Wenn am 22. Mai der „Internationale Tag der biologischen Vielfalt“ begangen wird, so erinnert das zunächst an den „Erdgipfel“ in Rio de Janeiro 1992 und die dort an diesem Datum verabschiedete Biodiversitäts-Konvention. Die Verlustrate biologischer Vielfalt sollte nach einer Präzisierung 2002 in Johannesburg bis 2010 deutlich gesenkt werden. Vor einem Jahr fand dann in Bonn die 9. UN-Vertragsstaatenkonferenz (COP 9) der Konvention über die biologische Vielfalt statt (JF 21/08). Die Uno hat 2010 zum Jahr der Biodiversität erklärt.
Da es darum gehen müßte, das Artensterben und die Vernichtung von Ökosystemen nicht nur zu senken, sondern zu stoppen, gelten die auf internationalen Konferenzen beschlossenen Ziele nicht als besonders ehrgeizig. Noch immer geht jährlich eine Waldfläche so groß wie die neuen Bundesländer jährlich verloren, 16.000 Arten sind nachweislich vom Aussterben bedroht, die Plünderung der Meere (JF 45/07) verspielt die Zukunft der kommerziellen Fischerei, weil es in den nächsten Jahrzehnten kaum noch nennenswerte Bestände geben wird.
Was global als Fortschritt der Naturzerstörung erscheint, sieht auch für Deutschland nicht gut aus, da hierzulande 72 Prozent aller Biotoptypen als bedroht gelten, 36 Prozent der 48.000 heimischen Tier- und 27 Prozent der 9.500 Pflanzenarten stehen auf der Roten Liste der gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Arten. Einige Arten nehmen auch wieder zu, namentlich der Biber und die Kormorane. Aber auch hier gilt, was der Volksmund so zum Ausdruck bringt: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.
Wissenschaftler halten Schutzgebiete für das Rückgrat einer umfassenden Strategie für die biologische Vielfalt. Die Politisierung der Biodiversität hat immerhin schon heute dazu beigetragen, daß Schutzgebiete vielfach ausgeweitet wurden. Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach, in den Jahren 2009 bis 2012 500 Millionen Euro für Schutzgebiete aufzuwenden, ab 2013 jährlich 500 Millionen Euro – derzeit ist es die Hälfte.
Ob diese Ziele eingehalten werden, ist noch offen. Ganz andere Themen beschäftigen im Jahre 17 nach dem „Erdgipfel“ die große Politik, wie Greenpeace bissig bemerkt: „Wäre die Welt eine Bank, hättet ihr sie längst gerettet.“
Rettungspläne für die biologische Vielfalt sind auch in Deutschland nötig, weil die Ursachen nicht hinreichend angegangen wurden. Dazu gehört etwa die Konzentration in der Landwirtschaft auf wenige Gemüse oder Kartoffelsorten (JF 18/09). Das verdeutlicht beispielsweise mit Blick auf den deutschen Obstbau auch eine aktuelle, von der Heinz-Sielmann-Stiftung (www.sielmann-stiftung.de) in Auftrag gegebene Untersuchung über Kernobstsorten im 300 Quadratkilometer großen Biotopverbund Bodensee.
Dabei wurden insgesamt mehr als einhundert unterschiedliche Apfel- und Birnensorten gezählt – allerdings konnte bei 59 dieser alten Obstsorten im Untersuchungsgebiet nur noch ein einziger Baum ermittelt werden. „Die Untersuchung bestätigt unser Bemühen, noch vorhandene Streuobstwiesen als wertvolle Biotope gezielt mit Jungbäumen zu ergänzen und zu verjüngen“, erklärte Walter Stelte vom Vorstand der Sielmann-Stiftung. Ein Großteil der wertvollen alten Kulturobstsorten in Deutschland drohe verlorenzugehen. „Wer erinnert sich noch an die Träublesbirne, die Rote Pichelbirne, den Rambur Mortier, Raafs Liebling oder den Pomme d‘Or? Selbst der Salemer Klosterapfel konnte nur an einem einzigen Standort gefunden werden“, beklagt Stelte.
Nur 14 Prozent der dokumentierten Sorten wurden mit mehr als zehn Bäumen ermittelt, darunter eher unbekannte Sorten wie der Danziger Kantapfel, die Goldrenette, die Oberösterreicher Weinbirne, der Transparent aus Croncels. Am wenigsten gefährdet sind der Boskoop und die Schweizer Wasserbirne. Teilweise wurden auch stark überalterte Baumbestände vorgefunden, die aufgrund ihrer geringen Vitalität in naher Zukunft abgeholzt zu werden drohen. Die Erhaltung dieser Obstsorten sei ein wichtiger Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität, so Stelte.
Der – von EU-Vorgaben und den Standardisierungsforderungen des Großhandels beschleunigte – Prozeß der Vereinheitlichung der Kernobstbaumarten ist nicht nur im ausgewählten Untersuchungsgebiet offensichtlich. Bestände können zwar verjüngt werden.
Um das zu realisieren, reicht die kommerzielle Attraktivität der vorhandenen Sorten aber nicht hin. Unter den 3.000 Obstsorten in Deutschland haben nur 60 größere wirtschaftliche Bedeutung. Bundesweite Biotopvernetzungen sind auch hier wichtig, der Erhalt von entsprechenden Flächen vor der Bebauung mit Asphalt und Beton vorrangig. Streuobstwiesen sind ein Beitrag dazu, nicht nur Obstarten zu erhalten, sondern auch die mit ihnen verbundene Artenvielfalt unter den Insekten. Dagegen führen Monokulturen zu einem vermehrten Einsatz von Insektiziden. Im letzten Jahr war das am Oberrhein durch den monokulturartigen Maisanbau besonders schwerwiegend der Fall, da es zum Bienen- und Wildbienensterben kam.
Das sind aber eher Pannen gewesen. Systematische Vernichtungen der Biodiversität finden oft gerade im Namen der Bioenergie statt, da hierfür Regenwald großflächig zerstört wird. Vorausschauend handeln muß letztlich heißen, den kurzfristigen Profit nicht blind zu suchen. Dafür will der Tag der biologischen Vielfalt ein Bewußtsein schaffen. Um den maximalen Erfolg zu erzielen, müssen aber Wissenschaft, Wirtschaft, Konsumenten und Handel mitziehen und die Politik schädliche Subventionen kürzen. Nicht zuletzt wird die globale Bevölkerungszunahme gebremst werden müssen, weil es sonst trotz aller Bemühungen dazu kommt, daß die Welt ziemlich einfältig wird.
Foto: Obstpflückerin auf Apfelplantage: Auch in Deutschland ist die biologische Vielfalt in großer Gefahr