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„Zerschlagt die BRD“

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Der Sommer 2006 war schwarzrotgold, denn anläßlich der Fußball-WM erlebte Deutschland eine von vielen nicht erwartete Patriotismuswelle. Mit anscheinend nachhaltigen Folgen: Vor der WM waren 79,6 Prozent der Deutschen stolz darauf, Deutsche zu sein. Nach der WM waren es sogar 86,4 Prozent. Der Stolz auf die deutsche Geschichte stieg sogar von 36,9 auf 46,2 Prozent. Auch wenn diese Zahlen der letzte Woche vorgestellten Studie "Deutsche Zustände" des Bielefelder Konfliktforschers Wilhelm Heitmeyer von manchen äußerst kritisch hinterfragt werden – Patriotismus war eines der Themen des Jahres.

Auch die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung widmete sich jetzt diesem Thema. Sie lud dazu den geschäftsführenden Redakteur des Manager-Magazins, Henrik Müller, ins Kieler Literaturhaus ein. Der wirtschaftsliberale Journalist sollte die Frage zu beantworten, ob Patriotismus auch als Wirtschaftsfaktor taugt – oder sogar notwendig ist.

Wohlstandseinbußen und Auswanderungswelle

Zunächst identifizierte Müller als Hauptursache des fehlenden Wirtschaftswachstums den "deutschen Blues". Durch diese kollektive mentale Krise bilde sich ein Pessimismus aus, der das Wachstum enorm hemme. Um dieser Misere zu entgehen, fordert Müller – wie in seinem aktuellen Buch "Wirtschaftsfaktor Patriotismus – Vaterlandsliebe in Zeiten der Globalisierung" die Deutschen auf, weniger fatalistisch zu sein. Er untermauerte seine These mit Zahlen, wonach im europäischen Vergleich die Deutschen die Liste derer anführen, die in den nächsten Jahren eine Verschlechterung ihrer Lebensumstände erwarten.

Diese Entwicklung werde durch eine schlechte "Humankapitalausstattung" begünstigt, die auch in den miserablen Pisa-Ergebnissen und im Rückgang der Geburtenzahlen deutlich werde. In Deutschland gebe es zu wenig Akademiker. Zwar sei ein universitärer Abschluß im EU-Ausland oft nicht mit einem deutschen vergleichbar, der Vorteil unserer Nachbarn sei jedoch, daß sie breiter ausgebildet werden, während man in Deutschland mehr in die Tiefe gehe.

Diesen Nachwuchsmangel (auch bei Ingenieuren, JF 51/06) sieht Müller als klares Indiz dafür, daß der Glaube an die Zukunftsfähigkeit der eigenen Nation fehle. Die Folgen solcher Entwicklungen seien eine Wachstumsschwäche des Bruttoinlandsprodukts, Wohlstandseinbußen und eine Auswanderungswelle, wie wir sie momentan erleben.

Im zweiten Abschnitt seines Vortrages versuchte Müller zu klären, warum Deutschland zu einer so mutlosen Nation geworden ist und welchen Ausweg es aus dieser Entwicklung geben könnte. Als die vier Säulen der nationalen Identität macht Müller eine dynamische Tradition, die Religion, Sprache sowie gemeinsame Mythen und Rituale aus.

Da sich der deutsche Kulturraum jedoch nicht auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränke und die Deutschen durch das Dritte Reich völlig traumatisiert seien, könne sich aus diesen Säulen jedoch kein hinreichender Nationalstolz entwickeln. Als Surrogat des Deutschseins habe sich daher die Wirtschaft herausgebildet, die sich durch Qualitätsprodukte "made in Germany" oder das Sozialversicherungssystem auszeichne. Die Deutschen haben sich zu einer Gesellschaft umgebildet, in der das oberste Credo lautete: "Wohlstand für alle". Legt man diese These zugrunde, läßt sich auch erklären, warum die Wiedervereinigung als überragendes Ereignis seit dem Zweiten Weltkrieg fast vollständig verhallte, anstatt eine neue Identität zu stiften. So spiegelten auch zahlreiche Umfragewerte wider, daß für einen Großteil der (West-)Deutschen die Zeit des Wirtschaftswunders eine wesentlich glücklichere war als die Zeit seit 1990. Dies läßt darauf schließen, daß der Bevölkerung das eigene Wohlergehen wichtiger ist, als in einem geeinten Staat zu leben.

Eine weitere Ursache der Verunsicherung verortet Müller europaweit in der Globalisierung, denn die EU biete keine Sicherheit als Nation. Als Indizien dafür seien die abgelehnte EU-Verfassung und die Rückkehr zu nationalen Werten in vielen Mitgliedsstaaten zu werten. Aber auch in Zeiten der Globalisierung, so der Wirtschaftsfachmann, seien Nation und Nationalstaat entscheidende Spieler, denn nur ein belastbares kollektives Selbstbild mache attraktiv für Investitionen und helfe, Talsohlen durchzustehen. Zwar erkannte Müller den momentanen Wirtschaftsaufschwung an – er hält diesen aber angesichts des mangelnden nationalen Selbstverständnisses für wenig belastbar.

Regionalisierung als "Ausweg" für Deutschland

Müller fehlt es insbesondere an patriotischen Führungskräften in der Wirtschaft, die sich auf einen nationalen Komment verständigen, um die Interessen des Landes zu vertreten und voranzutreiben. Insbesondere in größeren Unternehmen sei die Wirtschafselite geradezu antipatriotisch und lasse soziale Verantwortung vermissen, was in der Bevölkerung zu einem weitren Vertrauensverlust in die gesellschaftlichen Institutionen führe.

Bedenklich waren die Schlüsse, die Müller aus seiner Analyse zog. Da er die Lage des gesamten Landes für nicht reparabel ansieht und es für höchst bedenklich, ja sogar gefährlich hält, Patriotismus durch die Politik zu installieren und einzufordern, liegt für ihn die Zukunft in regionalen Zusammenschlüssen. Nur hier könne man unverkrampft mit der Vergangenheit umgehen, da die Verbrechen im Dritten Reich von den Deutschen insgesamt und nicht von einzelnen "regionalen Gruppen" wie etwa den Bayern begangen wurden.

Außerdem sei in vielen Landstrichen noch ein intaktes Wir-Gefühl und eine patriotische Verbundenheit zur Region vorhanden. Mit einer bewußten Überzeichnung, die man ihm nicht ganz glauben mochte, forderte Müller daher, die "BRD" zu zerschlagen. Es sei für ihn denkbar, daß die wirtschaftlich starken Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg irgendwann den föderalen Ausgleichsgedanken aufgeben und ihre eigenen Interessen vorantreiben, da das hohe Maß an nationalem Zusammenhalt nicht gegeben sei, das für das "deutsche Gemeinschaftssystem" nötig wäre.

Auf den interessanten Aspekt der "patriotischen Nachfrage", der sich in Forderungen wie "Buy American" oder "Mit regionalem Einkauf die Umwelt schützen" (Bayerns Verbraucherschutzminister Werner Schnappauf/CSU) äußert, ging Müller leider nicht ein. Dabei hat die patriotische Nachfrage zur Fußball-WM ganz gut funktioniert – auch wenn die meisten Fahnen wohl "made in China" waren.

Henrik Müller: Wirtschaftsfaktor Patriotismus. Vaterlandsliebe in Zeiten der Globalisierung, Eichborn-Verlag, Frankfurt 2006, gebunden, 236 Seiten, 19,90 Euro

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