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Syrien: Rote Linie überschritten

Syrien: Rote Linie überschritten

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Syrien
 

Rote Linie überschritten

Trotz Kritik in der Heimat wagen sich Mitarbeiter von Flüchtlingshelfer Rupert Neudeck sogar jetzt noch ins umkämpfte Syrien. Über die Bedingungen seiner Arbeit berichtete Neudeck auf einer Pressekonferenz. Und darüber, wie positiv sich der Bundeswehreinsatz in der Südtürkei für die Flüchtlinge auswirkt.
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Rupert Neudeck und Bassam Helou bei der DAG Foto: Billy Six

„Ich möchte nie mehr feige sein“, sagt Dr. Rupert Neudeck (73), Gründer der Hilfsorganisationen „Cap Anamur“ und „Grünhelme“. 1979 stellte der frühere Jesuit und promovierte Philosoph dies erstmals unter Beweis, als er Tausende Südvietnamesen aus dem Chinesischen Meer fischte, die sich vor den Kommunisten in Sicherheit zu bringen suchten. „Er wagt sich an die vorderste Front“, so Harald Bock, Generalsekretär der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Er war es, der am Montag in Berlin zu einer Pressekonferenz mit Neudeck geladen hat. Es geht um Syrien. Als einzige deutsche Organisation inmitten der Rebellengebiete arbeiten Neudecks Freiwillige an einem Krankenhaus in Asas und einem Kindergarten in Harim (Aleppo-Provinz, Nordwest-Syrien). Nun hat Zeit online kritisch darüber berichtet. Einen „Angriff auf unsere Arbeit“ nennt Neudeck diesen Artikel vom 28. März 2013.

Als „verantwortungslos und extrem riskant“, so umschrieben ein Vertreter des „Deutschen Roten Kreuzes“ und ein ehemaliger Freiwilliger das Vorgehen der Brennpunkt-Helfer. Drei Deutsche sind vor Ort gewesen. Ohne Visum und Stempel im Paß – Marsch über die grüne Grenze. Eine Ausbildung gab es nicht. Neudeck ist überzeugt: Am besten lerne man die Projektumsetzung vor Ort – mit den Einheimischen, die mithilfe einer improvisierten Schmuggelökonomie die Wirtschaft notdürftig am Leben hielten. ZDF-Kriegsberichterstatter Friedrich Kurz, als Moderator im Podium, springt dem zierlich wirkenden Mann mit dem weißen Bart bei: „Ob Erfahrung oder nicht – getroffen wurden stets alle oder keiner.“

Angriffe auf Helfer – von allen Seiten

Trotz Angriffen aus der Luft: Keinem der Helfer ist etwas zugestoßen. Neudeck hat das Gebiet vor dem Einsatz seiner Leute selbst bereist. Er sieht die syrische „Zivilbevölkerung allein gelassen“, und vermißt Büros der Vereinten Nationen, sowie überhaupt ausländische Wohltäter. Einfühlsam beschreibt er das „enthusiastische Willkommen“ durch die Syrer, mit denen man als „Zeichen der Solidarität“ gemeinsam gearbeitet, gegessen und geschlafen habe.

„Nicht-Regierungs-Organisationen“, sagt der 73jährige mit einem Augenzwinkern, „heißen deshalb so, weil sie sich weiter hinaus trauen, mehr Risiken eingehen und ein bißchen mehr Mut haben sollten, als die Tarifordnungen des Öffentlichen Dienstes es verlangen.“ DRK-Präsident Dr. Rudolf Seiters habe in diesem deutschen Streit inzwischen eine briefliche Klarstellung formuliert.

Es gebe nunmehr „keinen Dissens in dieser Sache“. Ein weiterer Nebenkriegsschauplatz ist wohl auch wenig hilfreich – zumal, wenn der überzeugte Nothelfer auch davon berichtet, wie Flüchtlinge in der Türkei Zelte des UNHCR niederbrennen wollten. Der Grund: Die Hilfsgüter stammten vom „Roten Halbmond“, und dieser kooperiere aus Sicht jener Menschen mit der Assad-Regierung. 

Spannungen im Raum der Mendelssohn-Remise von Berlin-Mitte mit gut zwei Dutzend Medienvertretern treten gegen Ende der Veranstaltung auf, als eine entscheidende Frage unerörtert bleibt: Inwieweit können Luftangriffe noch als Kriegsverbrechen bezeichnet werden, wenn bewaffnete Freischärler die massiven Schul- und Krankenhaus-Gebäude zum Teil ebenfalls als Unterkunft nutzen?  

Niemand hört auf Scholl-Latour

Die politische Schuldfrage scheint in dieser Runde klar ausgemacht. „Wenn jemand auf sein Volk schießt, dann hat er eigentlich die Berechtigung verloren, für sein Volk zu sprechen“, hatte DAG-Generalsekretär Harald Bock mit Blick auf den syrischen Präsidenten Assad die Veranstaltung bereits eingeleitet. Dr. Neudeck geht einen Schritt weiter, und spricht vom „Chef einer Mörderbande“. Er habe sich selbst ein Bild davon machen können, wie die syrische Luftwaffe „ausdrücklich“ neun Hospitäler und „unzählige Schulen“ bombardiert habe.

DAG-Vorstandsmitglied Dr. Bassam Helou, ein syrischstämmiger Arzt, schlägt die härtesten Töne an: „Assad überschreitet eine rote Linie nach der anderen!“ Mit „fast 100.000 Toten“ offenbart er höhere Opferzahlen, als das bisher in den deutschen Medien zu vernehmen gewesen ist, und wirft der syrischen Führung auch den Einsatz von Giftgas vor – wofür es bislang keine Belege gibt.

Die deutliche Breitseite gegen den Herrscher von Damaskus erscheint gerade deshalb so überraschend, da der Präsident der „Deutsch-Arabischen-Gesellschaft“, Prof. Dr. Peter Scholl-Latour, nicht müde wird, vor einseitiger und nicht-objektiver Berichterstattung im „Kesseltreiben“ gegen Assad zu warnen.

Neben seiner Kritik am Auswärtigen Amt, daß es anders als früher auf dem Balkan diesmal vor Ort kein Deutsches Koordinationsbüro für humanitäre Hilfe gebe, hat Neudeck noch ein überraschendes Lob für die deutsche Armee. Zum einen hat die Bundeswehr gerade 36 verletzte Syrer nach Deutschland geflogen. Zum anderen böten die deutschen „Patriot“-Abwehrraketen im Südosten der Türkei der Zivilbevölkerung auf der anderen Seite echte Sicherheit. An den Grenzen sei ein zwei Kilometer weites „Quasi-Schutzgebiet“ für Binnenflüchtlinge entstanden. Hier traue sich die syrische Armee keine Angriffe mehr. „Ich mußte mich da korrigieren“, so der sonst militärkritische Helfer. 

Lesen Sie auch die Artikel unseres Kriegsberichterstatters Billy Six im Syrischen Kriegstagebuch.

    

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