Auch notorische Nörgler und Miesmacher können es nicht mehr ignorieren: Der Durchbruch am Arbeitsmarkt ist da“, verkündete letzte Woche Arbeitsminister Franz Müntefering. „Erstmals seit Jahren haben wir unter zehn Prozent Arbeitslosigkeit.“ Doch in der frohen Botschaft des Ex-SPD-Chefs steckt viel Schönfärberei, denn die Arbeitslosenzahl ist im Oktober saisonbereinigt nur um 67.000 auf 4,4 Millionen gesunken. Hunderttausende sind zudem „wegretuschiert“ in Ein-Euro-Jobs, zweifelhaften Veranstaltungen wie „Aktives Bewerbertraining“ oder „Eingliederungsmaßnahmen“. Daher sind wohl weiterhin über fünf Millionen Erwerbslose zu verzeichnen. Gleichzeitig streiten Müntefering und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) über eine gerechtere Zahldauer des Arbeitslosengeldes für langjährige Versicherte. Dabei dürfte es an der Finanzierung eigentlich nicht scheitern: Nur 26,5 Milliarden der für 2006 geplanten 50,3 Milliarden Euro Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) fließen überhaupt ins Arbeitslosengeld – der Rest wird für Verwaltung, Überprüfung, „aktive Arbeitsförderung“ und ähnliches verbraucht. Angesichts dessen und der „Hartz“-Diskussion stellt sich die Frage: Geht es auch anders? In Österreich wurde die SPÖ unter anderem mit ihrem Versprechen „800 Euro Grundeinkommen monatlich“ stärkste Partei im Wiener Nationalrat. Auch hierzulande werden in fast allen politischen Lagern Alternativen zur Sozial- und Arbeitsbürokratie diskutiert. Das „Liberale Bürgergeld“ der FDP soll Leistungen wie Sozialhilfe, Arbeitslosengeld II oder Kindergeld ersetzen. Statt vieler Behörden soll diese „negative Einkommensteuer“ allein das Finanzamt auszahlen. Auch bei Grünen und Linkspartei gibt es Konzepte für ein Grundeinkommen. Die CDU diskutiert zumindest im Rahmen der Konrad-Adenauer-Stiftung grundlegend neue Wege. Ein besonders revolutionäres Konzept vertritt ausgerechnet ein schwäbischer Unternehmer: Götz Werner, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Drogeriemarktkette dm, befürwort die Idee des „bedingungslosen Grundeinkommens“ (BGE). Als der 62jährige – nebenbei Professor an der Uni Karlsruhe – vergangenen Monat in der Berlin für sein BGE warb, drängten sich daher an die tausend Leute in den überfüllten Urania-Saal. Werner ist bekennender Anthroposoph, der sich in Fragen der Besteuerung explizit auf Gedanken beruft, die Rudolf Steiner bereits nach dem Ersten Weltkriegs entwickelte. Er sieht spätestens mit der Globalisierung die Notwendigkeit, das bisherige Steuersystem radikal umzubauen. Praktisch sämtliche Steuern, so argumentiert Werner, fänden sich schlußendlich in der Preiskalkulation des Unternehmers wieder. Es sei daher Illusion anzunehmen, daß etwa dessen Einkommensteuer von jemand anderem als dem Endverbraucher bezahlt wird. Während die soziale Belastung durch verschiedene Steuermodelle in Wirklichkeit eine ähnliche sei, ergebe sich für die Wirtschaft ein deutlicher Unterschied. So verteuere eine Konsumsteuer lediglich die Produkte selbst, eine Belastung des Einkommens jedoch die im Produktionsprozeß befindliche Arbeit. Diese wird zu einem Kostenfaktor, der um so größer wird, je mehr soziale Abgaben daran geknüpft sind. Noch fataler wird dieser Rationalisierungsdruck, sobald die Produktion über den staatlichen Rahmen hinauswächst und auf „billige“ ausländische Arbeit trifft, welche auf diese Abgaben und damit verbundenen sozialen Aufgaben verzichtet. Indirekte Konsumsteuer soll Einkommensteuer ersetzen Schlüssig legte Werner dar, daß daher im Zeichen der Globalisierung nur die Konsumsteuer die Hauptsteuer sein kann. Diese neuartige Mehrwertsteuer soll daher allmählich auf bis zu 50 Prozent steigen – gleichzeitig sollen aber Lohn-, Einkommen-, Kapitalertrag-, oder Vermögensteuer abgeschafft werden. Mit dem Effekt, daß deutsche Produkte sich relativ zum Import verbilligen, denn die indirekte Konsumsteuer wird – im Gegensatz zu den genannten direkten Steuern – auch auf eingeführte Waren fällig. Ob das Ganze mit der gegenwärtigen europäischen Gesetzgebung vereinbar ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Probleme ergeben sich auch in der Begründung des BGE. Werner strebt eine Umwandlung des Sozialstaates dergestalt an, daß jedem Bürger ein Einkommen – unabhängig vom kostenintensiv zu prüfenden Sozialstatus – zugesprochen wird. Zunächst soll das BGE auf Hartz-IV-Niveau liegen und allmählich auf 800 bis 1.500 Euro steigen, abhängig von Alter- und Familienstand. Dafür entfallen sämtliche verwaltungsintensiven Sozialleistungen und Steuervergünstigungen, die Verbraucherpreise liegen – zumindest für Importwaren – um 30 Prozent höher. Laut Hamburgischem Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) liegen die Sozialtransfers derzeit schon bei 720 Milliarden Euro jährlich – was fast 750 Euro pro Einwohner monatlich entspräche. Der wesentliche Unterschied zwischen Sozialstaat und BGE ist, daß die Leistungen des ersteren an bestimmte Auflagen geknüpft sind. „Illusorische Forderungen“, wie Werner findet und daher eine Verletzung der Menschenwürde sieht. Daß das BGE viele Bürger zur Untätigkeit verführt, glaubt Werner nicht. Im Gegenteil, es würde ein in der Bevölkerung schlummerndes Potential für soziale oder kulturelle Arbeit geweckt. Die Menschen könnten Freude auch an niedrig bezahlter Arbeit haben. Da ihr Lohn nicht auf das BGE angerechnet wird, würde dies eine Art Kombilohn schaffen. Werners Konzept stößt auf breites Echo berechtigter und unberechtigter Kritik. Doch ihr entgegnet er: „Eine Gesellschaft, die nicht träumen kann, hat keine Zukunft!“ Götz W. Werner: Ein Grund für die Zukunft – Das Grundeinkommen. Interviews und Reaktionen, Verlag Urachhaus, Stuttgart 2006, 128 Seiten, kartoniert, 5 Euro Internetseite der Initiative von Götz Werner: www.unternimm-die-zukunft.de Foto: „Hartz-IV-Kneipe“ in Leipzig: Schlummerndes Potential für soziale oder kulturelle Arbeit wecken