Bernd Fabritius (CSU) und Wolfgang Thierse (SPD) geben sich optimistisch: Der wieder aufgeflammte Streit um den Direktor der Berliner Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, Professor Manfred Kittel, werde das Gesamtprojekt nicht gefährden. „Es hängt nicht an einer Person“, sagen der neue Chef des Bundes der Vertriebenen (BdV) und der in der Stiftung engagierte ehemalige Bundestagspräsident – die Distanzierung von dem „Direktor auf Abruf“ (Spiegel) ist nicht zu überhören.
Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen, schlägt hingegen einen anderen Ton an: Sollte sich in den Landsmannschaften das Gefühl verbreiten, die Bundesstiftung sei zum Spielball ideologischer Auseinandersetzungen geworden, „verliert dieses wichtige Projekt womöglich seinen Sinn“.
So abwegig ist Posselts Befürchtung nicht. Man muß sich nur vor Augen halten, was der Preis für die Zustimmung des Regierungslagers zu der Bundesstiftung war: die Einbettung der Deutschen-Vertreibung in einen „internationalen Kontext“, um vor allem Polen und Tschechien nicht auf die Füße zu treten, sie quasi freizustellen von Schuld an diesem monströsen Nachkriegsverbrechen. Erika Steinbach (CDU), Ideengeberin der Einrichtung, wurde ein Platz im Stiftungsrat verwehrt.
Eine Geschichtsklitterung ersten Ranges
Unter dem von ihr unterstützten Professor Kittel gab es immerhin noch einen Schimmer Hoffnung, daß das im Aufbau befindliche Dokumentationszentrum an der Berliner Stresemannstraße nicht ganz im Nebel geschichtspolitischer Korrektheit versinkt.
Gelingt es jetzt dem wissenschaftlichen Beirat (wofür einiges spricht), einen ihm genehmeren Historiker auf Kittels Stuhl zu hieven, droht dem „sichtbaren Zeichen“ die totale Übernahme der politisch-historischen Sicht der Vertreibung à la Warschau und Prag: alles ausschließlich eine logische Konsequenz der nationalsozialistischen Expansionspolitik, und man habe ja nur Beschlüsse der Potsdamer Konferenz ausgeführt. Eine Geschichtsklitterung ersten Ranges, mit der auch deutsche Politiker hausieren gehen. Als die Konferenz der Siegermächte eröffnet wurde, waren bereits Millionen Deutscher aus ihren Heimatgebieten verjagt worden. Darüber sieht man nonchalant hinweg.
Direktor Kittel wird zur Last gelegt, zwei Ausstellungen im Deutschen Historischen Museum arrangiert zu haben, ohne sich mit dem Beirat abzustimmen. Sie seien „inhaltlich einseitig“, lautet das Verdikt. Es werde die Vertreibung der Deutschen thematisiert, nicht jedoch die NS-Vorgeschichte; dieser Teil einer in Griechenland angekauften Schau wurde kurz vor Eröffnung entfernt. Auch eine „Werkstattschau“ zur Vorbereitung einer Dauerausstellung im Deutschlandhaus, dem Sitz der Stiftung, galt den Kritikern als tendenziös.
„Auf die Vertreibung der Deutschen fokussiert“
„Warum Kittel am Beirat vorbei eine dokumentarisch schlecht gemachte Ausstellung plant, hat die Mitglieder des Beirats wundergenommen“, schrieb die Süddeutsche. Noch viel mehr ärgere den Beirat, daß diese Ausstellung „auf die Vertreibung der Deutschen fokussiert ist“. Daß es in der Kommunikation zwischen Kittel und dem Beirat hakte, daß auch sonst Fehler gemacht wurden, läßt sich wohl nicht bestreiten. Der Direktor hat das eingestanden und das Expertengremium brieflich um Entschuldigung gebeten.
Doch die Wissenschaftler, mit einer Ausnahme, nutzten die Gelegenheit zur großen Abrechnung, sie verlangen von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) die Trennung von Kittel. Es sind vor allem die polnischen Beiratsmitglieder Piotr Madajczyk (Warschau) und Krzystof Ruchniewicz (Breslau), die von Anfang an Probleme mit dem Direktor hatten. Auf ihnen lastete allerdings auch massiver Druck aus ihrer Heimat. In Warschauer Medien wurden sie des Verrats an der nationalen polnischen Sache bezichtigt.
Unter Dauerbeobachtung der Gedankenpolizei
Das wirft ein Licht auf die komplizierte Gemengelage, in der Professor Kittel sich behaupten muß. Er steht seit Amtsantritt unter Dauerbeobachtung der Gedankenpolizei. Man verübelt ihm, daß er vor Jahren, auf die Politik der ehemaligen sozialliberalen Koalition anspielend, die Frage aufwarf, ob nicht eine „zweite, eine geistige Vertreibung“ stattgefunden habe. Das reichte einigen seiner Gegner, um Kittel als verbohrten „Nationalkonservativen“ (Frankfurter Rundschau) abzustempeln.
Dabei trug der Professor ohne Abstriche die Absicht mit, den Blick auch auf andere Opfer „ethnischer Säuberungen“ zu richten. Für ihn war allerdings stets klar: Ausgangspunkt der Debatte hierzulande war nun mal die Flucht und Vertreibung von 14 Millionen Deutschen. Weil, wie Kittel zu Recht meint, „wichtige geistige Vorläufer“ von Vertreibungsideen schon sehr früh, vor dem Ersten Weltkrieg entstanden sind und das „Rad dann immer weitergedreht“ wurde.
Wer ausschließlich mit der in einer medialen Endlosschleife verbreiteten These argumentiert, ohne Hitler hätte es die Vertreibung nicht gegeben, wird Hinweise auf die „Vorläufer“ natürlich als degoutant empfinden. Was soll aber „Versöhnung“ bewirken, wenn wesentliche historische Fakten ausgeklammert werden?
In der vom Bundestag herausgegebenen Zeitung Das Parlament schrieb am 11. August der revanchistischer Gedanken unverdächtige Süddeutsche-Journalist Thomas Urban, in Polen habe bis heute keine Debatte darüber stattgefunden, warum Repressalien kopiert wurden, „die die Polen selbst unter der deutschen Besatzung erduldeten“. Auch dieser Frage könnte die Berliner Ausstellung nachgehen. Falls der Wille dazu vorhanden ist. Der BdV-Präsident ist Mitglied im wichtigen Stiftungsrat, der letztlich über Direktor Kittel entscheidet. Bernd Fabritius steht vor seiner ersten Bewährungsprobe.
JF 49/14