Anzeige
Anzeige

Kreisauer ohne Illusionen

Kreisauer ohne Illusionen

Kreisauer ohne Illusionen

 

Kreisauer ohne Illusionen

Anzeige

Unter den Verschwörern gegen das nationalsozialistische Regime stellte Helmuth von Moltke in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahme dar. Dazu gehörte, daß er Deutschland aufrichtig die vollständige Niederlage wünschte. Möglichst schmerzvoll sollte sie zudem sein, das Ende des Reiches bringen, ja sogar den deutschen Nationalcharakter ändern. Daher galt ihm auch das Attentat auf Hitler prinzipiell als der falsche Weg, er fürchtete ihn als Grund für erneuerte Dolchstoßvorwürfe und daher schädlich für die Zukunft. Moltke konnte sich keinen Kompromiß mit den Alliierten vorstellen. Im Zentrum der Probleme stand für ihn Deutschland, an dessen Alleinschuld am Weltkrieg er keinen Zweifel hatte. Was Moltke antrieb, läßt sich weniger als intellektuelle Einsicht denn als die pure Verzweiflung über Deutschland beschreiben. Als Ausdruck dieser Stimmung kann seine Bereitschaft gelten, die ethnische Säuberung seiner schlesischen Heimat durch Polen in Kauf zu nehmen. Ansonsten schwebten ihm als Linker, wie er sich selbst verstand, als „kein Patriot“, wie seine Frau ihn später schilderte, transnationale Strukturen für das künftige Europa vor. Moltke zeigte Vorliebe für den grundsätzlichen Neuanfang Dies alles unterschied ihn vollständig von Männern wie Goerdeler, die den Kriegsgegner mit Forderungen nach dem Erhalt der deutschen Einheit von 1939 oder gar der Ostgrenze von 1914 konfrontierten: Ambitionen, die teilweise erheblich über das hinausgingen, was Hitler den Alliierten bereits als akzeptabel signalisiert hatte. Moltkes Vorliebe für den grundsätzlichen Neuanfang fiel auch George Kennan auf, damals an der amerikanischen Botschaft in Berlin akkreditiert, später einer der bekanntesten amerikanischen Diplomaten der Nachkriegszeit. Er habe im Haus von Moltke zum ersten Mal verstanden, was die Gründungsdokumente der amerikanischen Verfassung bedeuteten, als er Moltke auf der Suche nach der Wahrheit darin blättern sah, erinnerte er sich. Moltke überredete Kennan bei einem dieser Treffen, den Dienst an der Botschaft zu quittieren und für ihn eine Aufgabe in Washington zu übernehmen. Daraus wurde letztlich nichts, weil Kennan das Risiko einer Verbindung für Moltke als zu hoch einschätzte. In Amerika sei Geheimhaltung unwahrscheinlich. Kennan blieb nicht der einzige Amerikaner, dem Moltke auffiel. William Donovan interessierte sich für ihn, der während des Krieges den amerikanischen Nachrichtendienst OSS gründete und leitete, dann später als „Vater“ der CIA in die Geschichte einging. Man stufte Moltke als intellektuellen Kopf jener Verschwörergruppe ein, die als Kreisauer Kreis bekannt geworden ist. Er galt den Amerikanern als außergewöhnliche Erscheinung, Jurist mit Studium in England, Sohn einer Südafrikanerin, deren Familie enge Beziehungen mit dem südafrikanischen Premier Smuts unterhielt, dazu verschwägert mit einem Londoner Bankhaus. Alles in allem konnten selbst die den Deutschen gegenüber vorurteilsbeladenen angelsächsischen Geheimdienste in ihm weder einen Preußen noch gar das übliche Schreckensbild des „Junkers“ entdecken. Donovan hielt daher frühzeitig große Stücke auf ihn, da er mehr gegen des Regime zu tun bereit sei als der Durchschnittsdeutsche und außerdem durch seinen Namen davor geschützt sei, schnell verhaftet zu werden. Diese Überlegungen gingen lange Zeit auf. Kreisau, wo Moltke residierte, lag abgelegen genug, um mehrere Treffen des Widerstands zu ermöglichen. Es blieben erhebliche Differenzen der Verschwörer zu Moltke, der gelegentlich phantastische Pläne betrieb. Die Alliierten hatten 1943 die Gelegenheit, von den Kreisauern exakte Vorschläge für die Bildung einer deutschen Gegenregierung und die Übergabe ganz Europas bis hin zur polnisch-russischen Grenze an die Westmächte zu erhalten. Ein kontrollierter Zusammenbruch sollte inszeniert werden, bei dem eine provisorische deutsche Gegenregierung mit den Alliierten zusammenzuarbeiten hatte. Um den besonders von Moltke erwünschten Eindruck der militärischen Niederlage zu wahren, sollte jedoch bis zu dieser Linie weitergekämpft werden, auch damit die Sowjets herausgehalten werden könnten. Als vage historische Analogie bot man den Alliierten die Konvention von Tauroggen an, den Seitenwechsel Yorck von Wartenburgs von Napoleon zu den Alliierten, der allerdings von der Billigung durch das Staatsoberhaupt ausging. Obwohl die Inspiration zu solchen Gedanken von Moltke ausging, blieb ihm nicht nur die Rolle des Theoretikers. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges als Referent für Völkerrecht in der Auslandsabwehr des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) eingestellt. wurde er mit der Zeit mit vielen verborgenen Vorgängen vertraut. Dazu gehörte das Wissen um die deutschen Friedensvorschläge im Sommer 1940, die viel weitgehender waren, als offiziell bekanntgegeben wurde. Moltke nahm es als gutes Zeichen, als Hitler sich entschieden hatte, den geheimen diplomatischen Weg zu gehen und ihn öffentlich nur anzudeuten. Er konnte sich dessen Friedensangebot vom Juli 1940 „eigentlich nur so erklären, daß von den schwebenden Verhandlungen doch mehr gehalten wird, als ich davon halte“. Da man in London nicht zu wirklichen Verhandlungen bereit war, sich Premier Churchill gar geweigert hatte, irgendwelche deutschen Vorschläge anzuhören, ging der Krieg am Ende weiter. Moltke nutzte in dieser Zeit wiederholt seine Chance, in Entscheidungen einzugreifen, etwa bei der Frage, wie das Verhalten von Staatsangehörigen jener Länder wie Polen juristisch einzustufen war, deren Streitkräfte kapituliert oder die wie Frankreich einen Waffenstillstand geschlossen hatten. Viele von ihnen kämpften später als Teil der Roten Armee oder im Westen in einem rechtlichen Niemandsland weiter – dies galt jahrelang auch für General de Gaulle. Wenn Angehörige dieser Truppen später von der Wehrmacht gefangengenommen wurden, stellte sich die schwierige Frage: Handelte es sich bei dem fortgesetzten Kampf um ein todeswürdiges Verbrechen von Zivilisten, die illegal zu den Waffen gegriffen hatten, oder waren es weiterhin Soldaten, die nunmehr Kriegsgefangene waren? Moltke überzeugte die nationalsozialistische Führung mit einer Mischung aus Argumenten der Opportunität und formaljuristischen Bedenken, daß diese Personen als Kriegsgefangene zu betrachten waren, und rettete ihnen das Leben. Die Argumentation überzeugte in diesem Fall an höchster Stelle. „Schließlich gelang es Schuster, Generalfeldmarschall Keitel auf meine Linie zu ziehen, und Keitel wiederum gelang es, den Führer auf meine Linie zu ziehen, und um 6.30 kam der Führerbefehl in meinem Sinne und mit meinen Gründen versehen an“, schrieb er nach Hause. Am Attentat des 20. Juli war Moltke nur indirekt beteiligt Moltke erlebte den 20. Juli 1944 bereits in Haft. Er war Anfang des Jahres festgenommen worden. Irgend jemand innerhalb der OSS hatte ihn offenbar verraten. Obwohl er am Attentat und seinen unmittelbaren Vorbereitungen selbst unbeteiligt war, konnten seine anderen Aktivitäten dem Regime nicht mehr verborgen bleiben. Dennoch wurde er eher wegen seiner geistigen Haltung als wegen bestimmter Taten verurteilt, denn der Volksgerichtshof war beauftragt, keine Form der Distanz zu dulden. „Vorbereitung zum Hochverrat begeht der, der zwar selbst jede Gewalthandlung ablehnt, aber Vorbereitungen für den Fall trifft, daß ein anderer, nämlich der Feind, die Regierung mit Gewalt beseitigt“, verkündete Präsident Freisler. Das traf auf Moltke zu. Im Januar 1945 wurde er hingerichtet. Foto: Helmuth von Moltke vor dem Volksgerichtshof: Pure Verzweiflung über Deutschland
Schwerin, Franz Graf von: Im Widerstand die Zukunft denken : Zielvorstellungen für ein neues Deutschland. Schönigh Verlag, Paderborn 1999, 211 Seiten, kartoniert, 29 Euro Ruhm v. Oppen, Beate (Hrsg.): Moltke, Helmuth J. von Moltke, Briefe an Freya 1939- 1945. C.H. Beck, München 1988, 632 Seiten, Abbildungen, 34,90 Euro Moltke, Helmuth J. v.: Bericht aus Deutschland im Jahre 1943: Briefe / Helmuth J. von Moltke. Letzte Briefe aus dem Gefängnis Tegel 1945. ursprünglich Henssel Verlag, Berlin 1971, nun Diogenes Verlag, Zürich 2000, 96 Seiten, broschiert, 5,90 Euro Moltke, Freya v.; Balfour, Michael; Frisby, Julian: Helmuth James von Moltke 1907-1945 Anwalt der Zukunft. ursprünglich DVA, Stuttgart 1975, nun Diogenes Verlag, Zürich 1995, 368 Seiten, 20,90 Euro In dieser Reihe wurden bisher Eduard Wagner, Karl-Friedrich Goerdeler und Ulrich von Hassell porträtiert.

Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag

ähnliche Themen
Hierfür wurden keine ähnlichen Themen gefunden.