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Taufkirchen läßt grüßen: „Mia san in Bayern und sogn Griaß God!“

Taufkirchen läßt grüßen: „Mia san in Bayern und sogn Griaß God!“

Taufkirchen läßt grüßen: „Mia san in Bayern und sogn Griaß God!“

 

Taufkirchen läßt grüßen: „Mia san in Bayern und sogn Griaß God!“

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Musik kommt aus den Kopfhörern, aber kein Wort des Grußes über die Lippen: In ganz Deutschland macht sich eine „Grußlosigkeit“ breit, die jede Spur gemeinschaftlichen Miteinanders missen läßt –  in der Stadt wie auf dem Land. Das kleine Taufkirchen im Landkreis München hat dem allgemeinen Grußmuffel den Kampf angesagt – mit seiner bundesweit beachteten „Hallo-Initiative“. 

„Ein Fremder, keiner aus Bayern“, muß sich der ältere Herr gedacht haben. „Grüß Gott“ hatte ich ihm betont freundlich zugerufen –  doch keine Antwort bekommen, nur einen mißtrauischen, fast irritierten Blick. Na gut, es ist Wiesnzeit – da wird man nun einmal komisch angeschaut, wenn man ohne Lederhose und kariertes Hemd daherkommt, denke ich mir. Doch wie der ältere Herr reagieren auf meinem Weg zum Taufkirchener Rathaus viele Bürger –  zu viele für eine Ortschaft, welche von der Süddeutschen Zeitung noch im Juni zur „freundlichsten Gemeinde der Welt“ gekürt wurde, sollte man meinen. 

Kein Wettbewerb und keine Rangliste haben dem beschaulichen Taufkirchen am Stadtrand Münchens zu dieser Ehre verholfen, sondern der gute Wille. Genauer gesagt der Wille von Bürgermeister Jörg Pötke, der vor drei Monaten die „Hallo-Initiative“ ins Leben gerufen hat. Hinter der banal anmutenden Formulierung steckt ein lobenswertes Ziel: „Ein Gruß ist der Beginn jedweder Kommunikation“, hatte Pötke im Juni dem Nachrichtensender N24 erklärt: „Daraus entsteht in einem zweiten Schritt Nachbarschaftshilfe!“ Für eine kleine Gemeinde wie Taufkirchen sei das unerläßlich. Zu diesem Zweck hatten Pötke und seine Gemeinderatsfraktion „Initiative für ein lebenswertes Taufkirchen“ ein eigenes Lenkungsteam damit beauftragt, die Bürger wieder zum Grüßen zu motivieren: Einfacher gesagt als getan: Wie stellt man das an? 

„Ein kurzes Grüß Gott tut doch keinem weh!“ 

Inzwischen bin ich am Rathaus angelangt und werde ebenso freundlich wie bayerisch empfangen: Pötkes Sekretärin bietet mir im Dirndl sofort einen Kaffee an, wenig später nimmt sich auch der Rathauschef selbst Zeit – selbstredend in Lederhose und kariertem Hemd. Wie er überhaupt zu seiner „Vision“, wie manche Medien die Initiative betitelt hätten, gekommen sei, will ich von ihm wissen und lasse ihn erst einmal erzählen. „Mir ist beim Spaziergang durch die Straßen aufgefallen, daß die Bürger mit einer Art Tunnelblick aneinander vorbeigehen“, erzählt er. Natürlich müsse man nicht jedem am Bahnhof die Hand schütteln. „Aber so ein kurzes Grüß Gott tut doch keinem weh!“ 

Was mit verbalen Anregungen bei seiner Rede zum Jahresempfang 2011 begonnen habe, das habe er letztlich auch in die Praxis umsetzen wollen. „Ende Juni haben wir uns dann frühmorgens an den Bahnhof gestellt und die Buttons verteilt“, sagt Pötke und reicht mir einen grell orangefarbenen Anstecker, auf dem ein großes „Hallo“ prangt. „5.000 Buttons haben wir anfertigen lassen – und alle verteilt“, berichtet Pötke zufrieden: „Die Leute haben die Anstecker sogar ein paar Tage getragen und sind damit in die Stadt gefahren!“ Zudem habe er Grußtransparente über den Straßen Taufkirchens anbringen lassen und einen Aufruf im Gemeindeblatt verfaßt. Eine Kopie schiebt er mir sogleich über den Tisch: Unter einem überdimensionalen „Hallo“-Button ist zu lesen: „Taufkirchens Bürger grüßen sich!“ 

Ob die Taufkirchener denn besonders unfreundlich seien, was das Grüßen betreffe, will ich wissen und führe meine Erfahrungen an, die ich auf dem Weg zum Rathaus gesammelt habe. „Nein, das sicher nicht!“ lacht Pötke. „Grußlosigkeit“ sei ein deutschlandweit verbreitetes Phänomen. „Mir wurde der verschlossene Umgang ohne offenes Aufeinanderzugehen von meinen Eltern vorgelebt“, bekennt der gebürtige Hamburger: „Im Norden ist das sogar noch viel schlimmer.“ Darauf aber dürfe man sich in Bayern nicht ausruhen: „Auch hier ist da noch viel Luft nach oben!“ 

„In einer Kaserne, da grüßt man jeden“

„Wenn ich in den Bergen wandern gehe“, beginnt Pötke und zeigt mit dem Arm in Richtung der Alpen, die man an einem Föhntag wie dem heutigen deutlich erkennen kann, „dann wäre es unvorstellbar, einen vorbeikommenden Wanderer nicht zu grüßen!“ Warum das anders sei, sobald man die Wanderschuhe ausgezogen habe und wieder im Flachland verkehre, das verstehe er selbst nicht; gerade weil man sich in einem Ort wie Taufkirchen ständig über den Weg laufe, den Wanderer in den Alpen aber wohl nie wiedersehe.

Als ich „Wandern“ und „Berge“ höre, muß ich an meinen Wehrdienst in der Gebirgsjägerbrigade denken und unmittelbar auch an das Grußverhalten innerhalb der Kaserne: „In einer Kaserne, da grüßt man jeden, den fremden Gefreiten wie den Bataillonskommandeur“, ergänze ich Pötkes Beobachtungen. „Vielleicht liegts ja an einer Art Schicksalsgemeinschaft, daß man einander grüßt“, überlegt Pötke. Man teile das Schicksal, zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu wandern, seinen Wehrdienst abzuleisten oder spazieren zu gehen. „Das Grußverhalten hat viel mit Gemeinsamkeiten zu tun“, sagt er, „mit gemeinsamer Berufs- oder Einkommensgruppe, gemeinsamen Werten oder gemeinsamer Herkunft.“ Auch deshalb sei das Grüßen die Basis jedes gesellschaftlichen Miteinanders. 

„Sehen Sie in der Grußinitiative nicht auch einen Affront gegen Zeitgeist und Werteverfall?“ will ich von ihm wissen und bekenne mich als Konservativer –  was umgehend mit einem „Outing“ als Alt-68er beantwortet wird: „Wir wollten damals alles abschaffen, es durfte nichts bleiben, wie es war“, bekennt Pötke. Das habe nicht nur positive Auswirkungen gehabt. Allerdings wolle er das abgekühlte Grußverhalten nicht „wie so vieles“ den 68ern in die Schuhe schieben: „Ohnehin will ich mit dieser Initiative keine gesellschaftliche Pflicht, keinen Grußzwang wiederaufleben lassen!“ Das Grüßen sei erst freundlich, wenn es freiwillig geschehe. 

Es gibt natürlich auch immer Nörgler

Als Hauptgrund für die fehlende Grußbereitschaft sieht Taufkirchens Bürgermeister weder Unhöflichkeit noch Schüchternheit: „Das ist eine mit der Zeit gewachsene Hemmschwelle, die wir abbauen müssen.“ Das klingt deutlich nüchterner als noch zu Beginn der Grußinitiative vor drei Monaten, als er sich in Zeitungsinterviews eine „lawinenartige Ausbreitung“ seiner Idee wünschte. Trotzdem ist der Bürgermeister insgesamt zufrieden: „Ich glaube, wir haben durchaus etwas wachgerüttelt, gerade unter den Jüngeren.“ Der „Hallo“-Button sei ein, zwei Wochen sogar richtig „hip“ gewesen: „Kaum hatten wir einer Schulklasse die Buttons an die Bluse gesteckt, rief eine Klasse nach der anderen an: ‘Die wollen wir auch!‘“, erzählt er. 

Insgesamt gestalte sich eine Evaluation über den Erfolg der Aktion aber schwierig. „Als Bürgermeister werde ich natürlich öfter gegrüßt, weil mich mehr Menschen kennen“, er wünsche sich aber eine größere Grußbereitschaft unter den Taufkirchenern selber und darauf aufbauend auch neue freundschaftliche und gemeinschaftliche Bande im Ort. Was die Bürger zu seiner Initiative sagen? Viele positive Zuschriften hätten das Rathaus im zeitlichen Umfeld der Aktion erreicht. „Aber es gibt natürlich immer die Nörgler, die sagen: Das brauchen wir nicht, wir grüßen uns auch ohne Nachhilfe aus dem Rathaus!“ 

Einfacher sei die mediale Bilanz zu ziehen: „Aus ganz Deutschland kamen Anfragen, das Telefon stand nicht still!“ Kommunen aus ganz Deutschland hätten sich für die Initiative interessiert und Material aus Taufkirchen angefordert. „Sogar Journalisten aus Serbien wollten über uns berichten“, erzählt mir Pötke stolz: Zwischenzeitlich hätten das Rathaus der 19.000-Seelen-Gemeinde gar Anfragen in „irgendwelchen unlesbaren Schriften“ erreicht. So überraschend also doch nicht, sich als Stuttgarter auf den Weg gemacht zu haben, um den Bürgermeister des kleinen Taufkirchens zu interviewen, denke ich mir und rücke meine Unterlagen zusammen.

„Freuen tuts mi scho, wenn I grüßt werde“

Der Bürgermeister verabschiedet mich freundlich und rät mir, doch noch das Oktoberfest zu besuchen, wenn ich schon einmal in München sei. Aber so ganz alleine? Da mische ich mich lieber noch ein bißchen unter die Taufkirchener und höre mich um. 

Ob sich im Grußverhalten der Bürger etwas verändert hätte, frage ich einen Jungen nahe des Rathauses, doch der schüttelt nur den Kopf: „Viele Schüler haben diese Buttons tatsächlich getragen – aber ob sie deswegen jetzt öfter grüßen? Ich glaube nicht. „Hallo-Initiative?“ wundert sich eine junge Frau, die gerade ihren Briefkasten leert: „Nie von gehört!“

Eine ältere Dame, die mir einige Meter weiter über den Weg läuft, kann da klarer Stellung beziehen: „Des ist zwoar nen Schmarrn gwesen, des mit diesen Ansteckern: Aber freuen tuts mi scho, wenn I grüßt werde: Des gehört einfach dazu in ner Gemeinde!“ Ähnlich sieht das ein Ehepaar, das am Bahnhof auf die nächste S-Bahn wartet. In Taufkirchen sei „Grußlosigkeit“ aber nie ein Problem gewesen: „Weder bei den Älteren noch bei der Jugend.“ Die Initiative habe trotzdem einen positiven Impuls gesetzt. Da klinkt sich ein junger Mann ein, der dem Gespräch gelauscht hat: „Ich brauche keine Rathausaktion, damit ich meine Nachbarn grüße!“

„Wir sin immerhin nicht in Deutschland hier“

Die Wirtin einer Bahnhofskneipe, wo ich vor der Heimreise noch etwas esse, stört weniger Pötkes Aktion selbst, als die Ausdrucksweise. „Mir soagn in Bayern Griaß God und sonst nichts, da muß dieser Hamburger Pötke nicht meinen, er müßt hier das Hallo einführen!“ Ein „Hallo“ würde sie vielleicht „dem Hund doa“ zuwerfen, der just im Moment hinter seinem Herrchen vorbeispaziert: „Aber keim Mitbürger!“ Die Dame scheint mit ihrer Kritik am zu norddeutschen „Hallo“ nicht alleine zu sein. „Sehen’s amal“, sagt sie und reicht mir einen Aufkleber: „Mia redn Boarisch: Mia san in Bayern und sogn Griaß God!“ steht darauf, gezeichnet von einer Bürgerinitiative namens „Mia redn Boarisch“.

„Wir sin immerhin nicht in Deutschland hier“, grinst sie und serviert mir selbstgemachte bayerische Dampfnudeln: „Die sind für Sie, probierens mal! Vielleicht schreibens dann amal a Reportage über urige bayerische Kneipen!“

Lukas Lange belegte mit diesem Beitrag beim Jungautoren-Wettbewerb der JUNGEN FREIHEIT 2011 den 2. Platz

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