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Syrisches Kriegstagebuch: Blutbad auf Bestellung

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Syrisches Kriegstagebuch
 

Blutbad auf Bestellung

Während sich die Weltöffentlichkeit mit Zwistigkeiten an der türkisch-syrischen Grenze befaßt, läuft der Kampf um die Macht im Landesinneren auf vollen Touren. Rebellen und Gotteskrieger haben Maarat an-Numan dem Assad-Regime entrissen. Die Regierungssoldaten haben vorher noch ein Massaker angerichtet. Aus Nordsyrien berichtet Billy Six.
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Bomben und Kreuzfeuer im gesamten Stadtgebiet
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Trauer um die Toten im Stadtkrankenhaus von Maarat an-Numan
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Aufgebrachte Einwohner zerren die Leiche eines „alawitischen Offiziers“ durch die Straßen Fotos (3): Billy Six

MAARAT AN-NUMAN Diesmal war es keine leere Drohung: Bereits am Samstag war die bevorstehende Offensive der Rebellen von Maarat an-Numan (Idlib-Provinz in Nord-Syrien) Stadtgespräch. Seit Montag ist nun der Krieg zurückgekehrt.

In den letzten Wochen ließ sich der Ärger über fortwährende Angriffe durch die nahen Assad-Stützpunkte mit den Händen greifen. Immer wieder schlugen Geschosse und Mörser in der Stadt ein – oftmals, ohne Opfer zu fordern. Die Strategie hinter diesen sporadischen Angriffen blieb freilich ein Rätsel.

Seinen Anlaß findet jede Schlacht am Ende selbst: Am Vorabend des Gegenangriffs der Rebellen schlägt eine Bombe in der Innenstadt ein. Vier Männer, nach Auskunft der aufgebrachten Menge Zivilisten, werden tot in das öffentliche Stadtkrankenhaus gebracht – ein umfunktioniertes Schulgebäude. 44 Freiwillige sind hier tätig, und kümmern sich um das Nötigste.

„Wir schwimmen im Blut“

Einen von gut einem Dutzend Verletzten können sie nicht mehr retten. Der Mann stirbt auf dem OP-Tisch. Die Stimmung schwankt zwischen Trauergeschrei und der Freude, neue Märtyrer an das Jenseits übergeben zu können. „Leg Dich schlafen“, sagt ein junger Arzt. „Nachher schwimmen wir im Blut.“ Wie die Kämpfer hat er sich ebenfalls ein schwarzes Stirnband angelegt. Aufschrift: „Es gibt keinen Gott außer Allah und Mohamed ist sein Prophet.“

Die Wände wackeln. Schwarzer Rauch hängt über der Stadt. Im Minutentakt bringen Pkw Verletzte ins Spital. Unter lautem Geschrei werden sie in die Gänge gebracht. Allein Montag und Dienstag einige Dutzend. Selbst für die Schwerverletzten bleibt kein langer Aufenthalt – nachdem alle Wunden verschlossen sind, fährt man sie direkt in ihre Wohnungen. Innerhalb weniger Stunden gibt es ein Stelldichein sämtlicher Bekanntschaften aus den letzten Wochen. Sogar jene jungen Männer, die zuvor noch keine Waffe trugen, stehen nun als Revolutionssoldaten an der Front. Nicht jeder kehrt lebend nach Hause: Sechs Tote sind im Krankenhaus zu Gesicht zu bekommen – doch manche werden wohl schon gar nicht mehr hierher gebracht.

Idlib-Provinz: Assad verliert an Boden

Dafür kündet lauter Krach von einer neuen Überraschung: Mit alten Duschkas (Maschinengewehr) und strammen Tarnuniformen ausgestattete Rebellen schaffen neun verletzte Assad-Soldaten heran – allesamt armselige Gestalten. „Schabiha!“ Das Schimpfwort für „kriminelle Banden“ der Alawiten ist in aller Munde.

Es bricht Chaos aus. Ein wütender Mob schreit die Gefangenen an. Die freiwilligen Helfer treiben die Bewaffneten aus den Gängen. Bärtige Scheichs appellieren an die Kämpfer, sich ruhig zu verhalten. Trotz der angespannten Stimmung: Die verletzten Feinde werden ausgiebig verarztet – und wandern anschließend in die Gefangenschaft.

Zahlreiche weitere Regierungstruppen sollen dagegen im Gemetzel gefallen sein. Der Gefechtslärm entfernt sich. Klar ist eines: Den Aufständischen ist ein entscheidender Durchbruch gelungen. Vier bis sieben Kontrollposten entlang der Autobahn sollen überrannt worden sein – darunter auch das improvisierte Gefängnis im hiesigen Kulturhaus. Was sich hier zugetragen hat, klingt wie ein grausiges Märchen aus 1001er Nacht.

Gefangene sterben wehrlos

Mit dem Zusammenbruch der Verteidigungslinie sollen der Gefängnis-Chef namens „Hanne“ und ein Helfer mit ihren Kalaschnikows wahllos in die beiden überfüllten Kellerräume geballert haben. Von den 85 Insassen seien 33 sofort, und fünf weitere später verstorben. Im nahen Kaf-Rambel, zehn Kilometer vom brennenden Maarat entfernt, ergibt sich wenig später die Möglichkeit mit zehn Überlebenden zu sprechen.

Sie sind übel zugerichtet, und bestätigen den Ablauf des Massakers. Allesamt seien sie zuvor Angehörige der Staatsarmee gewesen – und wegen Illoyalität festgesetzt worden. Rechtsanwalt Walid Zuwaid (45) wertet ihre Zeugenaussagen aus.

„So Allah will, werden wir diesen Krieg gewinnen und die Täter richten.“ Die Umstehenden bekunden, keinerlei Vertrauen in den Internationalen Strafgerichtshof zu besitzen. Petrol-Ingenieur Osama Salloum (28) greift von der Seite zu: „Mein Vetter Achmed Mohamed as-Salloum ist wegen einer Namensverwechslung während eines Familienausflugs verhaftet worden.“ Er sei einer der Toten. Die beiden Täter wären im Übrigen durch die Hintertür verschwunden. Möglicherweise befinden sie sich nun in den letzten beiden Militärstützpunkten der Region – Hamedia und Wadi Deph. Osama fürchtet, die Regierung werde eine ungeahnte Strafaktion starten, sollten die nunmehr umkreisten Areale ebenfalls fallen. „Ich weiß nicht wovor ich mehr Angst haben soll – vor unserem Sieg oder der Niederlage.“

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