Einst drohten die Grünen als Anhängsel der SPD unterzugehen – jetzt sucht die Hamburger CDU ihr Heil als Mehrheitsbeschaffer für die „Grün-Alternative Liste“. Der erste schwarz-grüne Bündnisvertrag auf Landesebene erlaubt einen tiefen Blick ins geistige Elend einer vor langer Zeit mal konservativen einstigen Volkspartei, die vor lauter Beweglichkeit drauf und dran ist, sich selbst überflüssig zu machen.
Grün-Schwarz wäre das treffendere Kürzel. Denn die Linksalternativen geben die Marschrichtung vor, die Union hat allenfalls ein paar lobbyfreundliche Akzente draufgesetzt. Selbst nach der wohlwollenden Zählung des Springer-Flaggschiffs Welt haben sich die Grünen in den Verhandlungen mit 7 : 2 durchgesetzt.
Dabei wird noch als „unentschieden“ ausgeklammert, wo die CDU schon vorher zwecks Eheanbahnung freiwillig umgefallen ist: die Einführung der sechsjährigen Primarschule etwa als Einstieg in die sozialistische Einheitsschule für alle.
Zahlreiche neue Bausstellen
„Die völlige Bildungsverflachung ist der Preis für die Elbvertiefung“ – der FAZ-Spott trifft den Kern des Hamburger CDU-Desasters. Schön wäre es ja, wenn aus „Kohle von Beust“ (Grünen-Wahlkampf) nur „Öko von Beust“ (Bild) geworden wäre. Gefangen in der fixen Idee, mit der ersten CDU-Grünen-Koalition in einem Bundesland eine Fußnote in der Geschichte der Bundesrepublik zu erobern, haben Ole von Beust und die Hamburger CDU alles für verhandelbar erklärt und auch so verhandelt.
Mit dem Ergebnis, daß die Grün-Alternative Liste, einst linksextreme Speerspitze der Grünen-Bewegung, nun mit freundlicher Genehmigung der CDU ihr Projekt eines radikalen Gesellschaftsumbaus auf zahlreichen Baustellen weiter vorantreiben kann. Dagegen hat die CDU den Grünen gerade mal ein paar Zugeständnisse bei verkehrspolitischen Infrastrukturprojekten abhandeln können, die sie sich noch dazu – Stichwort „ökologischer Ausgleichsfonds“ – mit weiteren Subventionen für ihre Klientel gut bezahlen ließen.
Die Verhandlungs-„Erfolge“ der Union beschränken sich auf technokratische Fragen, die man heute so und morgen anders entscheiden kann, die aber das Gesicht der Republik nicht fundamental und dauerhaft verändern. Das überläßt die CDU den Grün-Alternativen. Die Wirtschafts- und Industrielobbyisten mag es beruhigen, wenn die Elbe ausgebaggert und das Straßennetz erweitert wird.
Zwanzigprozentige Einwandererquote für Auszubildende
Ihnen ist vermutlich egal oder sogar ganz recht, wenn in Hamburg unter Grün-Schwarz künftig die Homosexuellen-Lobby offen „Aufklärung“ an den Schulen und in einem neu einzurichtenden „Jugendzentrum“ betreiben darf, wenn ein CDU-Bürgermeister die Schwulen-Fahne vor dem Rathaus hißt und die „GayGames“ nach Hamburg holt, wenn ein CDU-geführter Senat eine zwanzigprozentige Einwandererquote für Auszubildende beim Land anstrebt und generell den „Migranten“-Anteil im öffentlichen Dienst und bei den Bildungsberufen anheben und die Einbürgerung beschleunigen will.
Bei den CDU-Wählern wird sich dagegen schon so mancher fragen, wofür er am Wahltag seine Stimme abgegeben hat. Der Blick auf die Bundesebene bietet freilich auch keinen Trost. Beust ist bloß der Minenhund, der Rest der Meute folgt nach. Die Dementis, „auf Bundesebene“ sei Schwarz-Grün „keine Option“, sind nur Wählerberuhigung auf Zeit. Denn die CDU hat keinen konservativen Gegenentwurf zum Staats-, Gesellschafts- und Menschenbild der 68er-Generationenpartei.
Was aus CDU-Sicht gegen eine schwarz-grüne Koalition im Bund spricht, ist nicht etwa die Haltung der Grünen zu Familie, Ehe und zum ungeborenen Leben, nicht die Forderungen der Grünen zu Einwanderung, Volk und Staatsbürgerschaft, nicht ihre Einstellung zu den Traditionen und Werten, die ein Gemeinwesen zusammenhalten – nein, in der Energiepolitik seien CDU und Grüne derzeit einfach zu weit auseinander, verkünden Bundestagsfrak- tionschef Volker Kauder und der CSU-Vorsitzende Erwin Huber im Gleichklang.
Die Union hat sich in eine Sackgasse manövriert
Mit einer Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden, die mit ihrem Klimaschutz-Verbalradikalismus so manche sockenstrickende und jesuslatschentragende Ur-Grüne in den Schatten stellt, kann das kein Problem auf Dauer sein.
Ihre inhaltliche Indifferenz hat die Union in eine Sackgasse manövriert, aus der sie sich durch potenzierte Indifferenz zu befreien sucht. Das strategische Dilemma ist selbstverschuldet. In ihrem Bestreben, bloß nicht bei den linksgewirkten Meinungsmachern anzuecken, hat sie eifrig beim „antifaschistisch“ verkleideten Niederschlagen aller Gewächse rechts der Mitte mitgemacht, während links der Mitte immer neue Blüten sprossen und die kulturelle Hegemonie der Linken ihr die sicher geglaubten Stammwählermilieus entzog.
Man mag ja die gesinnungsfreie Wendigkeit bewundern, mit der die CDU sich als Vollstrecker der 68er-Kulturrevolution selbst aus dem Sumpf ziehen will, mit der ein Roland Koch den eben noch als Erzfeind bekämpften Grünen-Vorsitzenden umwirbt, damit er ihm den Ministerpräsidentensessel rettet.
Die Preisfrage aber lautet: Gehen die enttäuschten Konservativen alle unter die Nichtwähler, oder formiert sich aus dem anwachsenden Heer der enttäuschten Konservativen eine neue politische Kraft rechts von den Grün-Schwarzen – wenn nicht jetzt, wann dann?