Stolz, deutsch zu sein, muß ja nicht gleich Überheblichkeit bedeuten“, erklärt die 18jährige Elisabeth. Sie verläßt gerade die neu eröffnete Dauerausstellung „Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen aus zwei Jahrtausenden“ des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Es ist zum ersten Mal seit langem sonnig und heiß, und dennoch tummeln sich in den historischen Räumen Schüler in ernster, aber auch ausgelassener Stimmung. Vor allem wird in allen möglichen Sprachen über die Ausstellungsstücke gestaunt und diskutiert. Zwei Holländerinnen bewundern eine mittelalterliche Ritterrüstung. Ein Engländer schaut sich die deutschen und britischen Propagandaplakate des Ersten Weltkrieges an. Eine Gruppe Spanier fotografieren sich gegenseitig vor dem Globus von Adolf Hitler und zeigen dabei mit dem Finger auf das Einschußloch, welches von einem russischen Soldaten stammt. Auch wenn die ausländischen Museumsbesucher in der Unterzahl sind, gibt es natürlich aufgrund der Fußballweltmeisterschaft zur Zeit mehr Touristen in Berlin als sonst. Die Welt ist in diesen Tagen zur Gast bei Freunden – genauer gesagt, bei den Deutschen. Viele dieser Gäste besuchen die am 2. Juni eröffnete Ausstellung über die Geschichte ihres Gastgeberlandes, um sich ein Bild davon zu machen, was denn außer dem Holocaust, der Berliner Mauer, Bratwurst und dem Münchener Oktoberfest sonst noch so deutsch ist. Nur – was deutsch ist, das wissen die meisten Deutschen selber nicht. Ein paar 17jährige Jungen, die mit ihrer Schulklasse die Ausstellung gerade besuchen wollen, antworten provokant, daß Döner besonders deutsch sei. Die ganze Klasse muß darüber kichern. Warum sie überhaupt zu der Ausstellung gekommen sind, wissen sie nicht, oder wollen es nicht wissen. Sie seien dazu gezwungen worden, heißt es. „Aber eigentlich wollen wir dazu gezwungen werden“, korrigiert einer der Jungen. Sie erwarten, in der Ausstellung vor allem den Zweiten Weltkrieg zu finden, weil dieser Krieg ein wichtiges Kapitel der Deutschen Geschichte darstelle. An diesen Zeitabschnitt denken sie auch als erstes, wenn sie an Deutschland denken. Darüber hinaus fallen ihnen Hitler, die Mauer und der Checkpoint Charlie ein, wenn sie an ihr Land denken. „Ich muß aber auch an bekannte Wissenschaftler und an die vielen Erfindungen, die aus Deutschland kommen, denken“, sagt einer der jungen Männer, bevor die Klasse von zwei leicht entnervten Lehrerinnen aufgefordert wird, sich endlich in die Ausstellung zu begeben. Man habe schließlich nur noch zwei Stunden, bis das Museum schließe. „Zeit ist das Hauptproblem bei der Ausstellung“, sagt ein Museumsaufseher. „Viele rechnen gar nicht mit der Fülle an Information, die sie in der Ausstellung erwartet. Die Gäste sind oft schlicht überwältigt – ja, oft fast überfordert.“ Sie bräuchten für die Ausstellung sehr viel Zeit. Aber zweitausend Jahre Geschichte könne man unmöglich kürzer darstellen. „Wichtig ist jedoch, daß das Interesse da ist. Denn als Deutsche sollte man die deutsche Geschichte schließlich kennen“, erklärt der Aufseher. Vanessa D. und Ansgar G. stehen im Foyer des Museums und planen, am nächsten Tag die Ausstellung zu besuchen. „Wir haben davon viel in den Medien gehört, und weil wir beide in der Schule einen Leistungskurs in Geschichte hatten, also weil wir uns sehr für Geschichte interessieren, wollen wir die Ausstellung auf jeden Fall anschauen“, sagt die 18jährige Vanessa. Als Schwerpunkt vermutet der 20jährige Ansgar „wieder einmal“ die NS-Geschichte Deutschlands. Auf Nachfrage erläutert der junge Mann: „Das wird doch immer betont. Man bekommt oft das Gefühl, daß es in der Deutschen Geschichte nichts anderes gäbe. Den Zweiten Weltkrieg sieht man doch immer und überall.“ Etwas verunsichert fügt er dann hinzu, daß diese Zeitspanne ja auch interessant und wichtig sei. Was deutsch ist, können die beiden, zumindest vor der Ausstellung, nicht beantworten. „Das ist eine sehr schwierige Frage. Wir wissen es ehrlich gesagt nicht“, sagen sie. Die Germanen wurden zu kurz behandelt „Kriege, die Mauer, Berlin, Gastfreundlichkeit“, nennt dagegen eine Gruppe von zwölfjährigen Kindern als Dinge, die ihnen in Sinn kommen, wenn sie an Deutschland denken. „Wir kommen aus Rheinland-Pfalz, wo es erst ab der siebten Klasse Geschichtsunterricht gibt. Deshalb sind diese Kinder eigentlich völlig unbefleckt in die Ausstellung reingegangen“, sagt die Lehrerin. „Wir sind momentan wegen der WM in Berlin und hatten heute Zeit, die Stadt anzuschauen. Mir war es wichtig den Kindern vor allem den Begriff ‚Preußen‘ durch die Ausstellung näherzubringen.“ Ein Junge sagt, daß ihm die chronologische Rheinfolge der Ausstellung besonders gefallen habe. Schlecht fand er dagegen, was den Juden in Deutschland passiert ist. Wie die Befreiung der Konzentrationslager durch den Alliierten in der Ausstellung dargestellt wurde, sei für den Zwölfjährigen zuviel gewesen, erzählt die Lehrerin. Maximilian K. schaut sich die Bildbände im Museumsladen an. „Ich fand die Ausstellung sehr gut gemacht“, sagt der 25jährige Geschichtsstudent. „Gut war auch die Aufteilung in zwei Stockwerke. Dadurch könnte man die riesige Ausstellung in zwei Etappen anschauen, wenn es einem auf einmal zuviel wäre.“ Schlecht sei dagegen gewesen, daß die Germanen zu kurz behandelt wurden. „Das kann ich noch irgendwie verstehen. Die Germanen als Ursprung der Deutschen zu sehen, ist eine schwierige Sache. Schließlich waren es ja viele verschiedene Stämme.“ Was Maximilian aber überhaupt nicht verstehen kann, ist, daß die Stauferkaiser aus der Ausstellung komplett weggelassen wurden. Sie seien nur mit ein paar Wörtern auf einer Zeittafel ernannt worden. „Ich bin durch den Teil der Ausstellung extra zweimal durchgelaufen, weil ich es nicht glauben konnte. Vor allem Barbarossa ist eigentlich für die deutsche Geschichte und Identität nicht zuletzt als Mythos von großer Bedeutung“, erzählt der Geschichtsstudent verärgert. „Auch sein Enkel Friedrich II. war viel zu bedeutend, um ihn zu übergehen.“ Zu wenig Mittelalter in der Schule Was deutsch sei, ist für Maximilian heute schwer zu beantworten. Was es Mal war, sei dagegen leichter zu sagen. „Früher zählten noch die deutschen Tugenden: Ehre, Treue, Fleiß, Stärke und Pflichtbewußtsein als besonders deutsch. Heute zählen Werte wie Toleranz, Pazifismus und Egoismus, was der 68er-Revolution zu verdanken ist. Die Deutschen sind heute verweichlicht, fett und gelten in der Welt nicht mal mehr als besonders intelligent“, sagt Maximilian. „Wenn ich an Deutschland denke, würde ich mich gerne mit den früheren Werten identifizieren – aber so ein Deutschland gibt es leider heute nicht mehr.“ Sichtlich erschöpft sitzen vier Mädchen aus Hannover auf einer Bank und warten auf ihre Klassenkameraden, die noch in der Ausstellung sind. Patricia K., Katrina G., Dörthe B. und Elisabeth L. sind 17 und 18 Jahre alt und haben in der Schule Geschichte als Leistungskurs. Sie seien in die Ausstellung gekommen, weil ihr Lehrer wohl den Unterrichtsstoff vertiefen wollte, sagen sie und warten lächelnd auf die Reaktion des Geschichtslehrers. „Überlegt euch gut, was ihr antwortet“, sagt der Lehrer. Schließlich habe man es mit der Presse zu tun. „Die Ausstellung war interessant, aber es war so viel auf einmal“, sagen die Mädchen. Besonders haben sie die vielen Gemälde und die unterschiedlichen Kleidungsstücke aus den verschiedenen Epochen beeindruckt. Am meisten Neues hätten sie über das Mittelalter gelernt. Dieses Zeitalter werde leider wenig in der Schule behandelt. „Mich haben am meisten die durchschossenen Helme aus dem Zweiten Weltkrieg beeindruckt“, sagt der Lehrer und holt die Mädchen damit schlagartig aus dem mittelalterlichen Rittermärchen wieder in die Realität zurück. „Die Ausarbeitung des Nationalsozialismus war auch beeindruckend“, sagt Elisabeth L. „Man kann sich mit dem Teil der Vergangenheit nicht unbedingt identifizieren, aber es gehört zu unserer Geschichte als Deutsche.“ Ob die Ausstellung den Nerv dessen getroffen hat, was deutsch ist, findet sie schwierig zu sagen. „Es ist aber schön, einmal über die dunkle Vergangenheit Deutschlands hinausblicken zu können und zu sehen, daß es auch eine Zeit davor gab“, sagt sie. „Wenn man an diese anderen Epochen, zum Beispiel an Preußen denkt, kann man schon eine Art Stolz verspüren, deutsch zu sein“, so Elisabeth. Auf die Frage, ob man als Deutscher patriotisch sein darf, antworten die Mädchen vorsichtig: „Ein bißchen Patriotismus muß doch sein.“ Der Geschichtslehrer lächelt nervös, blickt um sich und fühlt sich bei der Antwort der Mädchen sichtlich unwohl. „Aber das Bild, was in der Aula von der deutschen Bevölkerung geboten wird, ist schon ein bißchen traurig und vor allem falsch“, sagt der Lehrer völlig aus der Luft gegriffen und wechselt damit das Thema. Er meint die im Foyer aufgestellten zahlreichen Pappfiguren, die verschiedene Deutsche zeigen. Das Bild sei falsch, weil ja schließlich keine Deutsch-Türken, korpulenten Menschen, farbige oder alte Menschen, Behinderte oder Schwangere zu sehen wären. „Stimmt“, sagen die Mädchen. „Mir wäre das gar nicht aufgefallen“, sagt Elisabeth und gibt dem besorgten Lehrer recht. Daß diese Pappfiguren kein repräsentatives Bild des deutschen Volkes darstellen sollen, hat der Lehrer offenbar nicht gewußt oder nicht wissen wollen. Die Pappfiguren gehören nämlich zu der bundesweiten Initiative „Deutschland – Land der Ideen“. Das Kunstwerk im Foyer heißt „100 Köpfe von morgen“ und zeigt Menschen aus Deutschland, die die Zukunft des Landes mit ihren Ideen prägen. Abgebildet sind also nur Menschen, die von einer Jury ausgewählt wurden, weil sie außergewöhnliche Ideen haben, und nicht etwa, weil sie ihr Volk statistisch genau repräsentieren. Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, 10117 Berlin. Öffnungszeiten: Täglich von 10 bis 18 Uhr. Weiteres im Internet unter www.dhm.de Imperium Romanum – Germanicum in suos circulos Electorat: Karte von Georg Matthäus Seutter dem Älteren (um 1735)
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