offensichtlich nur eine Art Sprecher von Cerić. Mir fällt zudem auf, daß Silajdžić viel Unterstützung aus Washington und London erhält.
Wenn man Ihre Reden vor sieben oder acht Jahren liest und sie mit Ihren heutigen Ansichten vergleicht, dann finden sich ziemlich große Unterschiede.
Dodik: Das stimmt. Wir, die verantwortlichen Politiker in der Republika Srpska, sind reifer geworden. Wir werden keinen groben politischen Fehler mehr machen. Wir wissen, wo unsere Möglichkeiten und Grenzen liegen.
Wie sehen Sie die Zukunft des Kosovo?
Dodik: Ich glaube, daß die einzige langfristige Lösung in einer Teilung der Region besteht. Für Serbien ist es einfach nicht möglich und auch nicht gut, etwa zwei Millionen Albaner im eigenen Staat zu behalten.
„Ich verstehe die Lage dieser Menschen sehr gut“
Was halten Sie von den zahlreichen EU-Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die in Sarajevo ihren Sitz haben?
Dodik: Viele der dort beschäftigten Leute erhalten monatlich unglaublich große Gehälter. Mitunter 20.000 bis 60.000 Euro pro Monat! Das sind enorme Summen, die ein Durchschnittsbürger – nicht nur in Bosnien – kaum fassen kann. Ich verstehe aber die Lage dieser Menschen sehr gut. Ihr Interesse ist natürlich, daß sie weiter solche Gehälter erhalten. Um dies zu sichern, malen sie die politische Lage in Bosnien mit sehr düsteren Farben. Ihre alarmierenden und teilweise frisierten Berichte schicken sie dann nach Brüssel oder New York in der Hoffnung, daß sie weiter ihre Privilegien behalten können.
Das sind schwere Vorwürfe. Aber wie steht es um die Realwirtschaft? Gibt es da auch ausländische Investitionen?
Dodik: Nach dem Dayton-Abkommen hatte die bosniakisch-kroatische Föderation Bosnien und Herzegowina in dieser Beziehung einen großen Vorteil. Aber in den letzten drei, vier Jahren haben wir eine ganz andere Situation. Die RS erhält jetzt mehr ausländische Investitionen als die Föderation. Durch unsere attraktive Steuerpolitik verlegen inzwischen sogar viele muslimische Firmen aus Sarajevo ihren Sitz zu uns in die RS.
Auch russische Investitionen werden immer bedeutender für uns. Diese Investoren sind willkommener, weil Moskau, im Unterschied zu dem Westen, uns keine politischen Bedingungen auferlegt. Die Russen erpressen uns nicht mit ihrem Kapital. Das kann man leider über manche westliche Regierung nicht sagen.
Was halten Sie von der EU?
Dodik: Ich war ein starker EU-Befürworter und Europa-Optimist. Heute bin ich in dieser Frage vorsichtiger geworden – ich bin eher ein EU-Pessimist.
Milorad Dodik, Jahrgang 1959, stammt aus der serbischen Stadt Laktaši im Norden Bosniens, die einst zur k.u.k.-Monarchie gehörte. Er studierte an der Universität Belgrad Politikwissenschaft und war ab 1986 Präsident des Stadtrats von Laktaši. 1990 wurde er bei den ersten freien Parlamentswahlen in der jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina als Kandidat des Bundes der Reformkräfte Jugoslawiens (SRSJ) ins Landesparlament gewählt.
1996 gründete er die Partei der unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD), deren Vorsitzender er seither ist. Von 1998 bis 2001 war er erstmals Regierungschef der Republika Srpska, 2006 kehrte Dodik in dieses Amt zurück.