Pressefreiheit. Freiheit der Meinungsäußerung. Das gehört zur westlichen Demokratie wie das Amen in die Kirche – falls da noch jemand hingeht. Woanders, ja, da muß man um die Pressefreiheit kämpfen: in China, in Weißrußland, in Simbabwe. Weltweit gehört der Journalistenberuf zu den gefährlichsten. Noch nie wurden so viele Journalisten bei der Ausübung ihres Berufes getötet, verletzt, inhaftiert oder bedroht wie heute: Zwölf getötete und 126 inhaftierte Journalisten und Medien-Assistenten verzeichnet Reporter ohne Grenzen allein in den wenigen Wochen seit Beginn des Jahres. Autoritäre Regime und Diktaturen wie China, Rußland oder Kuba, die vor willkürlichen Verhaftungen und mysteriösen „Unfällen“ nicht zurückschrecken, sind für Journalisten ein riskantes Pflaster. Noch mehr gilt das für die alten und neuen Krisengebiete und Kriegsschauplätze in aller Welt: Wenn Länder wie Bosnien-Herzegowina oder der Irak in Anarchie versinken, erkennen die Kugeln, Bomben und Granaten der kriegführenden Parteien sowie der Milizen und Warlords weder inländische noch internationale Presseausweise an. Schnell ist da auch mal ein Korrespondent entführt, um mit dem erpreßten Lösegeld den Krieg am Laufen zu halten. Aber hierzulande? Hier darf doch jeder sagen und schreiben, was er will. Hier herrscht Pressefreiheit, „eine Zensur findet nicht statt“, das steht ja schon im Grundgesetz. Die Zeit für solch unhinterfragte Gewißheiten ist vorbei. Und das nicht erst, seit fanatische Mullahs von westlichen Regierungschefs „Entschuldigungen“ für die Meinungsäußerungen einer unabhängigen Presse verlangen. Schleichend ausgehöhlt wird die Presse- und Meinungsfreiheit in unserem Land schon lange. Ökonomische Prozesse haben daran ebenso Anteil wie die Ajatollahs der „politischen Korrektheit“. Gewiß: Es sitzt heute kein reaktionärer Zensor mehr in einer finsteren Amtsstube und läßt in Druckwerken schwärzen, was der Obrigkeit nicht genehm ist. Ebensowenig gibt es ein Zentralkomitee oder eine Reichsschrifttumskammer, die den Redakteuren Woche für Woche vorgäben, was zu melden und wie es zu kommentieren ist. Wer unbequeme Meinungen äußert, wird auch nicht willkürlich ins Gefängnis geworfen, einen Kopf kürzer gemacht oder sonstwie an Leib und Leben bedroht. Doch auch in Deutschland häufen sich die Fälle, in denen Behörden willkürlich, mit Rückendeckung von Richtern oder Staatsanwälten, Journalisten durch Hausdurchsuchungen oder Razzien in Redaktionsräumen einzuschüchtern versuchen. Das kann prononciert linke oder rechte Medien ebenso treffen wie Mainstream-Publikationen, wenn ihre Recherchen die Kreise der Mächtigen stören. Die Spiegel-Affäre, die in den Sechzigern die Republik erschütterte, hat heute viele Nachfolger, die kaum noch Aufregung verursachen. Meist sind die Einschränkungen subtiler Natur. Das Perfide daran ist gerade, daß es keine Zensurinstanz gibt, die man direkt angreifen und demontieren könnte. „Gleichschaltung“ funktioniert in unseren Tagen mit schlanken Hierarchien und auf freiwilliger Basis: per Gruppenzwang, der die Mehrzahl der Meinungsmacher und Diskutanten vor Äußerungen zurückschrecken läßt, die sie selbst ins Abseits stellen könnten. Dynamische Konzentrationsprozesse beschleunigen die „Schweigespirale“ (Elisabeth Noelle-Neumann). Der Blick in die Programmzeitschrift oder in das Verzeichnis der in Deutschland erscheinenden Tageszeitungen und Magazine gaukelt eine Vielfalt vor, die es in Wahrheit in dieser Breite gar nicht gibt. Das scheinbar bunte Spektrum der privaten Rundfunk- und Fernsehsender läßt sich auf wenige schlagkräftige Sendergruppen zurückführen, die weiter auf Konzentrationskurs sind – auch im Mediengeschäft geht es schließlich in erster Linie um den Profit und nicht um die Erfüllung von Bildungsaufträgen oder gar um unabhängigen, nur der Wahrheit verpflichteten Journalismus. Der Boulevardaffe will immer neuen Zucker. Nicht viel anders stellt sich die Zeitungslandschaft dar: Schaut man ins Impressum all der kleinen und kleinsten Lokal- und Regionalzeitungen, stößt man auf eine übersichtliche Zahl großer Zeitungsgruppen, deren Mantelteile die Richtung vorgeben. Über die politische Neutralität der dahinterstehenden großen Verlagshäuser braucht man sich keine Illusionen zu machen – bei der SPD-eigenen Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG) sowieso nicht, bei Springer oder Holtzbrinck kaum mehr. Schrumpfende Anzeigenmärkte und Abonnentenzahlen lassen vielerorts auch gar keinen Raum mehr für konkurrierende Tageszeitungen. In weiten Bereichen der publizistischen Landschaft herrscht trotz aller scheinbaren Vielfalt publizistische Monokultur. Kritischer und unabhängiger Journalismus braucht aber inhaltlichen Wettbewerb. Statt dessen dominiert der Konkurrenzkampf ums nackte Überleben. Bedroht von ökonomischen Zwängen und Entlassungswellen, mißtrauisch beäugt von den Kollegen, wachsam beobachtet von allzeit kampagnebereiten Tugendwächtern, abhängig von Anzeigenkunden, deren Aufträge über das Wohl und Wehe des Blattes oder Senders entscheiden können, überlegt sich so mancher Journalist zweimal, ob der nonkonforme Kommentar zum heißen politischen Eisen oder die kritische Reportage über die Praktiken der örtlichen Discounter-Filiale wirklich sein muß. Lieber füllt man das Blatt mit standardisierten Agenturberichten oder wohlfeilem PR-Material. Daß im Zeitalter der Globalisierung auch internationale Finanzinvestoren den deutschen Zeitungsmarkt entdeckt haben – die Übernahme des Berliner Verlags und der Hamburger Morgenpost durch eine britisch-amerikanische Gruppe war erst der Anfang -, mag zwar gegenüber der politisch korrekten innerdeutschen Monokultur auch die Chance auf größere Freiräume bieten. Doch Investoren sind in erster Linie der Rendite ihrer Anteilseigner verpflichtet und nicht der Hege und Pflege von Pressefreiheit und unabhängigem Journalismus. Und Profit macht man mit Zeitgeist, nicht mit Dissidententum. Pressefreiheit gibt es nicht von selbst, nur weil sie im Grundgesetz steht. Um die Pressefreiheit muß man ringen, jeden Tag. Das ist eine Frage der Berufsehre: Journalisten müssen Kämpfer sein und keine Schreibbeamten mit gewerkschaftlichem Vollkaskoschutz sein. Solange es unabhängige, unbestechliche Medien und Journalisten gibt, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung nicht wegen möglicher Nachteile aufgeben, gibt es auch Pressefreiheit. Letztlich zählt nicht die Größe oder der Umsatz, sondern der Geist, aus dem heraus gedacht, gesendet und geschrieben wird.