V om 13. bis zum 15. Februar 1945 wurde Dresden durch zwei Nachtangriffe der Royal Air Force und zwei Tagesangriffe der United States Army Air Force zerstört. Die Stadt hatte 630.000 gemeldete Einwohner. Dazu gesellten sich ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter sowie armselige Scharen flüchtender Frauen, Kinder und älterer Männer aus dem deutschen Osten, vor allem aus Schlesien. Nach groben Schätzungen hielten sich etwa 950.000 Menschen in der sächsischen Metropole auf. Sie hatten so gut wie keine Erfahrungen mit dem Luftkrieg. Kein Schutzbunker konnte sie aufnehmen. Die Menschen wurden von explodierenden Bomben oder Gesteinstrümmern erschlagen, verbrannten oder erlitten einen tödlichen Hitzschlag, erstickten an Sauerstoffmangel oder starben durch Rauch- sowie Kohlenmonoxidvergiftung. Acht Tage später begann ein in der Zivilisationsgeschichte einmaliger, erst am 5. März 1945 abgeschlossener Vorgang: die Verbrennung vieler tausend Opfer auf dem Dresdner Altmarkt. Die Getöteten wurden auf einem Rost aufgeschichtet; als Brennmaterial fungierte Sprengstoff aus Blindgängern und Flammenwerferöl, nur in beschränktem Maße knapp gewordenes Rohöl und Benzin. Angeordnet wurde die Verbrennung von Gauleitung und Stadtverwaltung wegen des raschen Fortschreitens von Verwesung und der damit einhergehenden Seuchengefahr. Wie aber konnte mitten im kalten Kriegswinter 1944/45 innerhalb weniger Tage Seuchengefahr entstehen? Nach den Luftschlägen blieb die Tagestemperatur in Dresden eine Woche lang konstant bei zwei bis fünf Grad Celsius; nachts kühlte es auf ein bis minus drei Grad Celsius ab. Bemerkenswerte Verwesungsprozesse kann es nur in den glutheißen Kellern zerstörter Häuser gegeben haben, die teilweise aber erst mehrere Wochen nach dem Brand betreten werden konnten. Vergleiche mit dem Hamburger Feuersturm vom 27./28. Juli 1943 drängen sich auf. Dort starben mitten in einem heißen Sommer etwa 40.000 Menschen, ohne daß Seuchengefahr gedroht hätte. Anfängliche Bedenken der Hamburger Polizei wurden durch ein Gutachten ausgeräumt (Hans Brunswig). Naheliegende Erklärung: Die Dresdner Opferzahl, so schwer sie auch zu ermitteln sein mag, ist ungleich größer als die Hamburger (Wolfgang Schaarschmidt). Unklar ist bereits, wie viele Menschen auf dem Altmarkt und möglicherweise an anderen Stellen der Stadt verbrannt worden sind. Waren es 6.865 („Schlußbericht des Befehlshabers der Ordnungspolizei vom 15. März 1945“), 9.000 (Urkundenstelle des Dresdner Rathauses am 23. Juli 1965), 25.000 (Augenzeuge Hausmeister Erich Puff) oder gar 60.000 (Oberstabsarzt Max Funfack)? Ein Großteil der sterblichen Überreste wurde auf dem Heidefriedhof bestattet. Dort befand sich bis 1960 neben einem fünf Meter hohen Holzkreuz folgende Inschrift: „Die Asche von 10.000 Menschen bedeckt dieser kleine Hügel von vier mal sechs Meter.“ Zeitgenössische Mitteilungen Dresdner Friedhöfe dokumentieren die Bestattung von annähernd 25.000 Menschen. Friedrich Reichert, Kustos am Stadtmuseum Dresden, leitet daraus die Gesamtzahl der Opfer ab: „Die städtischen Archivakten belegen mehrfach schlüssig, daß die Luftangriffe … nachweisbar zirka 25.000 Todesopfer forderten.“ Ihm ist entgegenzuhalten, daß Bezeichnungen wie „Schlußbericht vom 15. März 1945“ trügerisch sind. Sie täuschen eine Erkenntnissicherheit vor, die vier Wochen nach dieser exorbitanten Katastrophe noch nicht bestanden haben kann. Zudem erfaßt die Zahl 25.000 selbstverständlich nur die von der Friedhofsverwaltung erfaßten Leichname. Die Dunkelziffer dürfte wegen der übermenschlichen Belastungen der Hilfstrupps, die irgendwann „einfach mit dem Zählen aufhörten“, beträchtlich sein. Getötete, die in später verfüllten Kellern zurückblieben und bei der Neubebauung „eingewalzt“ wurden, kommen in diesem „Schlußbericht“ ohnehin nicht vor. Gleiches gilt für jene, die im Feuerorkan zu Aschehäufchen verbrannt sein könnten. Um die Verbrennungsthese ranken sich allerdings physikalische Probleme. „Die Tatsache, daß der Feuersturm den Sauerstoff in Bodennähe absaugte und seine höchsten Temperaturen weiter oben erreichte, sollte zur Prüfung der Frage Anlaß geben, ob am Boden des Brandgebiets wirklich durchweg Krematoriumsbedingungen (über tausend Grad Celsius, Sauerstoffzustrom) herrschten, unter denen Zigtausende von Menschen bis auf die Asche verbrannten“ (Horst Boog). Auf wenigstens 35.000 Getötete könnte eine Erklärung des Friedhofsgärtners Wilhelm Zeppenfeld hindeuten. Dieser berichtet von 28.746 Bestattungen allein im Massengrab auf dem Heidefriedhof sowie von versäumten Zählungen bei Leichen mit schweren Kopfverbrennungen und -deformationen. Die Zahl 35.000 lag auch der offiziösen DDR-Geschichtsschreibung zugrunde und hat, verbunden mit einer Art Öffnungsklausel („oder mehr“), mittlerweile Publikationen und Gedenkreden der Bundesrepublik Deutschland erobert. Zu ihren markantesten Verfechtern gehört der Historiker und Zeitzeuge Götz Bergander, dessen Standardwerk „Dresden im Luftkrieg“ durch Quellenreichtum und wohltuende Nüchternheit, aber auch gewisse Beschwichtigungstendenzen geprägt wird. David Irving („Der Untergang Dresdens“) und Wolfgang Schaarschmidt („Dresden 1945. Daten/Fakten/Opfer“) gehen von mindestens 135.000 Bombentoten aus. Sie stützen sich auf Aussagen des die Leichenverbrennungen beaufsichtigenden Oberstabsarztes Max Funfack sowie des Studienrates Hanns Voigt, der als Leiter der „Abteilung Tote“ bei einer kurzfristig eingerichteten „Vermißtennachweiszentrale“ fungierte. Voigt bekundete, bis zum Einmarsch der Roten Armee am 8. Mai 1945 etwa 80.000 bis 90.000 Karteikarten über zum Teil namentlich bekannte Tote angelegt zu haben, und schätzte die Zahl weiterer, von ihm nicht mehr erfaßter Opfer anhand sichergestellter Schmuckstücke und Eheringe auf etwa 50.000. An 80.000 bis 90.000 teils identifizierte, teils nicht identifizierte Bombentote erinnert sich auch der für die Durchführung der Leichenverbrennungen verantwortliche, von Schaarschmidt eingehend befragte Wehrmachtsmajor Eberhard Matthes. Die Karteien der Vermißtennachweiszentrale und weitere aussagekräftige Dokumente wurden teils vernichtet, teils in die Sowjetunion abtransportiert. Urheber dieser Aktion könnten die durch weltweite Empörung verunsicherten Briten gewesen sein. „Die Annahme liegt nahe, daß auf Churchills Anordnung hin die britische Seite an die sowjetische mit dem Wunsch herantrat, sie möge alle Unterlagen über die Dresdner Bombenopfer, die in ihre Hände fielen, der britischen Seite im Original aushändigen. Dafür sollten den Russen aus dem englischen Beutebestand deutscher moderner Waffenentwicklung Kompensationen überlassen werden“ (Schaarschmidt). Daß die Sowjetunion das Kooperationsangebot kaum zurückgewiesen haben dürfte, liegt auf der Hand. Sowohl im Hinblick auf ihre Gebietsansprüche in Ostpreußen und Ostpolen als auch aus Angst davor, wegen massenhafter Kriegsverbrechen eigener Militärs an den (Nürnberger) Pranger gestellt zu werden, hatte sie ein lebhaftes Interesse am Wohlwollen der Westalliierten. 135.000 bis 150.000 Bombentote könnten eine realistische Marke setzen, auch wenn das schier unglaubliche Durcheinander während und nach dem 13. bis 15. Februar 1945 sowie die alsbald einsetzenden Propagandaschlachten einen Zerrspiegel ohnegleichen bilden. Immer wieder werden die Dresdner Opferzahlen zum Gegenstand eines unwürdigen Zanks, dem an historischer Wahrheit wenig, an politischer Instrumentalisierung dafür um so mehr gelegen ist. Unter „Ideologieverdacht“ gerieten 1965 auch die Zeugen Funfack und Voigt, die zu einer Modifikation ihrer Aussagen gedrängt (Funfack) bzw. unter Verwendung von Verbalinjurien mit dem NS-System in Verbindung gebracht wurden (Voigt). Urheber der Kampagne war Walter Weidauer, erster kommunistischer Oberbürgermeister von Nachkriegs-Dresden und Autor einer Bombenkriegsstudie („Inferno Dresden“), die maßgeblich zur Verfestigung der niedrig geschätzten, DDR-offiziösen Opferzahl von 35.000 beigetragen hat. Naturgemäß kann die Glaubwürdigkeit längst verstorbener Zeitzeugen wie Funfack oder Voigt aus heutiger Sicht nur abstrakt beurteilt werden. Immerhin müssen sie ihren Vorgesetzten bis zum Februar 1945 als enorm belastbar, ausdauernd und gewissenhaft aufgefallen sein, sonst wären ihnen keine so verantwortungsvollen Aufgaben übertragen worden. Auch die Gesprächspartner Funfacks und Voigts, allen voran der britische Historiker David Irving, sahen wenig Anlaß zur Skepsis: jedenfalls nicht zu prinzipieller Skepsis. Zudem liefert Voigt keine wirren Spekulationen oder Schätzungen. Bezüglich der 80.000 bis 90.000 Toten seiner Kartei verweist er auf von ihm registrierte und zumindest teilweise persönlich in Augenschein genommene Leichname, bezüglich weiterer 50.000 Toter auf eine vernünftige Schätzgrundlage. Auch wenn – bedauerlicherweise – wohl keine Mitarbeiter Funfacks und Voigts befragt worden sind, die deren Aussagen hätten erhärten oder widerlegen können, so spricht doch der erste Anschein für die Seriosität der beiden. Wer ihnen dennoch maßgebliche Irrtümer, bewußte Übertreibungen oder gar Propagandalügen unterstellt, trägt die Beweislast für die Richtigkeit seiner Behauptungen. Plumpe Beschimpfungen („obskures Element“ oder „übles faschistisches Element“) durch Weidauer können die Glaubwürdigkeit von Funfack und Voigt nicht unbedingt erschüttern. Wer den historischen Diskurs zu Unflätigkeiten mißbraucht, entlarvt sich selbst als Ideologe. Redlicherweise bleibt folgendes Resümee: Juristische Vollbeweise mit dem Ziel, eine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ zu erzeugen, sind für alle Zahlen oberhalb von 25.000 nicht leicht zu führen. Sie werfen um so mehr Probleme auf, je enger der (auslegungsbedürftige) Begriff der „an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ gefaßt und je höher die Opferzahl angesetzt wird. Ist diese strenge Sichtweise angesichts des Dresdner Chaos vom Februar/März 1945 aber wirklich maßgebend? Sollte der Historiker sich nicht mit milderen Beweismaßstäben oder -zielen begnügen? Worin unterscheidet sich überhaupt „geschichtliche Wahrheit“ von der bloßen Möglichkeit oder reinen Spekulation über historische Geschehnisse? Anders als die auch präskriptiv verfahrende, unter ständigem Entscheidungsdruck stehende Strafjustiz – sie muß zudem die hohe Hürde des „In dubio pro reo“ überwinden – hat die deskriptive Geschichtswissenschaft keine bis ins äußerste perfektionierte Lehre vom Tatsachenbeweis entwickelt. Bei der Rekonstruktion schwer aufklärbarer Ereignisse sollte sie vernünftigerweise vom Beweisziel „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ ausgehen. Es ist erreicht, wenn unter Würdigung aller Umstände mehr für als gegen den fraglichen Geschehensablauf spricht. Je facettenreicher der Geschehensablauf, desto bedeutsamer die geordnete und systematische Befragung kompetenter Zeitzeugen! ……………………………. Die wahre Opferzahl dürfte weit oberhalb von 25.000, im Sinne von „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ sogar bei mehr als 100.000 liegen. Eher realitätsfern sind dagegen Theorien über mehr als 150.000 Bombentote. ……………………………. Vor diesem Hintergrund können die von der Friedhofsverwaltung gezählten Bombenleichen nur als Ausgangspunkt der Wahrheitsfindung dienen. Gewichtige Indizien lassen vermuten, daß zahlreiche Tote nie erfaßt worden sind. Teilweise wurden sie aus den beschriebenen Gründen überhaupt nicht geborgen, teilweise wegen übermenschlicher Strapazen der mit Bergung, Leichenverbrennung und Bestattung beschäftigten Hilfstrupps nicht mehr mitgezählt. Die wahre Opferzahl dürfte weit oberhalb von 25.000, im Sinne von „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ sogar bei mehr als 100.000 liegen. Daran ändert auch die Einsicht nichts, daß jede einzelne der in die Diskussion geworfenen Zahlen – egal ob 35.000, knapp 100.000 oder 135.000 – gewisse Schätzungen mit einbezieht. Gegen die Annahme einer über 35.000 hinausgehenden und aufgrund dieser Exorbitanz erschreckenden Opferzahl werden hin und wieder statistische Einwände vorgebracht: Es werden die Schadensflächen bombardierter Städte und die jeweils abgeworfenen Bombentonnagen in eine proportionale, für Dresden prima vista „erträgliche“ Relation gesetzt. Dieses Verfahren dürfte aber nur begrenzten Ertrag bringen. Es macht einen großen Unterschied, ob die gleiche Bombenmenge auf ein kaum besetztes, ein halb gefülltes oder ein mit 80.000 Zuschauern überquellendes Fußballstadion geworfen wird. Im übrigen signalisiert der Vergleich mit Pforzheim für Dresden durchaus eine Opferzahl im sechsstelligen Bereich. In Pforzheim starben am 23. Februar 1945 auf einem Areal von 2,5 Quadratkilometern 18.000 Einwohner (Flüchtlinge oder Zwangsarbeiter spielten eine statistisch untergeordnete Rolle), die ähnlich unzureichend auf den Bombenkrieg vorbereitet waren wie die Einwohner Dresdens. Die wegen der Flüchtlinge extrem bevölkerte Totalschadensfläche von Dresden beläuft sich auf immerhin 15 Quadratkilometer. Eher realitätsfern sind dagegen Theorien über mehr als 150.000 Bombentote. Sie beruhen zum einen auf spontan entstandenen Kriegsgerüchten, mögen diese aus dem Mund berufener Zeitzeugen auch noch so selbstverständlich klingen: „Gestern brachte der junge Rothe, ein frischer Junge von etwa siebzehn Jahren, einige Nummern vom Kamenzer Tageblatt. Trostlos für uns die Heeresberichte: Weder im Westen noch im Osten kommt der Gegner vorwärts. (…) Schamlos die kurzen Notizen über Dresden. Immer nur die unersetzlichen Kunstdenkmäler, kein Wort über die 200.000 Toten“ (so der Literaturwissenschaftler Victor Klemperer). Zum anderen beruhen derartige Horrorzahlen auf einem rätselhaften Dokument: dem „Tagesbefehl Nr. 47“ vom 22. März 1945. Als Aussteller firmiert eine Behörde, die es unter dieser Bezeichnung nie gegeben hat: „Der höhere Polizei- und SS-Führer – Der Befehlshaber der Ordnungspolizei“. In dem 1955 entdeckten „Tagesbefehl“ heißt es: „Bis zum 20. März abends wurden 202.040 Tote, überwiegend Frauen und Kinder, geborgen. Es ist damit zu rechnen, daß die Zahl auf 250.000 Tote ansteigen wird. Von den Toten konnten nur annähernd dreißig Prozent identifiziert werden. (…) Da der Abtransport der Toten nicht rechtzeitig und rasch vonstatten gehen konnte, wurden 68.650 Gefallene eingeäschert, die Asche auf einem Friedhof beigesetzt.“ Formale Bedenken an der Echtheit des Schriftstücks ergänzen sich mit inhaltlichen. Vor allem organisatorisch sind diese Zahlen kaum nachzuvollziehen. Bis zum 20. März 1945 können – zumal unter den abnormen Dresdner Bedingungen – keine 202.040 Bombentoten geborgen und obendrein exakt gezählt worden sein. Dr. Björn Schumacher , Jahrgang 1952, ist Jurist. Auf dem Forum schrieb er zuletzt zum Thema „Bundesstaat Europa?“ (JF 21/05). „Wie viele starben? Wer kennt die Zahl?“ – Mahnmal für die Opfer der Luftangriffe auf dem Dresdner Heidefriedhof: „Sie hatten so gut wie keine Erfahrungen mit dem Luftkrieg. Kein Schutzbunker konnte sie aufnehmen. Die Menschen wurden von explodierenden Bomben oder Gesteinstrümmern erschlagen, verbrannten oder erlitten einen tödlichen Hitzschlag, erstickten an Sauerstoffmangel oder starben durch Rauch- sowie Kohlenmonoxidvergiftung.“ Foto: Delphi Filmverleih