Einwanderer im Polizeidienst sind für Sozialstrategen so etwas wie die sprichwörtliche „eierlegende Wollmilchsau“: Sie sollen die Polizeiarbeit in multikulturellen Parallelgesellschaften erleichtern, dabei zugleich die Integration derselben vorantreiben und auch noch künftigen Nachwuchssorgen vorbeugen. Innenpolitiker aller Parteien sind sich im Prinzip einig, den Einwandereranteil in den Landespolizeien signifikant zu erhöhen. In mehreren Bundesländern laufen bereits gezielte Werbekampagnen. Auch im europäischen Vergleich liegt das vermeintliche Patentrezept voll im Trend. Die praxistaugliche und rechtsstaatskonforme Realisierung ist indes leichter gefordert als getan – von den langfristigen Folgen für die Polizei als Verkörperung staatlicher Hoheit und Souveränität ganz zu schweigen. Seit Anfang der Neunziger werben Länderpolizeien wie die nordrhein-westfälische gezielt um Kollegen „mit Migrationshintergrund“ – im pragmatischen Behördenslang wird der sperrige Begriff gern auf „MH-Beamte“ verkürzt. Im Aktionismus im Zeichen von Mölln (1992) und Solingen (1993) lockerte man gar eine wesentliche Einstellungshürde, die den Zugang zum Polizeidienst – immerhin mit Militär und Justiz eine Säule staatlicher Hoheit und Garant des staatlichen Gewaltmonopols – an die deutsche Staatsbürgerschaft koppelt. „Dieses ‚Deutschen-Privileg‘ löst sich seit 1993 langsam auf“, konstatiert der Soziologe und Verwaltungswirt Rafael Behr im Organ der Gewerkschaft der Polizei (11/2007). Hessen bemüht dazu seit 1994 eine Bestimmung in seinem Beamtengesetz, das eine Ausnahme von der Zugangsbeschränkung auf deutsche und EU-Bürger zuläßt, wenn für die Gewinnung eines Beamten „ein dringendes dienstliches Bedürfnis“ besteht. Inzwischen genügt in den meisten Ländern eine Niederlassungserlaubnis. Den Anwerbe-Eifer konnte nicht einmal der Sam-Meffire-Flop bremsen. Sam Njankono Meffire, 1970 bei Leipzig als Sohn einer Deutschen und eines Kameruners geboren, hatte sich schon mit 16 bei der „Volkspolizei“ beworben und war abgeblitzt – angeblich wegen seiner Hautfarbe. 1992 zur Kripo-Ausbildung zugelassen, zeigte Meffire bald charakterliche Defizite. Kollegen schilderten ihn als Großmaul und Rambo-Typ, der sich mit Vorliebe seiner Freundschaft zum damaligen sächsischen Innenminister Heinz Eggert brüstete. Der zeigte sich gern mit dem Vorzeige-Einwandererkind im Polizei-dienst, die Plakatkampagne „Ein Sachse“ machte ihn bundesweit bekannt und geriet zum PR-Desaster. 1994 quittierte Meffire den Polizeidienst, ging mit einer Sicherheitsfirma baden, rutschte ins Rotlichtmilieu ab und kam wieder aufs Plakat – ein Fahndungsplakat, das den mehrfachen Räuber suchte. Nach Verbüßen seiner Haftstrafe schlägt sich Meffire als Sozialarbeiter durch und will ein „Boot Camp“ für kriminelle Jugendliche gründen. Ein Einzelfall, gewiß. Die politisch gewünschte Erhöhung des Einwandereranteils im Polizeidienst blieb dennoch hinter den Erwartungen zurück. Zum einen fanden sich zu wenig geeignete Bewerber; viele scheiterten schon an den sprachlichen und Bildungsvoraussetzungen. Fachhochschulreife oder Abitur konnten die wenigsten vorweisen, erläuterte NRW-Innenminister Ingo Wolf im September 2006 vor dem Landtag. Zum zweiten gibt es gerade bei den besonders umworbenen türkischen und arabischen Einwanderern massive eigene Vorbehalte. Polizist ist in diesen Ländern ein verachteter Beruf, dazu kommen noch feindselige Einstellungen aus der Parallelgesellschaft gegenüber der Noch-Mehrheitsgesellschaft und ihren Hoheitsträgern. Ende der Neunziger eskalierte in Berlin ein Polizeieinsatz, als eine türkische Menge sich den Beamten widersetzte (so etwas gab es auch damals schon); das Auftreten einer türkischstämmigen Beamtin wirkte nicht beschwichtigend, sondern heizte die Stimmung zusätzlich an, die Polizistin wurde als „Verräterin“ und derber tituliert und angegriffen. Subjektives Sich-diskriminiert-Fühlen mag ebenfalls manchen von der Bewerbung absehen lassen; im Polizeialltag sind es freilich eher rechtskulturelle Differenzen, die Befremden zwischen einheimischen und Einwandererkollegen entstehen lassen, etwa wenn der türkische Uniformierte meint, einen Fall häuslicher Gewalt durch Palaver mit dem Familienoberhaupt „regeln“ zu können, und der deutsche Kollege nichts verstehend zusehen muß. Entscheidend für das Verhältnis zwischen deutschen und ausländischen Kollegen im Polizeialltag, meint Rafael Behr auf der Grundlage systematischer Befragungen, sei nicht die ethnische Zugehörigkeit, sondern das durch professionelles Verhalten aufgebaute gegenseitige Vertrauen – siehe das Negativbeispiel Sam Meffire. Die Unterstellung, Beamte ausländischer Abstammung würden im Apparat „rassistisch“ diskriminiert, dürfte ein Mythos sein. Daß ein Einwanderer genauer beobachtet wird und unter Umständen sich besonders beweisen muß, um anerkannt zu werden, ist Normalität gerade in Einwanderungsländern, zu denen man ja auch Deutschland gerne zählen möchte. In den zurückliegenden Jahren haben zahlreiche Bundesländer ihre Bemühungen zur Anwerbung von Polizeibeamten ausländischer Abstammung signifikant intensiviert. Zwischen Unions- und SPD-regierten Ländern sind dabei keine Unterschiede festzustellen. Die CDU-Innenminister von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen rühren ebenso die Werbetrommel wie das rot-rote Berlin. Immer wieder taucht die magische Zahl „zehn Prozent“ auf, wenn es um die angestrebten Einwandereranteile geht. Ein ehrgeiziges Projekt – in der Hauptstadt sind derzeit von rund 16.000 Beamten im Vollzugsdienst gerade mal 150 ausländischer Herkunft, also nicht einmal ein Prozent. Die Begründungen, warum man einen höheren Ausländeranteil im Polizeidienst für vorteilhaft halte, wiederholen sich. Am häufigsten genannt wird das unter anderem vom niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann bemühte polizeitaktische Argument, wonach man sich die Kultur-, Milieu- und Sprachkenntnisse in der täglichen Polizeiarbeit zunutze machen will. Bei den Umworbenen, die, wenn sie es geschafft haben, lieber normale Polizisten sein möchten als „Sonderermittler gegen die eigenen Landsleute“, stößt das nicht unbedingt auf Begeisterung, weiß Rafael Behr. Personalpolitisch erhoffen sich manche ein breiteres Rekrutierungsfeld, um angesichts sinkender Geburtenzahlen und Jahrgangsstärken bei der einheimischen Bevölkerung auch in Zukunft den Personalstand der Polizeien halten zu können. Das Paradeargument ist freilich das integrationspolitische: Die Polizei müsse „Spiegelbild der Gesellschaft“ sein, damit sich die einzelnen Gruppen in ihr wiederfinden könnten. So könne man die „Akzeptanz des Rechtsstaates“ bei diesen Gruppen erhöhen. Eine Argumentation, die freilich in der Konsequenz eher auf Aufspaltung denn auf Eingliederung zielt: jeder ethnischen Gruppe ihr eigener Behördenservice. Seitens der organisierten Einwandererlobbies genießt das Projekt „Ausländer in die Polizeiuniform“ gerade unter diesem Aspekt intensive Unterstützung. Staatsministerin Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, nimmt sich des Themas kontinuierlich an. Das politisch gut vernetzte „Bündnis für Toleranz“ ernannte schon 2004 zwei nord-rhein-westfälische Polizeibeamte, die als Einstellungsberater sich „auch mit ausgefallenen Ideen“ um ausländische Bewerber bemühten, zu „Botschaftern für Demokratie und Toleranz“. Tatsächlich müssen sich die Werber einiges einfallen lassen, um mehr Einwanderer in den Polizeidienst zu bringen. Nirgends versäumt wird der Hinweis, daß „die deutsche Staatsbürgerschaft (…) für die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst nicht erforderlich“ sei, wie ein Werbezettel der niedersächsischen Polizeidirektion Osnabrück anpreist. Um die Eltern der einer patriarchalischen Kultur entstammenden Türken und Araber positiv zu beeinflussen, sollen demnächst fremdsprachige Werbeblätter eingesetzt werden. Flugblätter und Anzeigen in türkischen Zeitungen trommeln für Veranstaltungsreihen, in denen man mit erfolgreichen Vorbildern wirbt. Bei der Wahl der Veranstaltungsorte kooperiert man gern mit türkischen Organisationen wie der von Ankara gesteuerten Ditib. Die türkische Verbände-Lobby darf sich mit Recht über diesen neuen Anwerbe-Eifer freuen. Schließlich haben zahlreiche Innenminister ihre seit Jahr und Tag vorgetragene Forderung nach Ausländerquoten im öffentlichen Dienst damit praktisch übernommen. Ihre Wortführer, voran die Türkische Gemeinde und deren Vorsitzender Kenan Kolat, haben jede Hysteriewelle, zuletzt den Ludwigshafener Häuserbrand, ausgenutzt, um diese Forderung zu bekräftigen. Bereits seit 2003 bietet der Türkische Bund Berlin-Brandenburg gemeinsam mit Berliner Polizei, Innenverwaltung und Arbeitsagentur ein „Bewerbungstraining für Polizeianwärter mit Migrationshintergrund“ an. Wer eine solche Trainingsmaßnahme absolviert hat, bei der faktisch kaum Leistungs-, Anwesenheits- und Erfolgskontrollen stattfinden, kann unter Umgehung des für Regelbewerber obligatorischen Numerus-clausus-Verfahrens zur Aufnahmeprüfung zugelassen werden. Bei Punktgleichheit werden Bewerber „mit Migrationshintergrund“ wegen „besonderen dienstlichen Interesses“ bevorzugt. Die Berliner Gewerkschaft der Polizei kritisierte dieses Verfahren im Januar 2006 scharf: Der Senat handle rechts- und verfassungswidrig, wenn er im Namen der Integration für einzelne Ausländergruppen die hohen Einstellungsanforderungen herabsetze. Eine Beamtin vietnamesischer Abstammung fühlt sich als „Deutsche mit Migrationshintergrund“ durch diese Praktiken als „Quotenausländer“ diskriminiert: „Mir hat niemand etwas geschenkt.“ Die Niveauabsenkung liegt freilich im europäischen Trend. Neidisch blickte die Polizeiführung der Hauptstadt während des Europäischen Polizeikongresses vor einem Jahr in Berlin auf die Niederlande: In Amsterdam liege der Ausländeranteil bei der Polizei deutlich über zehn Prozent, weil dort kein strenges deutsches Beamtenrecht gelte und auch Sprachkenntnisse nicht so wichtig seien. Österreichs Hauptstadt Wien dagegen imitiert zwar seit letztem November die deutschen Anwerbekampagnen, das Einstellungskriterium Staatsbürgerschaft steht dort aber noch nicht zur Disposition – was einen österreichischen Blogger dennoch nicht davon abhielt, über die angestrebte „Multikulti-Kieberei“ zu spotten. Tatsächlich ist die verstärkte Anwerbung von Einwanderern nur ein Schritt auf dem Weg in die Multikulturalisierung der Polizei. „Die Einstellung von Migranten muß mit der Verbesserung der interkulturellen Fähigkeiten von Polizisten einhergehen“, fordert ein Antrag der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus vom September 2005. Priorität habe die „interkulturelle Fortbildung“ der Beamten „durch Schulungen und Moscheenbesuche in Sachen türkischer Kultur und Islam oder in anderen, den jeweiligen Migrantenanteilen der Kieze entsprechenden Kulturen“. In der Praxis gehören dienstliche Zuckerfest-Besuche, Moscheegespräche und Islamkurse längst zum Polizeialltag. Ob es freilich die Autorität der Staatsmacht wirklich stärkt, wenn sie sich eingewanderten Kulturen anpaßt, statt deren Assimilation an das deutsche Rechts- und Gesellschaftssystem durchzusetzen, steht auf einem anderen Blatt. Foto: Türkische Jugendliche proben den Polizeidienst in Berlin: Immer wieder taucht die magische Zahl „zehn Prozent“ auf Stichwort: Workshops gegen Konflikte Das Verhältnis zwischen Polizei und Migranten gilt nicht erst seit heute als höchst sensibles Thema. Die Konflikte sind vielfältig – ob bei Verkehrskontrollen, bei Festnahmen oder auch bei innerfamiliärer Gewalt. Um hier Konflikte außerhalb der operativen Arbeit erst gar nicht entstehen zu lassen oder wenigstens zu entschärfen, wird neuerdings gern auf Workshops zurückgegriffen, bei denen sich Polizisten mit Vertretern von Migrantenorganisationen treffen und der Frage nachgehen, wie man erreichen kann, daß Migranten von „unserer“ – und nicht von „der deutschen“ – Polizei sprechen.
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