Was wäre die Demokratie ohne ihre Rebellen: ein programmierbares System für Mächtige. In Hessen brachten vier mutige Abweichler der SPD-Fraktion die Verhältnisse ins Rutschen. Die machtversessene Parteichefin Andrea Ypsilanti hatte geglaubt, Abgeordnete zu gewissenlosen Steigbügelhaltern degradieren zu können. Ohne mich, sagten Silke Tesch, Carmen Everts, Dagmar Metzger und Jürgen Walter — und verweigerten die Wahl der mit der protokommunistischen Linkspartei paktierenden SPD-Chefin zur Ministerpräsidentin. Mit diesem Schritt riskierten sie ihre politische Karriere. Ohne Opposition, ohne abweichende Meinung wird Demokratie zur Farce, stirbt die Freiheit. Jede Demokratie steht in der Gefahr, daß die sie lenkenden starken Kräfte durch Formierung der öffentlichen Meinung den Raum der Freiheit einschränken. Rebellen sind dann das Salz in der Suppe — sie brechen den scheinbar festgefügten Konsens und sorgen für neue politische Optionen. Vor 25 Jahren kam es zu einer heftigen Erosion auf dem rechten Flügel der Unionsparteien, der auf ein tiefgreifendes Repräsentationsdefizit verweist. Weniger als ein Jahr nach dem Regierungsantritt von Helmut Kohl traten zwei Bundestagsabgeordnete der CSU (Franz Handlos und Ekkehard Voigt) aus ihrer Fraktion aus und kündigten die Gründung einer neuen konservativen Kraft an: Am 26. November 1983 hoben sie die Partei Die Republikaner aus der Taufe, gemeinsam mit Franz Schönhuber, einem 1981 vom Bayerischen Rundfunk wegen seiner politisch unkorrekten Autobiographie „Ich war dabei“ entlassenen populären Fernsehjournalisten. Anlaß für den Austritt der beiden Abgeordneten war der von CSU-Chef Franz Josef Strauß überraschend vermittelte Milliardenkredit an die DDR und der damit verbundene faktische Verzicht auf eine aktive Wiedervereinigungspolitik. Die Republikaner, denen zwischen 1989 und 1996 teils spektakuläre Wahlerfolge gelangen, stehen in einer ganzen Reihe von Bemühungen, das politische Vakuum zu füllen, das zwischen der Union und einem politikunfähigen rechtsextremen Rand existiert. Die Union, die nach dem Zweiten Weltkrieg als überkonfessioneller Zusammenschluß des katholischen Zentrums und Überresten kleinerer rechtsliberaler und bürgerlicher Parteien entstand, beanspruchte unter Konrad Adenauer schnell einen Alleinvertretungsanspruch für bürgerliche Wählerschichten. Widersacher aus den Reihen der Vertriebenenparteien (BHE) oder regionaler konservativer Parteien (DP oder Bayernpartei) wurden rücksichtslos marginalisiert und aufgerieben — notfalls, indem man Führungspersonal schlicht einkaufte. So verblieb als seriöse rechte Konkurrenz im bürgerlichen Milieu Ende der sechziger Jahre nur die nationalliberale FDP, die von 1960 bis 1968 von dem Rechtsliberalen Erich Mende geführt wurde. Nach Bildung einer SPD/FDP-Koali- tion unter Willy Brandt und Walter Scheel folgten einige andere FDP-Rechte Mende bei seinem Wechsel zur CDU. Daß sich die FDP einst explizit als programmatisch rechts von der Union verortet ansah, ist noch heute an der Sitzordnung der Parlamentarier abzulesen: Die liberalen Abgeordneten nehmen rechts und nicht links von CDU und CSU Platz — was eigentlich dem heutigen Selbstverständnis entspräche. Seit den siebziger Jahren hat sich das Parteienspektrum nach links ausdifferenziert: Die FDP wanderte programmatisch in die linke Mitte, seit 1983 sitzen die linken Grünen (pro forma zwischen SPD und Union) im Bundestag, und das Jahr 1990 brachte Deutschland nicht nur die Wiedervereinigung, sondern auch die in der Tradition der KPD und der SED stehende PDS, mittlerweile in „Linke“ umgetauft. Parallel hat sich die CDU unter Kohl und Merkel weiter „modernisiert“, also einem links-urbanen Zeitgeist angepaßt, so daß heute eine CDU-Familienministerin Vorreiterin einer sozialistischen Familienpolitik und des Umerziehungsprogramms „Gender Mainstreaming“ sein kann. Warum ist das so? Offenkundig wird die Ausdifferenzierung des parlamentarisch repräsentierten politischen Spektrums bis hin zu einer im Linksextremismus wurzelnden „Linken“ von der veröffentlichten Meinung entgegenkommend behandelt. Bereits die tonangebenden Medien definieren sich als „im Zweifel links“. Sicherlich hätten Strategen im Willy-Brandt-Haus ebenfalls gerne ein politisches Monopol auf die Linke, analog zu CDU und CSU, die das Mantra beten, rechts neben ihr dürfe es keine „demokratisch legitimierte Partei“ geben. Für dieses Ziel geht die Union sogar so weit, einen Schulterschluß mit linksextremen „Antifaschisten“ im Rahmen des staatlich exekutierten „Kampfes gegen Rechts“ einzugehen — wie jüngst in Köln, wo der CDU-Oberbürgermeister stolz darauf war, gemeinsam mit der Antifa einen „Anti-Islam“-Kongreß der örtlichen rechtspopulistischen Formation „Pro Köln“ verhindert zu haben. Dagegen hat die SPD die strategische Option auf ein Linksbündnis, bei dem sie auf Union und FDP verzichten kann. Die Integrationskraft der Union hat mit dem jüngsten Wahldesaster der CSU in Bayern weiter deutlich abgenommen. Die konservativen Konturen sind jetzt nur noch mikroskopisch wahrnehmbar. Eigentlich die Stunde für eine frische politische Kraft von rechts — dann würde sich dies auch in Wahlergebnissen niederschlagen. Aufstieg und Fall der Republikaner zeigen aber, daß es fast unmöglich scheint, die Leerstelle im parteipolitischen Spektrum zu füllen. Zu übermächtig sind die Widerstände und die hausgemachten Defizite. Vielleicht ist der Erfolg der weltanschaulich indifferenten Freien Wähler ein Zeichen dafür, daß zunächst der Monopol-anspruch der Union auf Vertretung bürgerlicher Wähler gebrochen werden muß, bevor eine konservative Partei die Chance hat, zum Zuge zu kommen.