Ludwig Erhard wußte, daß Wirtschaftspolitik zur Hälfte Psychologie ist. Robert Habeck hat sich diese Weisheit nicht zu eigen gemacht. Dies beweist sein „Green Paper“, wonach „die Länge der Gasverteilernetze von derzeit über 500.000 Kilometern stark zurückgehen wird“. Denn das „Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 bedingt eine Abkehr von fossilen Energieträgern und den Ausbau erneuerbarer Energieträger“. Die Diskussion will sein grünes Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im kleinen Kreis mit den Gasnetzbetreibern sowie Ministerien in Bund und Ländern führen.
Neu sind die Pläne nicht. So kündigten 2020 die Stadtwerke von Augsburg – wo die CSU mit den Grünen regiert – an, daß die Gasbelieferung in zehn Jahren auslaufe und die Bürger auf Fernwärme umsteigen sollten. Schließlich sieht das Bayerische Klimaschutzgesetz vor, daß der Freistaat spätestens 2040 „klimaneutral“ sein soll. Patrick Graichen, Ex-Chef der von Philanthropen finanzierten Agora Energiewende, Wärmepumpen-Propagandist und Habecks Kurzzeitstaatssekretär, bestätigte den Gasnetzrückbau im Mai 2022, denn 2045 werde schließlich „kein Gas mehr in den Netzen sein“.
Der Energieexperte Stefan Schönberger von der Boston Consulting Group (BCG) wurde im Sommer 2023 noch konkreter: „Wir brauchen künftig 80 bis 90 Prozent weniger Gasleitungen.“ Daher äußerte das BMWK Unverständnis für die aufkommende Kritik. Wenn Deutschland 2045 klimaneutral sei und alle Haushalte Fernwärme oder Wärmepumpen benutzen würden, bräuchte man schließlich nur noch jene Teile des Rohrleitungsnetzes, die Gas durch Deutschland ins Ausland weiterleiteten sowie „grünen“ Wasserstoff oder Biomethan transportierten. Durch den Abriß schütze man die verbliebenen Gaskunden vor steigenden Netzentgelten. Die verbleibenden Fern- und Transitleitungen (40.000 Kilometer) und die unverzichtbaren Verteilstränge (60.000 Kilometer) versorgten Industrie, Speicher und Gaskraftwerke.
Habecks Plan kommt zur Unzeit
Von letzteren will Habeck 60 neu bauen lassen – als Ersatz für die abgeschalteten AKW und die Kohlekraftwerke. „In der Fläche wird das Geschäft mit den Gasnetzen nicht mehr stattfinden“, prognostiziert daher der BCG-Experte Schönberger. Das ist auch der EU-Gebäuderichtlinie (EPBD; JF 13/24) geschuldet: Darin ist der Ausstieg aus mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizkesseln bis 2040 vorgegeben.
Habecks „Green Paper“ kommt dennoch zur Unzeit. Deutschland befindet sich in der Rezession und der Deindustrialisierung. Mehr als 25 Prozent des mittelständischen produzierenden Gewerbes prüfen die Verlagerung der Produktion ins Ausland oder investieren ausschließlich dort in ihre Anlagen. 2023 wurden laut Heizungsindustrieverband BDH 790.500 Gasheizungen eingebaut – und nur 356.000 Wärmepumpen. Und nach den aktuellen Zahlen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) werden 48,3 Prozent der 41,9 Millionen Wohnungen in Deutschland mit Erdgas, 23,4 Prozent mit Öl und 5,6 Prozent mit Holz oder Kohle beheizt – aber nur 15,2 Prozent mit Fernwärme und 7,5 Prozent mit Strom. Und in 16 Jahren (EU, Bayern) bzw. 21 Jahren (BMWK) sollen wirklich alle „fossilen“ Heizungsanlagen stillgelegt werden?
Alle Kommunen sind durch das BMWK und den „Heizungshammer“ (Gebäudeenergiegesetz/GEG) verpflichtet, eine Heizungs- und Wärmeplanung zu erarbeiten, was die meisten Städte und Gemeinden unter 100.000 Einwohner bereits überfordert. Ein möglicher Zwang, das über die Stadtwerke in kommunalem Eigentum befindliche Gasnetz abzureißen, macht Planungen und Kostenkalkulationen obsolet. Zudem kann keine Gemeinde ihren Gasnetzunterhalt seriös planen, es entsteht für alle Stadtwerke neben dem Risiko von Rückbaukosten eine völlige Investitionsunsicherheit.
Kein LNG ohne Gasleitungen
Der Betrieb der Gasnetze erfordert regelmäßige Austauscharbeiten an den bewußt mit mehreren Strängen redundant verlegten Versorgungsnetzen. Bisher erfolgte die Investitionsplanung unter dem Gesichtspunkt des Funktions- und Werterhalts eines auf ewige Nutzung kalkulierten Netzes. Diese Planungen sind nun hinfällig, denn für jede neue Leitung besteht das Risiko, sie bereits nach zwei Jahrzehnten, also deutlich vor Ende der technischen Nutzungsdauer, wieder abreißen zu müssen. Ein identisches Risiko besteht für Investitionen des industriellen Mittelstands, der Gas in zahlreichen Produktionsprozessen einsetzt.
Die Stillegungspläne widersprechen auch der forcierten BMWK-Strategie zum Flüssigerdgasimport (LNG). Nach den schwimmendes Terminals soll im niedersächsischen Stade das erste stationäre LNG-Terminal errichtet werden. Die Finanzierung ist gesichert, in diesem Jahr soll schon Baubeginn sein, und ab 2027 soll das LNG-Terminal des spanische Netzbetreibers Enagás in Betrieb gehen. Auch in Wilhelmshaven und Brunsbüttel sollen stationäre LNG-Terminals entstehen – und ohne Gasleitungen wären diese Milliarden-Investitionen sinnlos.