Am 8. Januar 1918 stellte der amerikanische Präsident Woodrow Wilson in einer Botschaft an den Kongreß eine Reihe von Grundsätzen vor, die er als unabdingbare Grundlagen für einen gerechten Friedensschluß zur Beendigung des Weltkrieges bezeichnete. Unter den insgesamt 14 Punkten fanden sich zunächst fünf allgemeine Prinzipien, die nicht nur das feindliche Deutschland und seine Verbündeten, sondern auch deren Gegner inklusive der USA binden sollten. Erst dann schlossen sich eine Reihe von Forderungen an, die zu Lasten der Mittelmächte gingen wie die Räumung aller von ihnen besetzten Gebiete, die Rückgabe Elsaß-Lothringens an Frankreich und die Errichtung eines unabhängigen polnischen Staates mit freiem Zugang zum Meer. In Punkt 14 forderte Wilson schließlich die Errichtung eines Völkerbundes „zu dem Zweck, großen und kleinen Staaten gleichermaßen gegenseitige Garantien ihrer politischen Unabhängigkeit und territorialen Unverletzlichkeit zu verschaffen.“ Wilsons Friedensprogramm kombinierte geschickt den Grundentwurf einer neuen liberaldemokratischen Weltfriedensordnung mit einer Reihe von konkreten, insgesamt recht gemäßigt klingenden Kriegszielforderungen an die Mittelmächte. Doch Anfang 1918 war der Krieg militärisch noch nicht entschieden. Nach dem praktischen Ausscheiden Rußlands als ernstzunehmendem Gegner Ende 1917 existierte eine letzte deutsche Chance, im Westen offensiv die militärische Entscheidung des Krieges zu suchen, bevor kampfbereite amerikanische Truppen in größerem Umfang in Frankreich standen. Nicht nur die Oberste Heeresleitung (OHL) setzte noch einmal alles auf diese Karte, sondern auch die zivile Reichsleitung, fast alle Reichstagsparteien und die Mehrheit des Volkes. Die Reaktionen in Deutschland auf die 14 Punkte Wilsons waren unter diesen Umständen zurückhaltend. Reichskanzler Georg Graf von Hertling anerkannte zwar, daß die darin enthaltenen allgemeinen Grundsätze sowie der Völkerbundsgedanke „Ausgangs- und Zielpunkte für Verhandlungen bilden könnten“, wies jedoch alle einseitig Deutschland treffenden Forderungen zurück. Ähnlich argumentierten aber auch SPD, Zentrum und Linksliberale sowie die ihnen zuneigenden Presseorgane. Eines der wichtigsten politischen Ziele von Wilsons Proklamation, zwischen der in seinen Augen „autokratischen“ Führung und dem deutschen Volk, insbesondere den linken und liberalen Kräften, einen Keil zu treiben, wurde verfehlt. Dieses Ziel, das der Präsident, in dieser Frage vom Deutschlandexperten des US-Außenministeriums, William C. Bullitt beraten (JF 36/05), in seinen öffentlichen Reden zur Friedensfrage hartnäckig weiterverfolgte, vermochte er auch in der Folgezeit nicht zu erreichen. Als den Deutschen im Spätsommer 1918 allmählich klar wurde, daß trotz aller Teilerfolge ein entscheidender deutscher Sieg im Westen unmöglich geworden war und sich die Gesamtlage auch angesichts der Niederlagen anderer Mittelmächte (Zusammenbruch der Bulgarienfront am 15. September 1918) zusehends verschlechterte, gewannen in der Truppe und in der Heimat rasch die allgemeine Kriegsmüdigkeit und der Wunsch, schnell zu einem erträglichen Frieden zu gelangen, die Oberhand. In dieser Lage bot Wilson am 27. September erneut, auf der Basis eines Konzeptes Bullitts, einen „Frieden auf der Basis unparteiischer Gerechtigkeit“ an, allerdings nur einem „geläuterten“ Deutschland mit einer parlamentarisch kontrollierten Regierung. Zur gleichen Zeit gelangten aber auch Reichsregierung und OHL zu der Einsicht, daß der Krieg militärisch für Deutschland definitiv verloren war und nur eine Regierung mit dem Vertrauen des Reichstags einen glimpflichen Frieden würde erhalten können. Nüchtern stellte sich das Auswärtige Amt auf den Standpunkt, daß in der gegebenen Lage das am wenigsten schlechte von allen schlechten Angeboten immer noch das beste war. Und allein der US-Präsident hatte bis dato überhaupt ein einigermaßen ausformuliertes Friedensprogramm vorgelegt, das zudem günstigere Bedingungen zu enthalten schien als alles, was Deutschland von Briten und Franzosen erwarten konnte. Am 3. Oktober wandte sich die neugebildete Regierung unter dem Prinzen Max von Baden an Wilson mit der Bitte, einen Waffenstillstand auf der Basis seines seit dem 8. Januar entwickelten Programms herbeizuführen, als Grundlage späterer Friedensverhandlungen. Nach einem Notenaustausch mit Wilsons Außenminister Robert Lansing akzeptierte sie auch, daß nur ein Waffenstillstand in Frage kam, der Deutschland keine Möglichkeiten zu einer späteren Wiederaufnahme des Kampfes ließ, und daß es für die zivilen Kriegsschäden Ersatz zu leisten habe. Nach Rücksprache mit den europäischen Verbündeten teilte Lansing am 5. November den Deutschen „die Bereitschaft [der verbündeten Regierungen] zum Friedensschlusse mit der deutschen Regierung [mit], auf Grund der Friedensbedingungen, die in der Ansprache des Präsidenten an den Kongreß vom 8. Januar 1918 sowie den Grundsätzen, die in seinen späteren Ansprachen niedergelegt sind“. Auf dieser Basis wurde dann am 11. November 1918 der Waffenstillstand abgeschlossen. Die deutsche Regierung vertrat in den folgenden Monaten stets den Standpunkt, daß die in den Notenwechseln mit Wilson/Lansing im Oktober und November formulierten Bedingungen einen beide Seiten bindenden Vorvertrag (pactum de contrahendo) darstellten, der den Inhalt des zukünftigen Friedensvertrages präjudiziere. Entsprach dies ursprünglich noch dem nüchternen Kalkül, auf dieser Rechtsbasis harte alliierte Friedensbedingungen zurückweisen zu können, gewannen bei den neuen, durch die Revolution vom November 1918 ins Amt gekommenen politischen Kräften die Hoffnungen, daß Wilson für Deutschland einen milden Kompromißfrieden herbeiführen würde, zeitweise die Oberhand über eine nüchterne Einschätzung der Lage. Aufgrund der nun hergestellten demokratisch-antiimperialistischen Übereinstimmung hegte man illusionäre Hoffnungen. Ende November 1918 erklärte Außenstaatssekretär Wilhelm Solf vor Vertretern der neuen republikanischen Landesregierungen gar, daß man durch das Festhalten an Wilsons pazifistischem Programm mit Amerika gegen den Imperialismus der Entente würde Front machen können. Insgesamt wurde so eine öffentliche Erwartungshaltung erzeugt, die man aufgrund der krisenhaften Lage der Republik später nicht mehr korrigieren konnte. Die Hoffnung auf einen „Wilson-Frieden“ im Sinne eines glimpflichen Kompromißfriedens ohne Diskriminierung Deutschlands stellte einen der wenigen Lichtblicke für die vom Schock der Niederlage, der Härte des Waffenstillstandes, dem plötzlichen revolutionären Umbruch und den anhaltenden inneren Unruhen desorientierten und in Bedrängnis gebrachten Deutschen dar. Als der amerikanische Präsident im Dezember 1918 nach Europa kam, erreichte die Wilson-Begeisterung nicht nur in Westeuropa ihren Höhepunkt. Auch in Deutschland wurde er als unparteiischer Schiedsrichter, als Beschützer vor dem Imperialismus der Entente-Mächte und als Garant eines Friedens der Versöhnung gefeiert. Amerikanische Beobachter konstatierten, daß das deutsche Volk unbeirrt zu Wilson aufblicke und auch in politischen Kreisen ein großes Vertrauen in den amerikanischen Präsidenten vorherrsche. In den besser informierten politischen Kreisen kühlte diese Begeisterung, die von unzähligen Broschüren mit Wilsons Reden sowie Darstellungen seiner weltpolitischen Maximen genährt wurde, zwar allmählich ab, doch konnten nur die wenigsten alle Illusionen und Hoffnungen ablegen. Die meisten Deutschen lebten, wie der Theologe und Historiker Ernst Troeltsch 1919 festhielt, bis zum Mai 1919 im „Traumland der Waffenstillstandsperiode“. Als den Deutschen in diesem Monat die Versailler Friedensbedingungen präsentiert wurden, war der Schock um so größer. Was nun publik wurde, entsprach in keiner Weise den Erwartungen der deutschen Öffentlichkeit an einen „Wilson-Frieden“, von dem man erhofft hatte, daß er, wenn auch mit territorialen und wirtschaftlichen Verlusten verbunden, die Souveränität, Integrität und Selbstachtung der Nation nicht beinträchtigen würde. Der schließlich nach einem alliierten Ultimatum von den deutschen Bevollmächtigten am 28. Juni unterzeichnete Friedensvertrag tat in den Augen der meisten Deutschen aber genau dies. Da von deutscher Seite das beim Waffenstillstand gegebene Versprechen der Sieger, einen Frieden auf Basis von Wilsons Programm abzuschließen, stets als bindender Vorvertrag aufgefaßt worden war, sahen sie sich durch den „Schmachfrieden“ als im großen Stile „betrogen“ an. Zum Teil beruhte dies auf ihren zuvor sorgsam gepflegten Illusionen über Wilson. Der amerikanische Präsident hatte während der Verhandlungen zwar einige der Forderungen der europäischen Siegermächte — mit eher geringem Erfolg — auszubremsen versucht, aber stets das Gesamtkonzept des entstehenden Vertragswerkes und eine harte Behandlung Deutschlands als Schuldigen am Krieg bejaht. Soweit überhaupt, hat er sich vor allem auf wirtschaftlichem Feld, insbesondere in der Reparationsfrage, für mehr Rücksicht auf deutsche Interessen eingesetzt, aber kaum bei den Gebietsabtretungen, wo er von Expertenstäben abhängig war, die vor allem die Ansprüche der jeweiligen Siegerstaaten im Auge hatten. Auch wenn am Ende viele Berater der amerikanischen Delegation vom Gesamtpaket entsetzt waren und Bullitt sogar demissionierte, hielt Wilson selbst damals und später stets daran fest, daß das Versailler Vertragswerk einen insgesamt „gerechten Frieden“ darstelle. Ja, um das Gegenteil nicht eingestehen zu müssen, griff er vermehrt auf eine moralisierende Interpretation des Versailler Friedens als einer einem „Verbrecher“ auferlegten gerechten Strafe zurück. Das Ansehen Wilsons, auf den sich zuvor so viele illusionäre Hoffnungen konzentriert hatten, fiel im Sommer 1918 in Deutschland ins Bodenlose. Jene, die der Völkerbundidee weiterhin etwas abgewinnen konnten, versuchten gelegentlich noch, ihn als weltfremden, von den durchtriebenen europäischen Siegermächten „getäuschten Professor“ zu entschuldigen. Doch für sehr viele Deutsche, nicht nur auf der rechten Seite des politischen Spektrums, galt er fortan als politischer Heuchler par excellence. Mit dem Ansehensverlust Wilsons verbunden war zudem nicht nur die Diskreditierung seiner Person, sondern auch die seines Programms einer neuen, von einem Völkerbund stabilisierten demokratischen Weltordnung. Verziehen wurde Wilson der „große Betrug“ von deutscher Seite nie: Bei seinem Tode 1924 unterließ es die deutsche Botschaft in Washington ostentativ, halbmast zu flaggen. Foto: William Orpen, Die Unterzeichnung des Friedens im Spiegelsaal von Versailles, Öl auf Leinwand, US-Präsident Wilson in der Mitte mit Dokument: Stets eine harte Behandlung Deutschlands bejaht; W. Orpen, Woodrow Wilson: Im großen Stile betrogen