Der Islam ist dieser Tag einmal wieder in aller Munde. Im Vordergrund steht in letzter Zeit – neben dem Dauerthema Integration – vor allem die Frage, wann und wo die Gefühle von Muslimen oder deren Würde verletzt werden könnten. In Berlin haben „sensible“ Zeitgenossen jetzt „ein Zeichen gesetzt“ und die Mozart-Oper „Idomeneo“ abgesetzt. Die Intendantin der Deutschen Oper plagte wohl die Sorge, daß auf die Präsentation des blutigen, abgeschlagenen Kopfs des Propheten Mohammeds am Schluß der Oper bei möglichen Anschlägen durch Islamisten echtes Blut fließen könnte (siehe Beitrag unten auf dieser Seite). Dieser Akt von Selbstzensur, der derzeit landauf und landab diskutiert wird, ist sicherlich der bislang spektakulärste seiner Art, stellt aber keineswegs ein Novum dar. Zu nennen wäre etwa die Absetzung des islamkritischen Films „Nicht ohne meine Tochter“ durch den deutschen TV-Sender Vox im Jahre 1998, der eine mögliche Gefährdung seiner Mitarbeiter befürchtete. Auch als der deutsche Künstler Gregor Schneider auf dem Markusplatz in Venedig eine Arbeit zeigen wollte, die an die Kaaba in Mekka erinnert, das zentrale Heiligtum des Islam, mußte er erfahren, wo heute die Grenzen der Kunst gezogen werden. Die Stadtverwaltung lehnte nämlich die Präsentation seiner Arbeit wegen mutmaßlicher Terrorgefahr ab. Vorgänge, die pars pro toto stehen. Keine Frage: Der „Kampf der Kulturen“ hat Europa erreicht und entwickelt sich mehr und mehr zu einer Konstante, die auch im alltäglichen Leben immer festere Verankerung findet. Die Angst geht um im ach so aufgeklärten Europa, und mehr und mehr Zeitgenossen finden sich bereit, die vielbeschworenen „Errungenschaften der Aufklärung“ zur Disposition zu stellen, wenn Islamisten nur grimmig genug dreinschauen oder drohen. Dabei steht wohl vielen der Fall des niederländischen Filmregisseurs, Publizisten und Satirikers Theo van Gogh, Urgroßenkel von Theo van Gogh, des Bruders Vincent van Goghs noch wie ein Menetekel vor Augen, der am 2. November 2004 von einem islamistischen Fanatiker ermordet wurde. Die Frage, wie es überhaupt soweit kommen konnte, wird in der Regel nicht mehr gestellt. Heute leben schätzungsweise etwa 16 Millionen Muslime mit wachsender Tendenz in der Europäischen Union, die zwar in der Regel schlecht integriert sind, dessenungeachtet aber mehr und mehr kulturellen und politischen Einfluß ausüben. Wie lange wird man noch verhindern können, daß, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, die so anmaßende wie bezeichnende Forderung von Badr Mohammed, Generalsekretär des Europäischen Integrationszentrums sowie SPD-Politiker, Realität wird, auf dem Schloßplatz von Berlin eine große Moschee bauen zu wollen? Unumwunden fordert dieser Politiker: „Die deutsche Hauptstadt braucht starke Symbole, die die Integration der Einwanderer fördern. Eine große Moschee auf dem Schloßplatz könnte ein gelungenes Beispiel dafür sein.“ Was Badr Mohammed hier leutselig als „starkes Symbol der Integration“ verharmlost, ist bei Lichte betrachtet nichts anderes als ein ostentatives Zeichen der Eroberung, noch dazu auf einem der geschichtsträchtigsten Plätze des christlich geprägten Europa. Wenn man so will, ist die hiesige Ausbreitung des Islam die dritte muslimische Expansion nach Europa, die diesmal, im Gegensatz zu den in der Vergangenheit gescheiterten Versuchen, erfolgreich verlaufen könnte. Der erste Expansionsversuch fällt in das 7. Jahrhundert, als die Expansion des noch jungen Islam erst in der Schlacht von Tours und Poitiers im Jahre 732 zum Stehen gebracht werden konnte. Der zweite, ebenfalls mit militärischen Mitteln betriebene Eroberungszug endete 1683 bekanntlich vor Wien; von diesem Zeitpunkt an war das Osmanische Reich nur noch in der Defensive. Die dritte Expansion haben die Europäer selbst zu verantworten; ihre Anfänge (Stichwort: „Gastarbeiter“) fallen in die 1950er Jahre. Hauptzielländer waren Frankreich, Großbritannien, aber auch die Bundesrepublik Deutschland. Aufgrund laxer Zuwanderungsbestimmungen und eines mehr als großzügigen Familiennachzugs steigt der Anteil von Muslimen in Westeuropa immer weiter an. Als besonders problematisch hat sich dabei der Familiennachzug erwiesen, der Familienangehörige ohne Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikation und damit auch ohne Chance auf ausreichende Integration nach Europa bringt. Diese Klientel, die im „Niemandsland der Kulturen“ (Hans-Ueli Sonder-egger) steht, stellt ein ideales Rekrutierungspotential für Islamisten dar. An dieser Entwicklung hat sich bis heute – trotz der offensichtlichen Probleme bei der Integration von Muslimen (Stichwort: „Parallelgesellschaften“) – im Kern nichts geändert. Im Gegenteil muß davon ausgegangen werden, daß aufgrund der massiv steigenden Bevölkerung in Marokko, Algerien, der Türkei oder Libyen in Zukunft mit einem deutlich erhöhten Zuwanderungsdruck in Richtung Europäische Union zu rechnen ist. Als neues Phänomen kommt die illegale Zuwanderung hinzu, über deren Umfang nach wie vor nur Schätzungen kursieren. Die Türkei wird 2020 im übrigen – vorausgesetzt, sie ist bis dahin Mitglied der EU – das bevölkerungsstärkste EU-Mitglied sein, und zwar mit einer nahezu geschlossen islamischen Bevölkerung. Was das für den vielbeschworenen inneren Frieden in Deutschland heißt, darüber kann heute nur gemutmaßt werden. Wir sehen heute die ersten Anzeichen dafür, daß sich die deutsche Ausländerpolitik, die immer unter ideologischen Prämissen betrieben wurde, zu rächen beginnt. Das diesbezügliche Diktum von Eckart Werthebach (CDU), ehemals Innensenator von Berlin, hat nach wie vor Gültigkeit: „Zu einer Gesellschaftspolitik von morgen“, so Werthebach in einem Papier vom Juli 2000, „paßt … keine Ausländerpolitik von gestern. Wer deutsche Ausländerpolitik noch immer als Reparationsleistung für die Rassepolitik des Naziregimes begreift, darf sich nicht wundern, wenn ihm bald die Kontrolle über eine nur ideologisch motivierte Ausländerpolitik entgleitet.“ Die „Gesellschaftspolitik von morgen“, die Werthebach vor sechs Jahren beschworen hat, ist bis heute nicht Realität geworden. Das wird Konsequenzen haben: Möglicherweise ist nämlich das, was heute als Ausdruck des „Kampfes der Kulturen“ oder auch als „Renaissance des religiösen Gefühls“ apostrophiert wird, nur eine Art müdes Präludium für das, was Europa und auch Deutschland noch bevorsteht. Foto: Britische Muslime demonstrieren am 4. Februar 2006 in London gegen die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung
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