Die im Herbst 2004 in Berlin in einer ersten Fassung gezeigte Ausstellung "Schrumpfende Städte" wird seit November diesen Jahres in Leipzig und Halle / Saale fortgesetzt und ist dort noch bis zum 29. Januar 2006 zu sehen. Das "Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes" befaßt sich mit gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen in schrumpfenden Städten und stellt die Ergebnisse von etwa hundert beteiligten internationalen Künstlern, Architekten, Filmemacher, Journalisten, Kultur- und Sozialwissenschaftlernvor.
Die Ausstellung "Schrumpfende Städte – Internationale Untersuchung" befindet sich im stillgelegten Foyerbau des S-Bahn-Tunnelbahnhofes, dem nunmehrigen "Zentrum für zeitgenössische Kultur", in Halle-Neustadt und beschäftigt sich mit vier Regionen in Deutschland (Halle/Leipzig), Großbritannien (Manchester/Liverpool), USA (Detroit) und Rußland (Ivanovo), an denen seit Herbst 2002 beispielhaft urbane Niedergangsprozesse dokumentiert und untersucht wurden.
Ein schiefwinkeliger Glas-Beton-Pavillon und eine entkernte Gründerzeitvilla in Leipzigs Südvorstand sind als "Galerie für zeitgenössische Kunst" Standort der Ausstellung "Schrumpfende Städte 2 – Interventionen". Zu den Themenstellungen "Ungleichheit verhandeln", "Selbst regieren", "Bilder machen", "Rückzug organisieren" und "Räume besetzen" werden 35 neuentwickelte Projekte sowie Dokumentationen über umgesetzte Maßnahmen gezeigt.
Zu sehen ist ein Sammelsurium "künstlerischer und wissenschaftlicher Formate": Grafiken, Fotos, Installationen, Videos und Interviews mit Betroffenen, präsentiert in einer Art, die vielleicht beim Zwischenrundgang eines Semesterprojektes im Grundstudium Mediendesign angemessen wäre: die Wände teilweise nur mit Zetteln und Plakaten beklebt, unscharfe Videoprojektionen und stellenweise dröhnende Beschallung aus allen Richtungen. Euphemistisch ausgedrückt: Es herrscht "Workshop"-Atmosphäre.
Besonders beschämend wirkt der Zustand des Halle-Neustädter "Zentrums für zeitgenössische Kunst", offenbar als Vorzeige-Beitrag der "Kulturhauptstadt Sachsen-Anhalts" zur Internationalen Bauausstellung (IBA) gedacht. Im bauhistorisch belanglosen Siebziger-Jahre-Kasten werden die Projekte in einer schäbigen Umgebung aus alten PVC-Fußböden, original-bauzeitlichen Sanitärfliesen und rostigem Metall präsentiert. Auch inhaltlich hätte man zum Thema mehr erwarten können. Ironische und skurrile Exponate überwiegen: Plakate mit Kühen zwischen städtischen Brachflächen, Anbau nachwachsender Rohstoffe in Baulücken, eine Theke mit "Chinese sausage made in Germany", Pilzzucht in Plattenbauten oder eine Dokumentation über eine "öffentliche Anhörung" zur Einrichtung einer chinesischen Sonderwirtschaftszone in Halle.
Staatlich alimentierte Beschäftigungstherapie
Eines der preisgekrönten Projekte mit dem bezeichnenden Titel "Ich bin drin" stellt Grafiken der Einwanderungsrouten und den Entwurf eines "Schleusermobils" vor und propagiert ein "kolonisiertes Deutschland aus ethnischen Archipelen", die "in den entsprechenden Regionen eine identitätsstiftende Rolle übernehmen" sollen. Die Region Halle/Leipzig soll sich demnach zum vietnamesischen Archipel "Haneu-Leigon" wandeln. Daneben ist der bei solchen Gelegenheiten fast zwangsläufige Sozialkitsch zu sehen: Filme über Schwarze bei Rap-Musik und Haarkunstwettbewerben in Detroit, aus Mitteldeutschland Frauengruppen beim Basteln, Videointerviews mit jungen Hauswirtschafterinnen, Teddy-Sammlungen sowie selbstgemachtes Gartengerät aus Ivanovo.
Interessanter als die Ausstellungsexponate sind dagegen einige Textbeiträge, zu finden unter shrinkingcities.com oder im Themenheft Nr. 173 der Architekturzeitung archplus. Nicht zu Unrecht warnt dort der Berliner Architektursoziologe Werner Sewing vor einer "Inflationierung der Schrumpfvision" und fragt rhetorisch, welcher Diskurs den Niedergang des amerikanischen Rostgürtels, der Kohle- und Stahlgebiete Belgiens, Nordfrankreichs und nicht zuletzt des Ruhrgebietes begleitete und ob hier nicht "eine historische Besonderheit, nämlich das Zusammenfallen des Zusammenbruchs der DDR, die komplette Deökonomisierung dieser Region, mit dem Reformstau der alten Bundesrepublik, zu einem allgemeinen Weltproblem aufgeblasen" wird.
Neben solchen Faktoren und den allgemeinen Auswirkungen von industrieller Rationalisierung, Globalisierung und demographischem Niedergang sind auch die politischen Gründe schon lange bekannt: Suburbanisierung mit den Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus und Einfamilienhaus-Ghettos, steuerliche Benachteiligung von Altbausanierung, Eigenheimzulage, Pendlerpauschale, Planungsegoismus bis in die kleinste Kommune sowie das an Neubau und modernistischen Städtebauleitbildern ausgerichtete Baurecht. Die verheerende Auswirkung sozialen Wohnungsbaus und die Gründe für Verödung und Slumbildung beschrieb Jane Jacobs schon 1961 in ihrem urbanistischen Standardwerk "Leben und Tod großer amerikanischer Städte".
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich bei diesem "Initiativprojekt" eher um eine staatlich ali-mentierte Beschäftigungstherapie und Selbstdarstellungsplattform für ein zu kurz gekommenes Intellektuellenmilieu von Künstlerarchitekten, Sozialarbeitern etc. handelt, welche sich nach überlangem Studium und erfolgloser Arbeitssuche immer noch zu Höherem berufen fühlen. Insofern ist die Ausstellung sicherlich aufschlußreicher über ihre Autoren als über die eigentliche Thematik. Zur Lösung der anstehenden Probleme trägt sie jedoch nicht bei.
Informationen: Internet: www.shrinkingcities.com ; www.archplus.net ; "Galerie für zeitgenössische Kunst" Karl-Tauchnitz-Straße 11, 04107 Leipzig, Dienstag bis Samstag 14-19 Uhr, Sonntag 12-19 Uhr
"Zentrum für zeitgenössische Kultur" Albert-Einstein-Straße 41, 06122 Halle/Saale; Montag bis Samstag 10-20 Uhr, Sonntag 10-17 Uhr