Geht es nach den Auguren, dann ist die Parlamentswahl in Rußland am 2. Dezember eine reine Formsache, dominiert doch der noch amtierende russische Präsident Wladimir Putin das Geschehen fast nach Belieben. Da die russische Verfassung eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt verbietet, tritt Putin nun als Spitzenkandidat der Regierungspartei „Einiges Rußland“ mit dem Ziel an, Ministerpräsident und damit Regierungschef Rußlands zu werden. Eine Klage der Union Rechter Kräfte (SPS), Putin von der Kandidatenliste für die Staatsduma zu streichen, wurde von dem russischen Obersten Gericht abgewiesen, so daß Putins Weg ins Amt des Ministerpräsidenten formell nichts mehr entgegensteht. Putin hat seine Kandidatur für die Kreml-Partei allerdings an zwei Bedingungen geknüpft, nämlich daß „Einiges Rußland“ zum einen die Wahl gewinnen und daß zum anderen „ein anständiger, handlungsfähiger und moderner Mensch“ Präsident werden müsse. Damit meinte Putin wohl die beiden derzeitigen Ersten Vize-Premiers Dimitri Medwedew und Sergej Iwanow, die zwar parteilos sind, aber von der Regierungspartei „Einiges Rußland“ unterstützt werden. Beobachter gehen davon aus, daß beide Kandidaten Putins Politik weiterführen würden. Das Maß an Zustimmung, das Putin in Rußland genießt, wird im Westen eher zwiespältig aufgenommen. Ihm wird vorgeworfen, auf eine „gelenkte Demokratie“ hinzuarbeiten und einen „autoritären Führungsstil“ zu pflegen. Dessenungeachtet wird sich der Westen damit abfinden müssen, daß sich nach Lage der Dinge das „System Putin“ in Rußland weiter verfestigen wird. Dieses System besteht im wesentlichen aus drei Faktoren: der Wiederherstellung eines starken Staates, der Reanimierung der Kräfte Rußlands und der Wiederherstellung seiner geopolitischen Schlüsselstellung in Eurasien. Auf allen diesen Gebieten hat Putin Erstaunliches zuwege gebracht. Unter seiner Ägide rückte Rußland zur Energie-Großmacht auf, die das Instrument Ressourcen für außenpolitische Ziele geschickt zu nutzen versteht. Putin will aber noch mehr, wohlwissend, daß Rußland erst in Verbindung mit den wichtigen zentralasiatischen Ressourcen-Staaten zur Energie-Supermacht aufsteigen kann. Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zum Beispiel sieht Putin an einer „neuen Opec“ arbeiten, in die neben Staaten wie Kasachstan, Usbekistan etc. auch der Iran einbezogen werden soll. Man kann sich unschwer ausmalen, was für ein politisches Gewicht diese Staaten in die Waagschale werfen können, sollte ein derartiges Bündnis zustande kommen. Daß die USA aufgrund der desaströsen Politik der Regierung Bush ihren Supermachtstatus mehr und mehr einbüßen, kommt Putin entgegen. Je mehr sich die „einzige Weltmacht“ nämlich in die ungewinnbaren Kriege in Afghanistan und dem Irak verstrickt und in je heftigere wirtschaftliche Turbulenzen (Stichwort: Dollarschwäche) sie gerät, desto größer werden die Optionen für Rußland. Daß Putin gerade jetzt das Heft nicht aus der Hand zu geben gewillt ist, ist nachvollziehbar und folgerichtig. Natürlich hat diese Entwicklung die Regierung Bush nicht unbeeindruckt gelassen, die nichts unversucht läßt, Putin zum „Antidemokraten“ zu stempeln. Anfang März 2006 veröffentlichte der einflußreiche Council on Foreign Relations (CFR) ein „Strategiepapier“, in dem davon die Rede ist, daß sich die Beziehungen zwischen Rußland und den USA eindeutig „in eine falsche Richtung“ entwickelten. Von der Idee einer „strategischen Partnerschaft“ wird in diesem Papier Abschied genommen. Statt dessen wird gefordert, die Finanzmittel regierungskritischer Organisationen in Rußland zu erhöhen. Darüber hinaus müßten die USA energiepolitisch über Alternativen nachdenken, damit der russische Anteil an der Energieversorgung Europas verringert werden könne. Die USA sollten deshalb bei den Beziehungen zu Rußlands Nachbarn russische Interessen hintanstellen. Das alles liest sich nicht nur wie eine Kampfansage an Putin, es ist eine. Das CFR-Papier dürfte diejenigen Kreise in Rußland bestätigt haben, die schon länger darüber mutmaßen, daß die Vereinigten Staaten in Rußland eine neue „samtene Revolution“ à la Ukraine oder Georgien zur Ablösung Putins planten. Als Sprachrohr der Putin-Opposition gilt vor allem der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow, der wohl als Spitzenkandidat des im September 2007 gegründeten Oppositionsbündnisses „Das andere Rußland“ bei den Präsidentschaftswahlen 2008 ins Rennen gehen wird. Kasparow genießt im Westen eine Aufmerksamkeit, die in keiner Relation zu seiner politischen Bedeutung in Rußland steht. Dort wird er deutlich kritischer gesehen, wohl nicht zuletzt aufgrund seiner Nähe zu den „Neocons“ in den USA. 1991 erhielt er zum Beispiel den Flame Award der neokonservativen US-Denkfabrik Center for Security Policy (CSP). Als 2007 ruchbar wurde, daß Kasparow Mitglied im Beratungsgremium für Nationale Sicherheit des CSP ist, erklärte er, daß er sich dieser Mitgliedschaft angeblich nicht bewußt gewesen sei und sich aus diesem Rat zurückziehen wolle. Eigentlich böte die bröckelnde Dominanz der Supermacht USA und die neue Stärke Rußlands genug Raum für eine flexiblere deutsche Außenpolitik. Die „Signale“ allerdings, von denen Kanzlerin Merkel so gerne spricht, deuten in eine ganz andere Richtung, nämlich auf eine Fortschreibung des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses von den USA. So bleibt Ex-Kanzler Gerhard Schröder, in Deutschland als lupenreiner „Putin-Lobbyist“ verschrien, bisher einer der wenigen, die begriffen haben, daß die Zeiten der alleinigen weltweiten Dominanz der USA langsam zu Ende gehen und Deutschland sich auf ein „Pluriversum“ von Großmächten einzurichten hat, unter denen Rußland wieder eine exponierte Rolle spielen dürfte.
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