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Die falschverstandene Emanzipation

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Alice Schwarzer, jener dauerpräsenten Vorzeigeemanze und Herausgeberin des feministischen Zentralorgans Emma, darf man manches vorhalten in ihrem Kampf für das weibliche Geschlecht, nicht zuletzt, daß die Rechte der Frau ihr nicht bereits als wirklich ungeschütztes Leben, nämlich ab Zeugung etwas gelten. Ein Vorwurf aber geht daneben – anders als das Gros weiblicher wie männlicher Politiker aus den Reihen von PDS und Grünen hat Schwarzer früh, vehement und dauerhaft nicht nur die Zwangsprostitution gebrandmarkt , sondern auch die Rede von „freiwilliger“ Prostitution hinterfragt. Mit einer Schärfe, wie sie wohl nur aus dem Mund selbsternannter Randgruppenvertreter gebilligt werden darf, trat sie wiederholt Michel Friedman entgegen, dessen Sexabenteuer mit teilweise minderjährigen Prostituierten aus der Ukraine bis heute ungesühnt blieben. Im Editorial der aktuellen Emma-Ausgabe geht sie wiederholt hart mit der gesamten Grünen-Klientel ins Gericht und zieht ein vernichtendes Fazit: „Sollten die Grünen und ihr Gottvater nun auch noch diesen Skandal unbeschadet und unbelehrt überstehen, dann ist nicht nur an ihrer Demokratiefähigkeit, sondern auch am verstand ihrer WählerInnen zu zweifeln.“ Jährlich 14 Milliarden Euro Umsatz in Deutschland 400.000 Prostituierte schaffen in Deutschland an und bedienen dabei geschätzte zwölf Millionen Männer – nach solchen Annahmen zählt jeder dritte deutsche Mann zu den Freiern. 14 Milliarden Euro werden jährlich mit diesem Sexgeschäft umgesetzt. Prostitution und Menschenhandel sind untrennbar miteinander verbunden. Etwa sechzig Prozent der Prostituierten sind Ausländer (Stricher und sogenannte „Transgender“, oft thailändische, operierte Zwitterwesen, miteingerechnet), gut die Hälfte stammt aus Mittel- und Osteuropa, zwanzig Prozent aus Asien, 15 Prozent aus Lateinamerika, zehn Prozent sind Afrikanerinnen. Nach Erkenntnissen des BKA wird jede zweite Prostituierte mit falschen Versprechungen nach Europa gelockt, jede sechste gar mit offener Gewalt gekidnappt. Die Dimensionen erlauben es, von einem modernen „Sklavenhandel“ zu sprechen: Während eine „hübsche Blondine“ den erstbesitzenden Zuhälter um die 2.000 Euro kostet, gelten etwa Mädchen aus Rumänien als Billigware und sind oft schon für einhundert Euro vom Menschenhändler zu haben. Zirka dreißig Prozent der am Menschenhandel beteiligten Täter, schätzt selbst die Emma, sind dabei weiblichen Geschlechts. Die Partei der Grünen hat dabei dem Hurenwesen nicht nur durch den aktuell diskutierten „Volmer-Erlaß“ den Rücken gestärkt: Am 1. Januar 2002 war in Deutschland das neue Prostituiertengesetz in Kraft getreten, für das die Grünen mit teilweisem Beistand der SPD lange gestritten hatten. Während die Grünen vorzugsweise den legeren Terminus der „Sexarbeit“ im Mund führten, nannte man auf Seiten der SPD das Hurengewerbe eine „Tätigkeit, deren Ausübung geschützt werden muß vor Diskriminierung und Doppelmoral.“ Das Gesetz hob zuvörderst die Sittenwidrigkeit der Prostitution auf und erhob sie in den Rang einer „anerkannten Dienstleistung“. Außerdem legte es die Einklagbarkeit des Lohns gegenüber Freiern fest und eröffnete den Huren den Weg in Kranken- und Sozialversicherung. Dem türkischstämmigen Schwaben Cem Özdemir der öffentlich davon träumte, daß „irgendwann auch Bundestagsabgeordnete im Parlamentshandbuch als Beruf ‚Prostituierte‘ angeben können“, hielt damals Alice Schwarzer im „Christiansen“-Polittalk entgegen, dann bitte sie im Gegenzug „darum, daß auch ‚Freier‘ im Lebenslauf“ stünde. Bei der ersten Lesung des Gesetzes im Bundestag hatte die PDS beklagt, daß „Hure und Stricher“ immer noch kein „Beruf wie jeder andere“ sei, während die FDP gern zusätzlich die Strafbarkeit von Zuhälterei gestrichen haben wollte. Allein CDU/CSU hinterfragten die Unterteilung von Zwangs- und freiwilliger Prostitution und brachten den Begriff der „Menschenwürde“ ins Spiel: „Eine Dienstleistung, bei der Körper und Sexualität von Frauen zur käuflichen Ware gemacht werden, ist mit der Menschenwürde unvereinbar.“ Als die Grünen im Juni 2004 im Bundestag das „Prostiutiertengesetz auf den Prüfstand“ stellten, zeigte sich einhellig Unzufriedenheit bei nahezu sämtlichen Gruppen, die einst als Lobby für diese Gesetzesinitiative gekämpft hatten: Nicht die Huren, sondern die Zuhälter habe das Gesetz gestärkt, gaben diverse Hurenvereine an, und kaum eine Prostituierte habe sich seither kranken- oder sozialversichert. Ein Vertreter der Dienstleistungsgesellschaft Verdi bedauerte, noch keinerlei Mitgliederzuwächse unter Huren verzeichnen zu können. Bei den einkalkulierten Steuereinnahmen in Höhe von zwei Milliarden Euro hat sich der Bund ebenfalls verschätzt – nämlich um eben jene zwei Milliarden Euro: Die Prostituierten ziehen freilich einen Brutto- für Netto-Verdienst vor. Europaweit werden die Uno-Richtlinie von 1949 sowie die jüngere Europaratmaßgabe, nach denen Prostitution und Menschenhandel zu ächten seien, höchst unterschiedlich umgesetzt. Die Bandbreite des Umgangs mit dem „Sexbusiness“ reicht von einer durch und durch liberalen Handhabung in den Niederlanden bis hin zu einem äußerst restriktiven Gesetz in Schweden, das Freiern mit Haftstrafen droht und diese auch durchsetzt. Freiwillig sich prostituierende Frauen sind die Ausnahme Die Frauenbewegung nahm dabei durch die Jahrhunderte hindurch unterschiedliche Sichtweisen zur Thematik ein: 1875 gründete die britische Feministin Josephine Butler eine „internationale Abolitionistische Föderation“ (von abolish – abschaffen), die sich für eine Legalisierung der Prostitution einsetzte und vor allem die „männliche Sexualmoral“ hinterfragte. In Deutschland versuchte Gertrud Guillaume durch den von ihr gegründeten „Deutschen Kulturbund“ dieses Thema aufzugreifen. Ihre Vorträge wurden jedoch polizeilich aufgelöst und stießen auch bei den frühen Frauenbewegten auf Widerstand, so daß sich der Bund bald auflöste. 1889 wird das Thema erstmals von konservativer Seite aufgegriffen, auch wenn bereits die Berührung dieses Feldes als revolutionär empfunden wird: Hanna Bieber tritt für die Abschaffung von Bordellen und der Bestrafung Prostituierter ein. Als 1898 die Regierung Pläne zu einer strikteren Kontrolle der „Zuhälterei und Kuppelei“ diskutierte („Lex Heinze“), spaltete sich eine progressive Frauengruppe von diesen Vorstellungen ab. Diese Frauen wurden zum Kern des nun entstehenden radikalen Flügels der deutschen Frauenbewegung. Wie Josephine Butler in England lehnten sie sowohl ein staatlich reglementiertes Bordellwesen ab und forderten die Legalität der Prostitution. Die „Abolitionisten“ beklagten eine gesellschaftliche Doppelmoral, die Bordellbesuche der Männer – die bis heute zum Programm einiger Burschenschaften gehören – stillschweigend dulde, während die Prostituierten durch finanzielle Not zum Objekt sexueller Ausbeutung und nachfolgend staatlichen Zwangs würden. Frontfrauen dieser Gruppierung waren Anita Augsburg und deren Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann. Letztere machte in Hamburg, einer damaligen Hochburg der Prostitution, durch Flugblätter auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Huren aufmerksam und klagte die städtische Polizei einer wohlwollenden Zusammenarbeit mit Bordellbesitzern an. Mit der „Neuen Ethik“ hält 1905 eine moralische Libertinage Einzug in die Bewegung. In den Kreisen um Helene Stöcker, einer Anhängerin des „Abolitionismus“ wird zugleich eine Erleichterung der Ehescheidung, eine Verbesserung der Stellung lediger Mütter, sowie die „Schaffung einer bewußt und frei gewählten Mutterschaft“ durch Aufklärung, frei zugängliche Kontrazeptiva und ein Abtreibungsrecht gefordert. Am Paragraphen 218 scheiden sich damals die feministischen Geister. Erbitterten Widerstand gegen eine derart liberale Sexualpolitik regt sich vor allem um Helene Lange und Gertrud Bäumer, die in einem gemäßigteren Flügel (dem es vorrangig um eine weibliche Durchdringung des kulturellen Lebens ging) die alte „Sittlichkeit“ vertreten, während die Vertreterinnen der „Neuen Ethik“ der Regierung eine Reformvorlage des Strafgesetzes unterbreiten, wonach dem Embryo Persönlichkeitsrechte aberkannt werden sollen: Das Entscheidungsrecht der Frau über den eigenen Körper sei das gültige Maß. Beide Ansinnen – Abtreibungsrecht und Freiheit der Prostitution – scheitern und bleiben lange Zeit indiskutabel. Spätestens im Dritten Reich versandete die vorwiegend liberalistisch geprägte, „erste“ Frauenbewegung vollends. Während jene Emanzipationsbestrebungen vor allem die freie Entfaltungsmöglichkeiten der Frau im Blick hatten, war die zweite, die „moderne“ Frauenbewegung sozialistisch geprägt. Sie wurde mit den „Weiberräten“ innerhalb des SDS im Zuge der Studentenrevolution 1968/69 geboren und hatte eine grundlegende Gesellschaftsveränderung zum Ziel. Breitenwirksam Furore machte sie in den Jahren 1971 bis 1975 mit der Kampagne um den Paragraphen 218. Eine breite Solidarisierung mit Huren (Emma-Titel 1979: „Macht Prostitution frei?“) währte nur kurz. Jenseits der Prostituiertenlobbies herrscht bis heute weitgehendes Einverständnis darüber, daß keine Frau sich aus freien Stücken prostituiere: In neunzig Prozent der Fälle angeblich freiwilliger Prostitution, so heißt es in einer Studie der Uno, läge eigener kindlicher Mißbrauch zugrunde, und kaum eine Hure könne ihr Tagesgeschäft ohne Drogenkonsum bestreiten. Viele Huren wollen ein Leben jenseits der Prostitution Hurenvereine, eine marginale Randgruppe innerhalb feministischer Strömungen, plakatierten dagegen unter der radikalen Parole, Heterosexualität sei immer Prostitution, nicht zuletzt im ehelichen Intimleben -: „warum also nicht gleich kassieren?“ Die Forderungen einiger Beratungsorganisationen der „Hurenbewegung“ gehen heute so weit, daß sie Arbeitsämter verpflichten wollen, arbeitslose „Normal“-frauen auch auf freie Stellen in Bordellen zu vermitteln. Völlig anders und sehr eindeutig positionieren sich die Beratungsstellen von Solwodi („Solidarity with women in distress“), die sich in mehreren Beratungsstellen der Opfer des Menschenhandelns annehmen. Dreißig Beraterinnen, darunter zehn katholische Ordensschwestern, beraten die Frauen und helfen ihnen bei der Rückkehr in ein Leben jenseits der Prostitution. Emma hat Schwester Lea Ackermann aus dem Orden „Unserer Lieben Frau in Afrika“, deren Entschluß zu einem klösterlichen Leben bereits mit zwölf Jahren feststand, wiederholt breiten Raum gegeben, zuletzt im großen Dossier zum Thema „Frauenhandel“. „Wir nehmen die an Körper und Seele verletzten Frauen erstmal auf“, beschreibt Schwester Lea ihre Hilfe. „Neulich ist zum Beispiel eine Frau bei uns gelandet, die hatte neun Monate kein Tageslicht gesehen, die kam aus einem ganz legalen Großstadt-Bordell.“ Angesichts solcher Beispiele sage sie sich immer. „Lieber Gott, was für ein Glück habe ich gehabt, daß ich nicht in eine solche Situation geraten bin. Denn das hätte mir ja genauso gut passieren können.“ Stichwort: Prostitutionsgesetz Der Annahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung von Prostituierten stand bisher die Sittenwidrigkeit von Verträgen entgegen. Mit dem am 1. Januar 2002 mit den Stimmen der rot-grünen Regierungsmehrheit in Kraft getretenen Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG) vom 20. Dezember 2001 (Bundesgesetzblatt I, Seite 3983) wird geregelt, daß die Vornahme sexueller Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt eine rechtswirksame Forderung begründet. Eine derartige Vereinbarung verstößt demnach nicht mehr gegen die guten Sitten; die Anwendung des Paragraphen 138 Absatz 1 BGB ist somit ausgeschlossen. Darüber hinaus ist durch die Streichung des Paragraphen 180a Absatz 1 Nr. 2 StGB der Straftatbestand der Förderung der Prostitution nicht mehr gegeben, wobei die unter Strafe stehende Ausbeutung bzw. Beeinträchtigung der persönlichen oder wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit von Prostituierten hiervon nicht berührt wird. Zudem steht das eingeschränkte Weisungsrecht eines Arbeitgebers von Prostituierten der Annahme einer Beschäftigung im Sinne des Sozialversicherungsrechts nicht mehr entgegen.

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