Michael Frenzel, Vorstandsvorsitzender der Touristik Union International (TUI), sieht sein Unternehmen wieder im Aufwind. Der weltgrößte Touristik-Konzern will in der Wintersaison ein Umsatz-Plus von „konzernweit 6,7 Prozent über dem Vorjahr“ erreichen. Damit hofft Frenzel seinen Konzern aus der schweren Krise der Reise-Branche herausführen zu können – und sieht sein Konzept des „Alles unter einem Dach“ bestätigt. Kritiker sind jedoch skeptisch. Nach dem tiefen Sturz in die roten Zahlen im ersten Halbjahr 2003 wies die 1968 in Hannover gegründete TUI mit einer halben Milliarde Euro im dritten Quartal für das Kerngeschäft Touristik wieder ein Ergebnis unter dem Vorjahresniveau auf. Das Geschäftsmodell eines „integrierten Konzerns“, des „Alles unter einem Dach“, mit einer Erlöskette vom Reiseverkauf über eigene Flugzeuge bis hin zu eigenen Hotels stößt in der Reisebranche auf immer härtere Kritik – nicht zuletzt nach dem Rauswurf von Frenzel-Konkurrent Stefan Pichler. Der Chef von Europas zweitgrößtem Tourismuskonzern Thomas Cook, der im Wettstreit mit Frenzel ebenfalls einen integrierten Reisekonzern schmieden wollte, mußte Anfang November wegen unerwartet schlechter Zahlen seinen Hut nehmen. Als sich Frenzel Ende der neunziger Jahre auf den Weg machte, um den damaligen großindustriellen Gemischtwarenladen in Richtung integrierten Tourismus-Konzern zu trimmen, sahen die Zeiten in der Sonnenscheinbranche noch vielversprechend aus. Wachstumsraten von mehr als zehn Prozent waren an der Tagesordnung und ließen Frenzel glauben, sich mit seinen Ergebnissen vom Auf und Ab der Konjunktur abkoppeln zu können. Das Wort „Unsere Kunden sparen überall, nur nicht beim Urlaub“ brachte die Branche in Hochstimmung. Schluß damit war am 11. September 2001. Die Selbstmordanschläge in den USA stürzten die Sonnenschein-Verkäufer aus ihrer Euphorie in die tiefste Krise aller Zeiten – und rissen die TUI mit. Und die Horror-Nachrichten nahmen kein Ende: Anschläge auf deutsche TUI-Touristen in Tunesien, das Attentat auf Bali, der Irak-Krieg, die Sars-Seuche in Asien – dazu kamen eine dümpelnde Konjunktur und allgemeiner Konsumfrust, die den gesamten Reisemarkt nicht aus dem Tief kommen ließen. Trotz der völlig veränderten Weltlage und des zurückhaltenden Verhaltens der Verbraucher, die nunmehr lieber zu Hause blieben oder die heimische See- und Bergwelt wiederentdeckten, blieb Frenzel starr bei seinem Konzept und reagiert ausschließlich mit konventionellen Mitteln. Auf der einen Seite zwang er dem Konzern ein schmerzhaftes Sparprogramm mit Stellenabbau auf, gleichzeitig sollten gesenkte Preise die Nachfrage ankurbeln. Es nutzte wenig. Denn Konkurrenten ohne kapitalintensive Beteiligungen an Fluggesellschaften und Hotelketten schlugen sich in dem schlechten Umfeld besser. Dennoch will Analyst Christian Obst von der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank das „Frenzel-Modell“ vom intergrierten Reisekonzern „noch nicht als gescheitert“ ansehen. Die Marktschwäche sei zu einem Zeitpunkt gekommen, als TUI „operativ noch nicht voll auf der Höhe war“. Allerdings, so schränkt er ein, habe das integrierte Modell „auch noch nicht beweisen können, daß es in der Krise ausreichend Rendite abwerfen“ könne. In der Branchen-Krise verlieren integrierte Konzerne wie TUI und Thomas Cook bei allen Gliedern der Kette Geld, meinen Experten wie Torsten Kirstges, Professor für Tourismuswirtschaft an der Fachhochschule Wilhelmshaven. Sie könnten zudem nicht so flexibel auf die Krise reagieren wie jeweilige Spezialisten für Flug, Buchung und Reisebausteine. Überdies geht der Überblick, damit die straffe koordinierte Führung der Tausenden weltweit tätigen Mitarbeiter verloren. So taumelt das „Time Share“-Geschäft mit Teilzeit-Immobilien beispielsweise auf Gran Canaria oder Kreta von einer Führungskrise in die andere – ohne daß die Konzernzentrale in Hannover den Überblick zu haben scheint. Statt dessen wird sie plötzlich mit Dutzenden Kündigungen von Führungskräften konfrontiert, die sie erst vor Gericht wiedersieht. Der integrierte Konzern muß vor allem eine höchstmögliche Auslastung der einst lukrativen Erlösfelder Flug und Hotel erreichen, sonst hakt es. Doch gerade die Überkapazitäten im Flugverkehr, die auch zum Ende des Ferienfliegers Aero Lloyd führten, haben der Branche in diesem Sommer massive Probleme bereitet. Um ihre konzerneigenen Flieger wenigsten annähernd voll zu bekommen, verschleuderten die Veranstalter ihre Reisen zu Schnäppchenpreisen – zugleich sanken aber die Erträge. Das Konzept bei Thomas Cook „ist grandios gescheitert“, urteilte daher bereits das Branchenblatt Touristik Report. Und auch der Spiegel (32/03) hielt „die Alles-unter-einem-Dach-Philosophie“ für „überholt“. Dennoch bleibt Frenzel unbeirrt: Die TUI will auch künftig die Produktion von Flug und Hotel selbst übernehmen – die reine Vermittlung von Reisen werfe viel zu niedrige Gewinnmargen ab. Doch allem Optimismus der TUI-Vorstandsetage zum Trotz sehen die Zahlen – näher betrachtet – alles andere als rosig aus. Der Konzern hinkt im Kerngeschäft Touristik dem Vorjahresergebnis um 40 Prozent hinterher. Irak-Krieg, Lungenkrankheit Sars und anhaltende Konjunktur-Flaute hatten der TUI den an sich schönen Reise-Sommer verhagelt. Und der Vergleich mit 2001 sieht noch drastischer aus: Damals verzeichnete der Konzern – noch ohne die Auswirkungen der Terroranschläge am 11. September – in der Vergleichszeit ein Touristik-Ergebnis von 604 Millionen Euro, doppelt soviel wie in diesem Jahr. Gerettet haben die TUI in diesem Jahr vor allem die Verkäufe des letzten großen Tafelsilbers. Dieser Verkauf der Preussag Energie und der Ruhrgas-Beteiligung, für die im ersten Halbjahr 969 Millionen Euro eingestellt werden konnten, ließen das Minus in der Touristik nahezu unsichtbar erscheinen. Allein hierdurch legte das Konzern-Ergebnis in 2003 um 423 Millionen auf 1.049 Milliarden Euro zu. Auch das gute Geschäft in der Logistik-Sparte hatte daran Anteil – doch die Konzeptions-Krise des Konzerns und seines traditionellen Kerngeschäfts konnte es nur verschleiern, nicht beheben.