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Herausforderung Konservatismus

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In JF 19/07 hatte Peter Kuntze, ehemaliger Redakteur der Süddeutschen Zeitung, für einen „aufgeklärten Konservatismus“ plädiert, der sich nicht an den traditionellen Fragen von Ehe, Familie und Religion „verkämpft“, sondern die „Zukunftsfragen“ Deutschlands angeht. Heute antwortet ihm Pater Niklaus Pfluger aus katholisch-konservativer Perspektive. (JF) Konservativ zu sein, ist chic geworden in Deutschland. Zumindest, sich so zu bezeichnen und zu benehmen. Konservatismus ist aber mehr. Es ist eine Geisteshaltung. Aller konservativer Habitus ist bloße Potemkinsche Fassade, wenn er nicht auf ein sicheres Fundament einander schlüssig ergänzender Ansichten und Überzeugungen gestützt ist. Sich dieses geistige Fundament des Konservatismus zu erarbeiten, ist nicht einfach. Jede zeitgenössische Theorie hat den Vorteil, daß sie über einen abgeschlossenen Begriffsapparat verfügt und ihrem Benutzer ermöglicht, allein damit und ohne jede Kenntnis klassischen Denkens die Welt zu sortieren und zu erklären. Wer beispielsweise einmal mit einem Vertreter des „Destruktivismus“ zu diskutieren versucht hat, weiß, was gemeint ist. Der Konservative hingegen ist von der Existenz ewiger Wahrheiten überzeugt, die sich in den verschiedenen Epochen und Geistesströmungen zeigen und in ihnen erkannt werden können. Konservativ zu sein, heißt abstrahieren zu können zwischen dem Prinzip und seiner Realisierung, es erfordert eine profunde Kenntnis der Geistesgeschichte. Das war nie leicht. Nach 40 Jahren Reformpädagogik ist von diesen Voraussetzungen fast nichts mehr vorhanden, weshalb es nicht verwundern kann, daß versucht wird, einen Konservatismus ohne geistige Grundlagen zu entwickeln. Ein Beispiel dafür ist der Artikel „Den Konservatismus erneuern“ von Peter Kuntze. Kuntze diagnostiziert eine Schwäche des Konservatismus im Festhalten an überkommenen Vorstellungen. Er benennt zwei: das Christentum, dem er die „Universal-Religion“ eines Spinoza entgegenstellt, sowie das klassische Familienbild mit der Frau als Hausfrau und Mutter. Diese müßten aufgegeben werden. Übrig blieben dann die „preußischen“ Bürgertugenden wie Pflichtbewußtsein, Fleiß etc. als wahrer Konservatismus. Kuntzes Bezugpunkt ist Friedrich II. von Preußen, den Protestanten gern „den Großen“ nennen. Ein Aufgeklärter, ein Freund Voltaires, Freimaurer obendrein. Mit Konservatismus hat er wenig zu tun. Der Konservatismus ist geschichtlich die Gegenbewegung zur Aufklärung. Er ist die Antwort auf die Revolution, sein Anliegen war die Restauration dessen, was 1789ff. zerstört wurde. Für den Konservativen ist die französische Revolution nicht der Sturm auf die Bastille, sondern die Zerstörung von Cluny. Wieso die Erneuerung des Konservatismus ausgerechnet bei einem Mann begonnen haben soll, gegen den und gegen dessen Freunde im Geist der Konservatismus entstanden ist, leuchtet nicht ohne weiteres ein. Noch abstruser wird es bei Kuntzes Vorliebe für Spinoza und dessen Adepten Lessing. Spinoza lehrte bekanntlich die Gleichsetzung von Gott und Natur mit dem Ergebnis, daß er die göttliche Autorität, das eigentliche Korrektiv menschlicher Willkür, abschaffte. Entsprechend schaffte er auch die menschliche Seele ab und ging von der völligen Immanenz des Menschen in der Welt aus. Der Mensch bei Spinoza ist die Summe seiner Kontakte zur Welt, weshalb jedes egoistische Streben bei Spinoza nichts Verwerfliches, sondern die Erfüllung des menschlichen Seins ist. Auf einer solchen philosophischen Basis preußische Tugenden zu propagieren, ist genauso widersinnig, wie einerseits Lessing zu loben, aber andererseits die multikulturelle Gesellschaft anzugreifen. Es ist eine faule Frucht des Antiamerikanismus, daß die Ergebnisse der konservativen Revolution in den USA von den Konservativen Europas nicht wahrgenommen werden. Wir Europäer müssen erst wieder lernen, Gott als Teil der Realität anzuerkennen. Damit sollen mitnichten die von Kuntze so gepriesenen Tugenden schlechtgeredet werden. Daß sie wichtig, ja unverzichtbar sind und daß sie vor allem in konservativen Kreisen gepflegt werden, wird niemand bestreiten. Nur: Ihren ethischen Wert erhalten sie erst durch das Ziel, zu dem sie praktiziert werden. Oskar Lafontaines Wort von den „Sekundärtugenden“ ist zwar obszön gewesen, hatte aber seinen wahren Kern. Kuntzes Konservatismus erschöpft sich im Habituellen. Er kann nicht erklären, was er praktiziert. „Wer keine Ahnung hat, der kann auch keine Meinung haben“, hieß es vor einigen Jahren in einer Anzeige für die neueste Brockhaus-Auflage. Obwohl es Joschka Fischer war, der mit diesem Satz für das Lexikon warb, ist er nicht falsch. Nur nehmen ihn leider zu wenige ernst. Wir leben in einer Zeit, in der jeder eine Meinung hat, nur oftmals keinerlei Ahnung. Jedes Hinterfragen dieser Meinungen führt zum Vorwurf der „Intoleranz“. Wie diese Meinungen zustande kommen, bleibt regelmäßig im dunkeln. Daß Peter Kuntze mit der Kirche gebrochen hat, etwas gegen zu viele Ausländer in Deutschland hat, der Praxis der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit kritisch gegenübersteht, ein Preußen-Fan ist und den Nationalstaat für das Nonplusultra völkerrechtlicher Organisation hält, läßt sich seinem Text entnehmen. Konservativ ist das alles nicht, und erneuern wird er den Konservatismus so auch nicht. Eher vernichten. Der Grund-Impetus des Konservatismus ist die Ablehnung der Moderne. Das ist die Wurzel konservativen Denkens. Die Moderne propagiert die Autonomie: die des Menschen von Gott, die der Kultur von der Natur. Der Konservative vertritt somit die Sache Gottes und der Natur. Er betont die Existenz und Autorität Gottes gegen den Subjektivismus und das Naturrecht gegen den Positivismus. Das sind die Grundlagen jeden Konservatismus. Wer sie nicht teilt, ist vieles, vielleicht sogar ein netter Mensch – nur konservativ, das ist er nicht. Von diesen Prinzipien her sind die Fragen nach dem rechten Handeln im Jetzt und Hier zu beantworten. Und da zeigt sich eben, daß etwa Ehe und Familie nicht zur Disposition der Menschen stehen, sondern gottgegeben sind und deshalb jeder Kultur – und Politik – vorausgehen, wie es übrigens auch die Verfassungsväter, leider nicht die Verfassungsrichter, erkannt hatten. Gott läßt seiner nicht spotten; wie der Mensch sät, so wird er ernten. Und der Aufstand gegen die Familie führt zur demographischen Katastrophe, die der islamischen Übernahme der westeuropäischen Ballungsräume den Weg ebnet. Wegen der Bindung an Gott und Natur ist der Konservative in seinen politischen Aussagen nicht frei. Er kann nicht nach einer rein utilitaristischen Zweckmäßigkeitsprüfung seine Ansichten variieren, da er sich selbst einer höheren Autorität gebunden und verpflichtet weiß. Das Wissen um diese Verpflichtung läßt ihn zu jenem tugendhaften Bürger werden, den manche Hedonisten nunmehr zum Stil-Vorbild erkoren haben. Konservativen Stil gibt es aber nicht ohne konservativen Geist. Wir brauchen uns über konservative Politik keine Gedanken machen, wenn wir nicht den konservativen Geist entwickeln: Mens agitat molem. Der feste Punkt aber, wo konservativer Geist wurzelt, das ist die göttliche Offenbarung. Konservatismus ist deshalb, beginnend mit Juan Donoso Cortés, fortgeführt bei Carl Schmitt, Leo Strauss und Nicolás Gómez Dávila, bis heute immer auch politische Theologie. Dieser Ansatz führt zum Erfolg, wie ein Blick in die USA zeigt. Dort ist es gelungen, die linke Dominanz zu brechen. Die konservative Gegenrevolution wäre dabei ohne die Wiederentdeckung der Religion als öffentliche Angelegenheit undenkbar. Glaube und Familie sind die Fundamente der revitalisierten Gesellschaft, ergänzt um das Privateigentum, das die materielle Basis sichert. Es ist eine faule Frucht des Antiamerikanismus, daß die Ergebnisse der konservativen Revolution in den USA von den Konservativen Europas nicht zur Kenntnis genommen werden. Wir Europäer müssen erst wieder lernen, Gott als Teil der Realität anzuerkennen und die Religion aus dem Ghetto des Privaten zu befreien. Das setzt zunächst innerkirchlich die Bereitschaft voraus, wieder mehr zu sein als ein Verein organisierten Gutmenschentums. Zumindest bei den protestantischen Großkirchen ist diese Bereitschaft nicht zu erkennen, weshalb die Ära der Reformation in Europa wohl beendet ist. Aber auch die Katholische Kirche ist derzeit als geistiger Wegbereiter neuen Konservatismus unbrauchbar. Mit Kardinal Lehmann etwa ist eine geistige Erneuerung unmöglich. Das ändert aber nichts daran, daß der Katholizismus die geborene Basis des europäischen Konservatismus ist. Defizite ihres aktuellen Personals erfordern erst recht die individuelle Befassung mit ihren Lehren und das Kennenlernen ihrer Dogmen. Die Wahrheit wohnt in den Antiquariaten. Ein neuer Konservatismus, der auf der Offenbarung fußt, sich geistig auf die Katholische Kirche stützt, den Staat zurückschneidet und die Familie stärkt, hat nichts mit dem rechten Narrensaum zu tun, der sich in der politischen Arena für konservativ hält. Der deutsche Konservatismus war durch die konfessionelle Spaltung immer ein halbierter. Dem katholisch-europäisch-abendländischen Ansatz stand der protestantisch-preußisch-deutschnationale gegenüber. Beide sind zudem in sich in der Frage nach dem Verhältnis zu Amerika und zum Wirtschaftssystem gespalten. Das sind die drei eigentlichen intellektuellen Herausforderungen an den deutschen Konservatismus. Bei aller Sympathie für die kulturellen Leistungen des Preußentums wird ein neuer deutscher Konservatismus nicht umhinkönnen zu akzeptieren, daß der 8. Mai 1945 das Ende des kulturellen deutschen Sonderwegs gewesen ist. Es war das Finis Germaniae. Man kann dem nachtrauern, man kann es leugnen, ändern kann man es nicht. Wenn Konservative wieder gehört werden wollen, muß es darum gehen, die geschichtlichen und kulturellen Leistungen Preußens so in den katholisch geprägten Konservatismus zu integrieren, daß dieser auch für Nicht-Katholiken annehmbar wird. Gleichfalls geschichtlich entschieden ist die Frage nach dem transatlantischen Verhältnis. Angesichts des heraufziehenden kulturellen Abwehrkampfes gegen den Islam auch in unseren Städten sind alle Träume einer „multipolaren“ Welt, in der das transatlantische Bündnis eine Option neben anderen wäre, nicht nur unrealistisch, sondern auch gefährlich. Wir stehen vor der Aufgabe, das Abendland als politische Kategorie wiederzuentdecken. Damit haben sich alle Träume von einer Wiederkehr der klassischen Nationalstaatlichkeit genauso erledigt wie protektionistische und staatswirtschaftliche Ansätze in der Ökonomie. Letzteres sollte sich bei einer Exportnation wie Deutschland übrigens schon aus reiner Zweckmäßigkeit ergeben. Irreale Nostalgien, leider bisweilen verbunden mit einer klammheimlichen Bewunderung bestimmter Aspekte des sogenannten „Dritten Reiches“, verhindern bei diesen Fragen aber den nötigen innerkonservativen Konsens. Hier besteht der eigentliche Klärungsbedarf. Ein neuer Konservatismus, der auf der Offenbarung fußt, sich geistig auf die Katholische Kirche stützt, die geschichtlichen Leistungen Preußens und Deutschlands anerkennt, den Staat zurückschneidet und damit die Familie stärkt, sich nach außen transatlantisch absichert und der von Persönlichkeiten getragen wird, die im Stil und in der Sache glaubwürdig aus ihren Überzeugungen leben – der wird gesucht. So ein Konservatismus kann nicht „gemacht“ werden. Und er hat auch nichts mit dem rechten Narrensaum zu tun, der sich in der politischen Arena für konservativ hält. Er ist eine Herausforderung für das Bürgertum. Aus dem Glauben kann er wachsen und schneller als wir denken die Dominanz linken Denkens brechen: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren“ (Johannes 15,7). Gloria in excelsis Deo. Pater Niklaus Pfluger ist Generalvikar des Generaloberen der katholischen Priesterbruderschaft St. Pius X. in Menzingen/Schweiz.

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