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Zukunft Altersarmut

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Dank der mutigen Initiative des jungen CDU-Bundestagsabgeordneten Jens Spahn gegen die außerplanmäßige Rentenerhöhung der Großen Koalition im März wird in der CDU über die Rentenversicherung diskutiert. Spahn, im Münsterland direkt gewählt, hatte davor gewarnt, mit der Linkspartei in einen Wettbewerb sozialer Wohltaten einzutreten, und dafür plädiert, der Vernunft wegen strikt bei der beschlossenen Rentenreform zu bleiben. Sein nordrhein-westfälischer Ministerpräsident Jürgen Rüttgers will dagegen die SPD auf diesem Felde links überholen: Rüttgers möchte, daß Geringverdiener, die 35 Jahre in die Rentenkasse Beiträge eingezahlt haben, in Zukunft mehr Rente bekommen als nur die bedarfsgerechte Grundsicherung, die jeder Rentner unabhängig von seinen Einzahlungen erhält. Um Rüttgers‘ Absicht allerdings beurteilen zu können, muß klar sein, welche Jahrgänge und Rentenzahldauern gemeint sind. Durch den Fleiß und die Aufbauarbeit der Jahrgänge 1928 bis 1936 ist die Bundesrepublik Deutschland ein Hochlohnland geworden. Es fallen für den Arbeitgeber beträchtliche Lohnnebenkosten an. Die Beiträge für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung betragen zur Zeit insgesamt 39,8 Prozent des Bruttolohns. Die eine Hälfte zahlen die Arbeitnehmer, die andere Hälfte der Arbeitgeber. Der Arbeitgeber überweist alles zusammen an die gesetzlichen Krankenkassen, welche die Beiträge dann an die Arbeitslosen-, Renten- und Pflegeversicherung weiterleiten. Bei 2.500 Euro Durchschnittseinkommen sind dies 497,50 Euro Arbeitgeberanteil pro Mitarbeiter und pro Monat. Die Arbeitnehmer zahlen noch einmal das gleiche und zusätzlich 0,9 Prozent an die Krankenkasse für Zahnersatz und Tagegeld. Die Sozialabgaben sind natürlich auch deshalb so hoch, weil in diesem Land seit 1972 mehr Bahren als Kinderwiegen stehen und ältere Menschen erwarten, daß immer weniger jüngere sie und ihre steigenden Erwartungen finanzieren. Bei der gesetzlichen Rente kommt folgendes hinzu: Auch wenn der monatliche Zahlbetrag der Rente nicht sehr hoch scheint, werden den Neurentnern der letzten sechs Jahre durch die lange Laufzeit (im Durchschnitt 16 Jahre bei Männern, 20 Jahre bei Frauen) das Doppelte dessen an gesetzlicher Rente ausgezahlt, als sie zusammen mit ihren Arbeitgebern eingezahlt haben (Quelle: Deutsche Rentenversicherung). Heute wird von immer weniger Erwerbstätigen erwartet, immer mehr Rentner länger zu finanzieren, als diese einst selbst ihren Eltern an Rente bezahlt haben. Auch wenn es schmerzlich ist: Rentenerhöhungen sind nicht zu rechtfertigen. Die obengenannten Jahrgänge haben aber auch durch ihre geringe Geburtenzahl ungewollte Junggesellenschaft im Bereich der geburtenstarken Jahrgänge verursacht. Nach der aktuellen Rentenformel erhalten die Verursacher des demographischen Problems die höchste Rendite aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Wenn dann die Menschen der geburtenstarken sechziger Jahre ab 2026 in Rente gehen, wird – nach Berechnungen von Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg – der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung bei 21 bis 22 Prozent liegen. Heute entspricht ein von der Rentenversicherung festgelegtes Durchschnittsjahreseinkommen von 29.820 Euro für 2008 einem Entgeltpunkt von 26,27 Euro im Alt-Bundesgebiet; für die neuen Bundesländer ergibt ein Jahreseinkommen von 26.400 Euro einen Entgeltpunkt von 23,09 Euro (Quelle: Deutsche Rentenversicherung, Sozialgesetzbuch VI). Die Menge der persönlichen Entgeltpunkte wird mit dem Euro-Betrag pro Entgeltpunkt multipliziert. Persönliche Abschläge durch vorzeitigen Rentenbeginn oder weniger Entgeltpunkte können die monatliche Rentenzahlung selbstredend verringern. Die ab 1960 Geborenen erhalten über ihre zu erwartende Rentenzahlungsdauer von 20 Jahren bei den Männern und 24 Jahren bei den Frauen das heraus, was sie eingezahlt haben – aber es wird nicht zur Deckung der Lebenshaltungskosten im Alter reichen. Die Beiträge werden weiter bis auf 27 Prozent in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), 36 Prozent in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und auf 7 Prozent in der Gesetzlichen Pflegeversicherung (GPV) steigen, so Raffelhüschen. Zukünftige Steigerungen von Löhnen und Gehältern werden keineswegs so üppig sein, daß sie die Abzüge auffangen könnten. Schon die ab 1983 Geborenen werden weniger an Rente erhalten, als sie eingezahlt haben. Heute, wo die Jungen erwerbstätig sind, nehmen steigende Abzüge ihnen die Möglichkeit zur ausreichenden persönlichen Vorsorge. Die Rentenbeiträge könnten kleiner sein, wenn die heutigen Rentner nicht mehr erhielten, als sie eingezahlt haben. Ein Umlagesystem braucht eben Beitragszahler und Kinder. Die Kinder von heute sind die Erwerbstätigen und Beitragszahler von morgen. Statt für die eigenen Eltern werden ihre Rentenbeiträge jedoch für Kinderlose und Fremde verwendet. Kinderlose Doppelverdiener („Dinkies“) mit zwei Höchstrenten erhalten am meisten aus der Rentenversicherung, ohne vorher mit den Familien zu teilen! Deshalb wäre es vollkommen legitim, bei der Berechnung der Rentenhöhe auch die Anzahl der wiederum Beiträge zahlenden Kinder zu 50 Prozent zu berücksichtigen. Denn besonders in der Rentenversicherung muß wieder gelten: „Wer nicht sät, kann auch nicht ernten.“ Für ein Volk, das sich so ums Kinderkriegen drückt wie das unsere, kann es keine Rentner geben. Die Beiträge werden in der Hauptsache deswegen steigen, weil seit Jahrzehnten die Geburtenrate des Volkes zu gering ist. Die Zahl der Erwerbstätigen wird ab 2013 um ca. 200.000 jährlich abnehmen, hat Hermann Adrian von der Universität Mainz errechnet. Bis 2050 sind das 7,5 Millionen Erwerbstätige, die in Rente gehen, aber an keinen Nachfolger übergeben können. Die Bundesregierung versucht dem durch die Förderung der verstärkten Rückkehr von Frauen nach der Geburt ihres Kindes an den Arbeitsplatz entgegenzuwirken. Das Problem der zu wenigen Geburten wird derweil vertagt auf 2033, wenn die 2013 Geborenen 20 Jahre alt sind und zuwenig Jahrgangsgenossen haben. Die Anzahl der Frauen im gebärfähigen Alter wird dann mit 16 Millionen aber zu gering sein, um die Katastrophe abwenden zu können (Bundesamt für Statistik, Altersaufbau in Deutschland 1959-2050). Wieder einer Million Kinder jährlich das Leben zu schenken, ist aber Aufgabe der heute Zwanzig- bis Vierzigjährigen. Es kann nicht vorrangig um eine möglichst schnelle Integration von Frauen in den Arbeitsprozeß gehen, sondern um die Wahlfreiheit der Eheleute zur Gestaltung ihrer Familiengröße, was eine staatliche Familienpolitik voraussetzt, die diesen Namen auch verdient. Die Bevölkerungszahl in Deutschland kann, wenn man die pessimistischste Variante der Berechnungen des Bundesamts für Statistik ansetzt, bis auf 25 Millionen zum Ende des Jahrhunderts sinken. Nebenbei bemerkt: Wenn es den deutschen Frauen nicht gelingt, deutlich gebärfreudiger zu werden, ihre Geburtenrate auf das bestandserhaltende Niveau von 2,1 Kindern zu erhöhen, andererseits aber die Geburtenrate ausländischer Frauen weiter bei 1,9 Kindern bleibt, ist für das Jahr 2050 nur noch von 200.000 Geburten deutschstämmiger Kinder auszugehen. Hier lebende Ausländer werden dann mit 300.000 Geburten das Gesicht Deutschlands praktisch unumkehrbar verändern. Das Jahr 2050 klingt noch nach ferner Zukunft; die heute geborenen Kinder sind dann so alt wie heute die 1966 geborenen: 42 Jahre. Ein Durchschnittsbeitragszahler (West) mit 29.820 Euro Jahreseinkommen und 26,27 Euro pro Entgeltpunkt füllt heute die Rentenkasse, erhält aber keine ausreichende Absicherung im Alter. Bei Arbeitnehmerinnen mit kleineren Einkommen und weniger Beitragsjahren, zum Beispiel durch Betreuung der eigenen Kinder, ist das Altersarmutsrisiko noch höher. NRW-Ministerpräsident Rüttgers hat zwar recht, wenn er darauf hinweist, daß wir in Zukunft mit Altersarmut zu rechnen haben; der zweite Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vom Mai 2008 bestätigt dies. Aber Rüttgers‘ Vorschlag nutzt nur denjenigen, die gegenwärtig Rente beziehen, und nicht der großen Menge derjenigen, die in Zukunft von Altersarmut betroffen sind. Diese würden ihre begrenzten Geldmittel gewiß lieber effizienter anlegen, um im Alter ein Auskommen zu haben. Geringverdiener und die meisten ab 1960 Geborenen können sich den Vorschlag von Rüttgers nicht leisten. Dessen Ansinnen ist der Versuch, über die gesetzliche Rentenversicherung für die drei Wahlen des nächsten Jahres in Nordrhein-Westfalen und insbesondere für die nordrhein-westfälische Landtagswahl 2010 Rentner als Wähler zu gewinnen – Klientelpolitik par excellence. Aus den ihm vorliegenden Analysen und dem demographischen Problem zieht Rüttgers den Schluß, daß seine potentiellen Wähler unter anderem Singles und die jetzigen Rentner sind – daher die Orientierung seiner Politik an deren Interessenlagen. Wer das demographische Problem jedoch ernst nimmt und es bewältigen will, berücksichtigt bei seiner Politik die Verhinderung weiteren Unrechts durch die Verursacher und Gewinnler der jetzigen Situation und beendet die Benachteiligung der bisherigen Opfer der Unionspolitik. Zukunftsgewandte Politik muß sich an der Sache, in diesem Fall den mathematisch möglichen Varianten, und nicht an kurzsichtigen Wählerinteressen ausrichten: Die Titanic sank auch ohne Zustimmung in der ersten Klasse! Fürchtet die Union, daß die wahren Bevölkerungszahlen sowie die Daten der Rentenversicherung den Wählern bekanntwerden? Über die Niederungen politischer Entscheidungsprozesse braucht man sich keine Illusionen zu machen – auch der 27 Jahre alte Jens Spahn konnte nichts ausrichten. Doch die tatsächlichen Zusammenhänge werden sich über kurz oder lang nicht mehr vertuschen lassen. Es ist höchste Eisenbahn, daß sich die ab 1960 Geborenen gegen eine Politik zur Wehr setzen, die – statt Rückstellungen für die soziale Absicherung der Jüngeren zu bilden – lieber mit Rentenerhöhungen vor Wahljahren ihre Wählerstimmen einkauft und dabei die Zukunft der Nation verspielt. Michael Lennartz , Jahrgang 1964, ist Versicherungsfachmann (BWV). Auf dem Forum der JUNGEN FREIHEIT schrieb er zuletzt über die Familienpolitik der Großen Koalition (JF 46/07). Foto: Kinderlose Doppelverdiener im Lebensgenuß: Es wäre vollkommen legitim und der Rentengerechtigkeit halber erforderlich, bei der Ermittlung der persönlichen Rentenhöhe auch die Zahl der wiederum Beiträge zahlenden Kinder zu berücksichtigen.

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