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BERLIN. Der evangelische Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer hat vor „Neonazi-Realität“ und Ostalgie in den neuen Bundesländern gewarnt. Der Pfarrer, der mit einer indischstämmigen Deutschen verheiratet ist und mit dieser gemeinsam fünf Kinder hat, war in den vergangenen Wochen deutschlandweit bekannt geworden, da seine Familie sich gezwungen sah, aus dem thüringischen Rudolstadt ins Rheinland zu ziehen. Neuschäfer begründete den Entschluß mit fremdenfeindlichen Angriffen und rassistischen Anfeindungen.
So sei seine Frau in einigen Geschäften wegen ihrer dunklen Hautfarbe nicht bedient worden und habe sich im Supermarkt Sprüche wie „Jemand wie dich hätte man früher zwangssterilisiert“ anhören müssen. Sein Sohn habe im Kindergartenalter sogar versucht, sich mit einer Nagelbürste seine „braune Haut“ abzuschrubben, weil ihn die anderen Kinder deshalb nicht mochten.
In der Welt sagte Neuschäfer nun, er werde, nachdem er mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen sei, als Nestbeschmutzer angesehen. Es gebe seiner Ansicht nach aber in den neuen Bundesländern nicht nur eine „Neonazi-Realität“, sondern auch eine „Neo-Ostalgie“. Dieses „Früher war alles besser“ produziere eine Sehnsucht nach dem Kollektiv und Angst vor allem Fremden.
„Man müßte ganz Ostdeutschland als No-Go-Area bezeichnen“
Auf die Frage, ob Rudolstadt ein „No-Go Area“ sei, antwortete Neuschäfer, eine andere mitteldeutsche Pastorin habe ihm gesagt, man müsse „ganz Ostdeutschland als No-Go-Area bezeichnen“.
Unterdessen gibt es zu dem Vorfall auf der Internetseite der Stadt eine Stellungnahme des Organisationskomitees des „Tanz- und Folklorefestival Rudolstadt“, eines seit vielen Jahren stattfindenen international anerkannten Musikfestivals mit über 1.000 Künstlern aus aller Welt.
Das Komitee bedauert darin den Fortzug der Familie Neuschäfer. „Über den Anteil am Verhalten der Familie an der nicht geglückten Integration” wolle man allerdings nicht spekulieren und wünsche der Familie viel Glück für die Zukunft. Eine Kollektivhaftung für eine ganze Stadt und Region weise man jedoch entschieden zurück. Daher appellierten die Verantwortlichen an die Journalisten, „künftig fair und differenziert gegenüber allen Betroffenen zu recherchieren und zu berichten“.
Der Unmut der Rudolstädter wächst
Derweil wächst auch der Unmut gegen Neuschäfers Pauschalvorwurf der Fremdenfeindlichkeit. Die Familie Neuschäfer sei freundschaftlich aufgenommen worden, sagte der Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rudolstädter Stadtrat, Hans-Heinrich Tschoepke, in der Ostthüringer Zeitung.
„Wir haben Frau Neuschäfer ganz konkret Hilfe angeboten, indem wir vorgeschlagen haben, daß Freunde mit zum Einkaufen und auf den Spielplatz gehen. Darauf ist sie nicht eingegangen“, sagte Tschoepke.
Seiner Ansicht nach seien Neuschäfers Darstellungen eine Kampagne gegen den Osten: Fremdenfeindlichkeit als Folge der DDR-Vergangenheit. Die Ostthüringer Zeitung mahnte daher auch in einem Kommentar, genauer hinzusehen.
Die Wirklichkeit vor Ort sei oftmals differenzierter als in den Medien dargestellt. Sebnitz, Mölln, Potsdam, Mittweida oder Mügeln. „So mancher Bundes-Politiker, der seinen Empörungsreflex nicht beherrscht, mußte zurückrudern.“ Sicherlich gebe es auch in Rudolstadt Fremdenfeindlichkeit. Diese habe aber, genau wie die Stadt selber, viele Gesichter und fange bei kleinen Dingen an, die aus der Distanz eine unwirkliche Größe annehmen könnten.