Stehen wir an der Schwelle eines neuen Kalten Krieges mit Wladimir Putins „neuem Rußland“? Angesichts der vier russischen Spione in London, die ihre Koffer packen mußten, nachdem sie des Landes verwiesen wurden, und der gleichen Anzahl britischer Diplomaten in Moskau, denen nun dasselbe Geschick widerfahren ist, ist man versucht, diese Frage zu bejahen. Doch lohnt es sich, einen Moment innezuhalten. Sollte es tatsächlich zu einer Phase der erneuten Abkühlung zwischen dem Westen und der neuen russischen Diktatur kommen, so liegen die Gründe dafür kaum bei ehemaligen KGB-Agenten vom Schlage eines Alexander Litwinenko. Der wäre nicht annähernd wichtig genug, einen Kalten Krieg auszulösen. Wenn tatsächlich ein neuer Kalter Krieg ins Haus steht, dann hat er seine Ursache in Rußlands obsessivem Verlangen, die Demütigungen der neunziger Jahre vergessen zu machen, wieder eine Großmacht zu werden und diese Macht dazu zu nutzen, wozu Rußland sie bislang immer nutzte: zur Tyrannisierung kleinerer Nachbarn. Seine Waffen sind nicht Atombomben und Raketen, sondern Öl und Gas. Für den Westen nicht gerade beruhigende Aussichten. Als Rußlands korrupte Bürokraten in den neunziger Jahren ihre Öl- und Gasvorkommen an clevere Geschäftemacher verschacherten, die das entsprechende Schmiergeld zahlen konnten, mußte man annehmen, Rußland habe nützliche, aber nicht eben übermäßige Energievorkommen zur Verfügung. Heute wissen wir es besser. Dank westlicher Technologien wurden atemberaubende Öl- und Gasvorkommen in ganz Sibirien ausgemacht. Joint-ventures zwischen der russischen Gazprom und westlichen Energiegiganten sollten die Förderung der Brennstoffe sicherstellen. Nun ist Putin dabei, diese Verträge wieder zu kündigen. Er will alles, und zwar in staatlicher Hand. Solche Energiereserven können aus einem verhältnismäßig armen Land in kürzester Zeit ein sehr reiches Land machen und erfüllen damit einen doppelten Zweck: Zum einen kann Rußland die Einnahmen dazu verwenden, seine marode Armee aufzurüsten. Schon jetzt geht der jährliche russische Militäretat in die Milliarden. Zum anderen – und das ist der weitaus wichtigere Punkt: Der Westen hat einen schier unstillbaren Hunger nach Energie. Ihn mit dieser Energie zu beliefern – oder sie ihm vorzuenthalten! -, sichert Rußland seinen Status als Weltmacht. Und Rußland wird ihn nutzen, damit der Westen um Energie betteln muß wie der Junkie um den Schuß. Hier und nirgendwo anders braut sich ein Kalter Krieg zusammen. Und was ist mit dem Öl aus der Nordsee? Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, daß viele vergessen haben, daß diese Reserve bald aufgebraucht sein wird. In zehn Jahren werden wir nicht mehr zu 20 Prozent, sondern zu 80 Prozent von Energieimporten abhängig sein. Wenn Putin geht, wird ein anderer kommen. Der russische Bär erhebt sein Haupt, und er macht weder Gefangene noch Freunde. Er macht nur abhängig. Frederick Forsyth ist britischer Schriftsteller. Im Jahr 2006 erschien sein jüngster Roman „Der Afghane“ im Münchner Bertelsmann Verlag.
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