„Mama, war ich eigentlich ein Wunschkind?“ – wahrscheinlich werde ich diesen Moment mein ganzes Leben nicht vergessen. Unsere Älteste, damals zwölf Jahre alt, fragt unvermittelt am Mittagstisch nach ihrem Gewollt-Sein, ihrem Geplant-Sein. Nach unserer Vorfreude, unserer Erwartungshaltung, die natürlich positiv zu sein hätte, schließlich geht es doch um sie. War ich ein Wunschkind, wolltet ihr mich haben? Drei weitere Kinder hören schlagartig auf zu essen und hören gespannt zu.
Gewünscht sein. Kinder haben dazu einfache Vorstellungen. Jetzt vor Weihachten haben sie alle ihre Wunschzettel längst geschrieben. Wünschen – Auspacken – Freuen. Für Kinder eine logische Reihenfolge. Sie wollte auch so sehr Wunschkind sein, so wie ihre Freundin, die am Vortag damit geprahlt hatte.
Muß man sich ein Kind vorher wünschen, um es anschließend zu lieben? Sind nur erwünschte Kinder liebenswert? Was ist mit den Ungeplanten, den Unerwünschten, den Unperfekten?
Sein dürfen, wie man ist
Wir schreiten im Advent auf das Weihnachtsfest zu und feiern die Geburt eines Kindes, das sich einst denkbar unerwartet angemeldet hatte. Ganz sicher war es von Maria nicht gewünscht worden. Schon gar nicht unter diesen Umständen. Vater unbekannt, Mutter minderjährig. Und zum Geburtstermin nicht in der Geburtswanne einer Privatklinik, sondern mit dem Esel unterwegs inklusive Niederkunft in einem Stall.
Wir können von Glück reden, daß Maria damals eine Schwangerschaftskonfliktberatung bei Pro Familia erspart geblieben ist; wer weiß, ob Jesus das überlebt hätte. Gut, daß Joseph nicht schon mal die Unterhaltszahlungen durchgerechnet hat und sich entschied, dieses Kind dennoch großzuziehen, als sei es sein eigenes.
Gewollt sein, angenommen sein. Sein dürfen, wie man ist. Die Dinge, nach denen wir uns sehnen, gibt es in keinem Geschenkpaket, für kein Geld der Welt und nicht nach Plan. Es sind Unverfügbarkeiten, die nicht in unserer Macht stehen. Glücklich, wer eine Familie hat, in der er willkommen ist. Ohne Anspruchshaltung, ohne in Vorleistung gehen zu müssen. Ohne Qualitätsnachweise. Wir kommen nackt und mit leeren Händen in diese Welt. Es ist ein Wunder, daß wir das in einer zunehmend materialistisch geprägten Welt in der Mehrheit immer noch überleben.
2.000 Jahre nach Bethlehem steigt nun die Zahl der Wunschkinder täglich an. Der Reproduktionsmedizin sei Dank, ist das Wünschen von Kindern heute keine hoffnungsvolle Schicksalsfrage mehr, sondern ein geplantes Ereignis. Weltweit floriert ein ganzer Markt zum Erwerb des perfekten Kindes. Eizellspende von jungen klugen Frauen, Leihmütter aus den USA, Indien oder Thailand. Samenspende vom Nobelpreisträger.
Weltweiter Menschenmarkt
Die richtige Hautfarbe, die richtige Herkunft, oder sollen es gleich zwei sein? Die untauglichen Versuche werden aussortiert. Wer so viel Geld in Einzelteile und Produktion investiert, will ein perfektes Geschenk auspacken. Zynisch könnte man anmerken, es habe ja immer noch etwas von Weihnachten: Wünschen – Bestellen – Bezahlen – Liefern. Nur ohne Amazon. Kinder wie Objekte gehandelt auf dem weltweiten Menschenmarkt. Wunschkinder? Irgendwie fröstelt einem plötzlich bei dem Wort.
An Weihnachten ist die „Heilige Familie“ zum Graus der politischen Regenbogenfraktion in jeder Kaufhaus-Krippe allgegenwärtig. Vater-Mutter-Kind in Dauerschleife. Das angeblich sexistisch-patriarchale Familien-Stereotyp ist im Advent unumstritten gesellschaftlicher Klassenbester. Sie ist der Archetyp von Familie. Der natürliche Kontrapunkt zu dem, was Experten der Bundesregierung als neue juristische Abstammungsdefinitionen empfehlen, wonach Familie nur noch „rechtliche Zuordnung“ sein soll, egal zu wem oder wie vielen.
Ein Mann und eine Frau tun sich zusammen und bekommen ein Kind. Das ist nahezu reaktionär! Sie brauchen dafür keinen Staat, keine Genehmigung, keine Anleitung, keinen Anwalt und auch kein Grundgesetz. Ein Affront für all jene, denen diese heimelige Idylle gegen den Strich geht. Gerade mühen sich die Sozialisten von der SPD vor ihrer finalen Auflösung in der vollkommenen politischen Bedeutungslosigkeit, noch schnell die Kinderrechte ins Grundgesetz durchzuprügeln, um endlich einen verfassungsrechtlichen Keil in diese „Heilige Familie“ zu treiben. Wenn schon sonst nichts mehr zu gewinnen ist, dann wenigstens noch die vielzitierte „Lufthoheit über den Kinderbetten“ für „Vater Staat“.
Wie ein Objekt geplant
Es hat etwas Beängstigendes, mit welcher Energie gerade auf allen Ebenen die Axt an die Wurzel von Familie und Menschsein gesetzt wird. Der Mensch wird wie ein Objekt geplant, zusammengestellt und verkauft. Wer nicht perfekt ist, darf mancherorts weltweit bis zur Geburt noch im Namen der Menschenrechte getötet werden. Wer keinen Nutzen mehr hat, dem eröffnen wir die „Freiheit zu sterben“, aber erst, nachdem er seine Organe freiwillig gespendet hat, um wenigstens noch für jemand anderen nützlich zu sein.
Gewollt sein. Angenommen sein. Sein dürfen, wie man ist. Die tiefe Sehnsucht danach, geliebt zu werden, eine Familie, eine Heimat zu haben, konzentriert sich in der Weihnachtszeit sichtbar und spürbar. An Weihnachten fährt man nach Hause. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz und nicht selten der Startschuß für nervenaufreibende Tage, Familiendramen und Chaos. Und dennoch tun wir es – alle Jahre wieder. Die Hoffnung, gewünscht zu sein, erwartet zu werden, wir tragen sie alle in uns.
War ich denn ein Wunschkind, hatte das Kind nun also gefragt. Nein, sagte ich. Wir haben uns euch alle nicht vorher gewünscht. Aber wir haben uns über jeden einzelnen von euch gefreut, als er da war. Und vielleicht ist das heutzutage deutlich mehr wert. Frohe Weihnachten.
JF 52/19