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Bohrende Fragen an den Staat

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Den bayerischen Unternehmen fehlen 25.000 Fachkräfte. Als möglichen Weg aus der Krise wird von Experten die verstärkte Nutzung der „Ressource Frau“ für die Arbeitswelt genannt. Die gegenwärtige Regierung hat sich entschieden, Milliarden von Steuergeldern in den Ausbau von Kinderkrippen umzulenken, um die Mütter, die heutzutage bis zum dritten Lebensjahr überwiegend bei ihren kleinen Kindern sind und sein wollen, für die Erwerbsarbeit freizusetzen. Die Verstaatlichung der Erziehung – ist das ein Gewinn für die Wirtschaft? Um Fachkräfte rekrutieren zu können, muß es in einer Gesellschaft erst einmal Menschen geben, die zu Fachkräften qualifiziert werden können. Ist aber zu erwarten, daß der Ausbau von Kinderkrippen zur Hebung der Geburtenrate führt? Ungefähr seit der Jahrtausendwende ist ins allgemeine Bewußtsein gedrungen, was die Bevölkerungsstatistiker seit Mitte der siebziger Jahre alarmiert: der dramatische Fall der Geburtenrate. Mitten im Frieden, bei blühenden Wirtschaftsverhältnissen, hat sich die Bevölkerungszahl innerhalb einer Generation um ein Drittel reduziert. Wir sind also ein aussterbendes Volk. Weil Menschen überwiegend durch den Sexualakt von Mann und Frau entstehen, kann es dafür nur vier Ursachen geben: 1. Männer und Frauen haben weniger Geschlechtsverkehr. 2. Sie sind unfruchtbar. 3. Sie verhüten die Empfängnis von Kindern. 4. Sie töten die Kinder, die sie empfangen haben. Der Leser merkt: Wenn man die Frage so stellt, kommt man in die Sperrzone postmoderner Tabus, die, wie mir scheint, das Rationalitätsideal der Aufklärung in Überlebensfragen außer Funktion setzen. Der erste Grund – weniger Geschlechtsverkehr zwischen Männern und Frauen – ist nicht auszuschließen, da zunehmend Formen sexueller Befriedigung in Mode kommen sowie vom Staat gefördert und den Kindern in den Schulen schmackhaft gemacht werden, bei denen die Zeugung eines Kindes nicht möglich ist. Der zweite Grund spielt eine wachsende Rolle: Immer mehr Frauen und auch Männer werden unfruchtbar – eine Tragödie für Paare, die sich ein Kind wünschen und ein gewaltiger Markt für die Reproduktionsmedizin. Der dritte Grund: Die Unterdrückung der Fortpflanzungsfunktion der Sexualität. Kinder werden ab neun Jahren im Sexualkundeunterricht zu „Verhütungsexperten“ ausgebildet. Der vierte Grund: In Deutschland werden an jedem Werktag etwa 850 Kinder abgetrieben und in den Müll geworfen. Die gefährlichste Phase im Menschenleben sind die neun Monate im Mutterschoß. Abtreibung, obwohl vom Gesetz als Straftat gefaßt, bleibt straffrei – eine juristische Mißgeburt. Unbeeindruckt vom demographischen Epochenwandel beschloß die parlamentarische Versammlung des Europarates jüngst (16. April 2008), daß es in den 47 Mitgliedsstaaten de jure und de facto ein Recht auf Abtreibung geben solle. Der Demographie-Experte Herwig Birg, Bielefeld, sagt: Hätten wir in den letzten dreißig Jahren nicht acht Millionen Kinder abgetrieben, dann hätten wir kein demographisches Problem. Es sei, so meint er, „dreißig Jahre nach zwölf“. Wie antwortet der Staat auf diese existenzbedrohende Situation? Die Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) forciert mit eisenharter Zielstrebigkeit den Ausbau des Krippenangebots. Sie argumentiert: Durch Fremdbetreuung der Kleinkinder werde Familie und Beruf vereinbar, und dies sei die entscheidende Weichenstellung, um die Geburtenfreudigkeit der Frauen zu heben. Stimmt das? 1. Gerade in Deutschland werden dort am meisten Kinder geboren, wo die Krippendichte am geringsten ist, nämlich im Nordwesten und Süden des Landes, und dort am wenigsten Kinder, wo die Krippendichte hoch ist, nämlich in den neuen Bundesländern. 2. Eine Studie der OECD von 2005 besagt: „In Deutschland ist der erwartete Effekt eines Ausbaus der Krippenbetreuung auf die Geburtenrate gleich Null.“ („Trends and Determinants of Fertility Rates in OECD Countries“, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, Nr. 27.) 3. Herwig Birg spottet in einem FAZ-Aufsatz („Unser Verschwinden würde gar nicht auffallen“, 28. Juni 2006): „Wahrscheinlich ist die statistische Korrelation zwischen der Geburtenrate und der Zahl der Störche höher als der behauptete Zusammenhang mit der Frauenerwerbsquote.“ 4. Hans Bertram, wissenschaftlicher Berater der Familienministerin, sieht das Hauptproblem des Geburtenrückgangs nicht in der Kinderlosigkeit, sondern im Verschwinden der Mehrkindfamilie. Sie müßte vor allem gefördert werden, wenn die Geburtenzahl steigen soll. Aber das Gegenteil geschieht: Das Elterngeld begünstigt erwerbstätige Frauen mit hohem Einkommen und benachteiligt nicht-erwerbstätige Frauen mit mehreren Kindern. Schon ein geringer Rückfluß der Steuergelder in die Familien statt in die Kinderkrippen wird als „Herdprämie“ diffamiert, obwohl gerade Länder, die ein Betreuungsgeld gewähren, höhere Geburtenraten haben (Frankreich, Dänemark, Finnland, Norwegen). Im Jahr 2006 wurden in Deutschland 673.000 Kinder geboren – die niedrigste Geburtenrate seit 1945. Werden sie in zwanzig Jahren stabile und leistungsfähige Persönlichkeiten sein, die die Wirtschaft so dringend braucht? Es müßte ein elementares Anliegen des Staates sein, für bestmögliche Erziehungs- und Bildungschancen zu sorgen. Tut er das? Die Struktur unseres Sozialsystems belohnt Alleinstehende und bestraft Familien mit Armut. Paul Kirchhof, der „Professor aus Heidelberg“, spricht hinsichtlich der Benachteiligung von Familien vom „permanenten Verfassungsbruch“. In Deutschland sind Familien mit drei Kindern zu 37 Prozent armutsgefährdet, Eltern mit vier Kindern zu knapp 60 Prozent. Kinderreichtum macht arm und bleibt – das sage ich als Mutter von drei Kindern – doch der größte Reichtum. Die Kinderarmut hat sich von 2004 bis 2006 verdoppelt, so daß heute 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche von der Sozialhilfe leben müssen. Armut führt aber in der Regel zu Bildungs- und Erziehungsdefiziten, die uns dann als Jugendkriminalität entgegenschlagen. Daraus folgt: Ohne Erziehung keine Bildung, ohne Bildung keine Fachkräfte. Es ist also im Interesse der Wirtschaft, darauf hinzuwirken, daß der Staat die Armutsfalle für Mehrkindfamilien beseitigt. Die Tatsache, daß eine wachsende Minderheit der Eltern – von vier Prozent ist die Rede – unter diesen Verhältnissen den Anforderungen der Kindererziehung nicht mehr gerecht werden kann, dient der Regierung als Argument, Eltern insgesamt als erziehungsunfähig zu verdächtigen und sogenannte „professionelle Betreuung“ als überlegen darzustellen. Gibt es Gründe zu vermuten, daß die Verstaatlichung der Erziehung von Kleinkindern bessere Voraussetzungen schafft, um – ausgedrückt in der utilitaristischen Sprache der Ökonomie – die knappe Ressource „Humankapital“ zu optimieren? Dabei geht es nicht nur um technische Qualifikation, sondern auch um Tugenden wie Verantwortungsbewußtsein, Führungsqualitäten, Zuverlässigkeit, Fleiß, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Bindungsfähigkeit. Diese lernt Hänschen in der Familie oder er lernt sie nimmermehr. Nicht nur die Demokratie, auch die Wirtschaft lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen kann. International renommierte Psychologen, Neurologen und Ärzte – die deutsche Kindertherapeutin Christa Meves, der englische Bindungsforscher Sir Richard Bowlby, der amerikanische Neurologe Allan Schore und der australische Psychologe Steve Biddulph – warnen vor den Schäden der Fremdbetreuung für Kinder unter drei Jahren. Fremdbetreuung führe zu emotionalen Störungen, einer Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung und langfristigen Verhaltensstörungen der Kinder. Vier Argumente seien genannt: Erst mit einem Jahr entwickelt das Kind Zeitgefühl, so daß es beginnt darauf zu vertrauen, daß die Mutter, die aus der Tür geht, wiederkommt. Ein fremdbetreutes Kleinkind erlebt täglich einen Vertrauensbruch. Das Urvertrauen, die sichere Basis der seelischen Existenz, wird ihm ein Leben lang mangeln. Auch das Gehirn braucht eine Atmosphäre emotionaler Sicherheit, um sich gut zu entwickeln. Ein konstant hoher Spiegel des Streßhormons Cortisol behindert die Gehirnentwicklung. Tägliche Mutterentbehrung führt aber zu einem chronisch erhöhten Cortisolspiegel. Das Sprießen der Synapsen wird durch den Blickkontakt, das ständige Sprechen, das Streicheln und Liebkosen durch die Mutter angeregt. Dann nämlich wird im Kind und in der Mutter das Hormon Oxytozin ausgeschüttet, das beide glücklich macht. Die Studie des National Institute of Child Health and Human Development (NICHD) von 2002 ergibt, daß Krippenkinder mit zwölf Jahren durchschnittlich mehr Verhaltensstörungen zeigen als Familienkinder. Je mehr Zeit sie bis zur Vollendung des vierten Lebensjahres außerhäuslich verbrachten, desto stärkere Verhaltensauffälligkeiten zeigten sie, wie vermehrte Aggressionen, Eintritt in Kämpfe, Ungehorsam in der Schule. Von der Fülle wissenschaftlicher Warnungen läßt sich die Familienministerin nicht beeindrucken. Diese zeigen doch nur, was jeder von uns im Herzen weiß: Das Kind braucht in den ersten drei Jahren die Geborgenheit der liebenden mütterlichen Fürsorge, um nicht durch Mutterentbehrung langfristige Persönlichkeitsschäden davonzutragen. Was wird aus unserer Gesellschaft, wenn wir auch noch die Beziehung zwischen Mutter und Kind schwächen? Keine andere Beziehung ist von der Natur her mehr auf Liebe angelegt als die Beziehung zwischen Mutter und Kind. Das wissen wir, und das zeigen die staunenswerten Ergebnisse der modernen Hormon- und Gehirnforschung. Soll es keinen Ort mehr geben, an dem der Mensch die Chance hat, selbstlose Liebe zu erfahren? Schon heute liegen – laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts von 2007 – bei 20 Prozent der Null- bis 17jährigen psychische Auffälligkeiten vor. Die Jugend ist unsere Zukunft. Welchen Anteil an psychisch kranken, depressiven, aggressiven, bindungsunfähigen, moralisch verwahrlosten Menschen auf der einen Seite, Sozialarbeitern, Therapeuten und Polizisten auf der anderen Seite verkraftet eine Gesellschaft? Die Argumente des Propagandafeldzugs für die Krippe sind so wenig überzeugend, daß man sich fragen muß, was denn der wirkliche Grund für den staatlichen Angriff auf die Mutter-Kind-Beziehung ist. Könnte es sein, daß die Krippenpolitik in Wahrheit der Umsetzung des radikalfeministischen Gender Mainstreaming dient, welches 1999 ohne parlamentarische Legitimation und ohne öffentliche Diskussion zum Leitprinzip und zur Querschnittsaufgabe der deutschen Politik erhoben wurde? Volker Zastrow schrieb in einem berühmt gewordenen FAZ-Artikel („Politische Geschlechtsumwandlung“, 19. Juni 2006), Gender Mainstreaming werde von der Spitze beliebiger Organisationen her als sogenanntes „Top-down“-Prinzip durchgesetzt, das auf allen Ebenen bei allen Entscheidungen verwirklicht werden solle. Gender ist ein Kunstbegriff, der die „altmodische“ Idee überwinden soll, daß die Identität von Männern und Frauen durch ihr biologisches Geschlecht geprägt sei. Der neue Gender-Mensch soll sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung frei wählen können. Um die „patriarchale Zwangsheterosexualität“ endgültig zu überwinden, müssen die Geschlechtsunterschiede nivelliert werden: Der Mann an den Wickeltisch, die Frau in die Wirtschaft. Man nennt das undoing gender. Damit muß man frühzeitig beginnen, im Kindergarten, besser noch in der Krippe. Gender Mainstreaming tarnt sich mit dem Begriff „Gleichstellung“ von Männern und Frauen, zielt aber auf die Destabilisierung der sexuellen Identität und damit der Identität überhaupt. Ein Mensch, der nicht mehr weiß, wer er ist, nicht einmal, ob er Mann oder Frau ist, wird in eine existentielle Identitätskrise gestürzt, die ihn unfähig machen wird, einen positiven Beitrag zur Lösung der großen Probleme der Gegenwart und Zukunft zu leisten. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung zu stellen. Aber der Staat entzieht der Familie zunehmend die materielle, die soziale und die moralische Existenzbasis. Das Grundgesetz garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung der Kinder. Aber der Staat usurpiert zunehmend dieses Recht der Eltern. Ist das die richtige Antwort auf die demographische Krise, die immer mehr zu einer Krise der Wirtschaft und der Demokratie wird? Den Menschen nur aus der utilitaristischen Perspektive anzuschauen, wird ihm nicht gerecht. Aber selbst unter dem Gesichtspunkt seiner Nützlichkeit für die Interessen der Wirtschaft wird deutlich, daß das staatliche Handeln diesen Interessen entgegensteht. Der Mensch ist aber in der Ebenbildlichkeit Gottes um seiner selbst willen geschaffen. In dieser höchsten Vorstellung vom Menschen haben seine unantastbare Würde und die daraus abgeleiteten Menschenrechte ihren Grund. Es bewährt sich nicht, wenn wir das vergessen.   Gabriele Kuby ist Soziologin, Publizistin und Mutter von drei Kindern. Auf dem Forum der JUNGEN FREIHEIT schrieb sie zuletzt „Auf dem Weg zum neuen Menschen“ (JF 27/07). Abbildung: Embryo in der Kristallkugel: Im Jahr 2006 wurden in Deutschland 673.000 Kinder geboren – die niedrigste Geburtenrate seit 1945. Werden sie in zwanzig Jahren stabile und leistungsfähige Persönlichkeiten sein, die die Wirtschaft so dringend braucht?

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