Großbritannien „In punkto Wirtschaftswachstum, Bekämpfung der Inflation und Schaffung von Arbeitsplätzen – vor allem im Tourismus – gehört die Türkei zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften Europas“, warb Denis MacShane, Staatsminister für Europa im britischen Außenministerium, in der Welt für den Beitritt. „Es würde sich lohnen. Wir bekämen einen muslimischen Staat, der sich für die Demokratie und die Moderne öffnet und seine Souveränität mit der übrigen EU teilt. Ein östliches Land, das gen Westen blickt (…) Jetzt besteht die Aussicht auf eine Beendigung eines tausendjährigen Konflikts zwischen Christentum und Islam“, so MacShane. Und dies ist auch die Position von Premier Tony Blair, der klar für Beitrittsverhandlungen eintritt. Die Tory-Opposition ist ebenfalls dafür – aus historischen Gründen und weil eine so geschwächte und zur Freihandelszone degradierte EU den Europskeptikern ins Kalkül paßt (JF 29/04). Tendenz + Irland Wie die nationalkonservativ-liberale Regierung von Bertie Ahern im Dezember entscheidet, ist nicht abzusehen. Viel entscheidender ist, daß der Vertrag zum EU-Beitritt der Türkei einem Referendum unterliegen könnte. 2001 stimmten die Iren gegen den Nizza-Vertrag. Tendenz + – Frankreich Staatspräsident Jacques Chirac, der in der Außenpolitik das letzte Wort hat, ist für Beitrittsverhandlungen. Sein Premier Jean-Pierre Raffarin äußert öffentlich Skepsis: „Wir haben keinen Zweifel am guten Willen von Herrn Erdogan, aber inwieweit können heutige und künftige Regierungen dafür sorgen, daß die türkische Gesellschaft Europas Menschenrechtswerte verinnerlicht?“ Der designierte Chef von Chiracs Regierungspartei UMP, Finanzminister Nicolas Sarkozy, hat sich für ein Referendum ausgesprochen. „Im besten Falle“ sei ein EU-Beitritt der Türkei in 15 Jahren aktuell. Ex-Präsident Valéry Giscard d’Estaing sieht gar „das Ende der EU“ kommen. Zudem sei die Türkei „seit jeher ein Land des Nahen Ostens“. Der Vater der EU-Verfassung warnt davor, daß die Türkei durch ihre Bevölkerungsdynamik zum mächtigsten Land der Union werden könnte. Die Linke ist mehrheitlich – wie in Deutschland – für den Beitritt. Tendenz + – Portugal José Manuel Durão Barroso, Ex-Premier und bald neuer EU-Kommissionspräsident, ist prinzipiell für den EU-Beitritt. Sein Nachfolger in Lissabon, Pedro Miguel de Santana Lopes, gilt zwar als „Populist“. Doch er gehört derselben Partei an wie Barroso. Tendenz + Spanien Der sozialistische Premier José Luis Rodríguez Zapatero ist klar für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Das Land habe einen „wesentlichen Fortschritt“ gemacht, erklärte er vor zwei Wochen anläßlich des Dreiergipfels mit Schröder und Chirac in Madrid. Tendenz + Belgien Die liberal-sozialistische Regierung von Guy Verhofstadt ist klar für den Türkei-Beitritt. Der neue belgische Staatssekretär für Europafragen, der Sozialist Didier Donfut, kann sich sogar einen EU-Beitritt Marokkos vorstellen – auch wenn man damit über die geographischen Grenzen Europas hinausgehe. Tendenz + Niederlande Der christdemokratische Ministerpräsident Jan-Peter Balkenende wird höchstwahrscheinlich mit ähnlichen Verklausulierungen wie sein Amtskollege Schüssel in Österreich für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stimmen. Schwierigkeiten könnten einige beim rechtsliberalen Koalitionspartner VVD machen. Der scheidende EU-Kommissar Frits Bolkestein (einst VVD-Chef) offenbarte bei einer Rede in Leiden seine Bedenken – und sprach damit vielen Niederländern aus dem Herzen (JF39/04). Tendenz + – Dänemark Vor zwei Jahren, als amtierender EU-Ratspräsident, sah Premier Anders Fogh Rasmussen noch wenig Chancen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Zudem haben die Dänen per Referendum schon den Euro scheitern lassen. Tendenz + – Luxemburg Der Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker hält einen Stopp des türkischen EU-Beitritts für nicht mehr möglich. Die Türkei habe bereits seit fünf Jahren den Kandidatenstatus. Nun sei es zu spät dafür, ihr eine „privilegierte Partnerschaft“ anzubieten. Tendenz + Schweden / Finnland „Wir haben die Türkei 1999 unter finnischer Präsidentschaft als Kandidatenland anerkannt. Wir sollten ein ehrenhafter Verhandlungspartner sein“, meinte kürzlich Ex-Präsident Martti Ahtisaari. Auch das sozialdemokratische Schweden ist für den Türkei-Beitritt. Tendenz + Baltische Staaten Der estnische Premier Juhan Parts hat dem türkischen Außenminister Abdullah Gül bei dessen Besuch in Tallinn Anfang September seine klare Unterstützung zugesagt. Aus Lettland und Litauen ist ebenfalls Zustimmung zur Türkei zu erwarten. Tendenz + Deutschland Die Position der rot-grünen Bundesregierung ist seit Jahren klar und eindeutig: für eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU. Man will so den Reformprozeß in der Türkei ebenso fördern wie die Anbindung des islamischen Landes an den Westen. Bei einer Ablehnung des Beitritts befürchten sie ein Erstarken der dort erkennbaren islamistischen Tendenzen – und Rückwirkungen auf Deutschland. Eingebürgerte Türken sind zudem ein wachsendes Wählerpotential. Die deutsche Wirtschaft erhofft sich von der türkischen Beitrittsperspektive ähnliche Wachstumschancen wie durch die EU-Osterweiterung. Die von CDU und CSU propagierte „privilegierte Partnerschaft“ stößt bislang lediglich in Wien auf offene Ohren. Einige CDU-Politiker wie Volker Rühe sind inzwischen klar für den Beitritt. Tendenz + Polen Die designierte polnische EU-Kommissarin Danuta Hübner hat die EU-Staats- und Regierungschefs am Dienstag aufgefordert, die finanziellen Konsequenzen eines Beitritts der Türkei zu bedenken. Und bis zur Abwahl des spanischen Premiers José María Aznar blockierten Madrid und Warschau gemeinsam die EU-Verfassung. Beim Thema Türkei-Beitritt haben sich die regierenden Postkommunisten hingegen klar für Ankara eingesetzt. Tendenz + Malta Das Land ist seit Mai EU-Mitglied. Es spricht nichts dafür, daß die Regierung den 1999 vom EU-Rat in Helsinki gefällten Beschluß, der Türkei den Kandidatenstatus zu geben, ablehnt. Tendenz + Italien Ministerpräsident Silvio Berlusconi war Ehrengast und Trauzeuge, als der Sohn des türkischen Premiers Erdogan letztes Jahr in Istanbul heiratete. Und der Forza-Italia-Chef befürwortet nicht nur einen Beitritt der Türkei, sondern kann sich auch Rußland oder die Ukraine in der EU vorstellen – Berlusconi betont dabei auch die wirtschaftliche Bedeutung des türkischen Marktes. Außenminister Franco Frattini bekräftigte dieses Ja letzte Woche in der Bild-Zeitung: „Italien hofft, daß die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union im Dezember eine für die Türkei positive Entscheidung treffen.“ Seine Koalitionspartner sind da etwas anderer Auffassung. Die Lega Nord ist prinzipiell gegen den Beitritt. Die konservativen Christdemokraten des künftigen EU-Kommissars Rocco Buttiglione fürchten um die kulturelle und christliche Identität Europas. Die linke Opposition ist mehrheitlich ebenfalls für einen Türkei-Beitritt. Tendenz + Slowenien In Laibach gibt es keine Anzeichen, daß sich die Regierung im Dezember gegen Türkei-Verhandlungen ausspricht. Tendenz + Österreich Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat sich nun festgelegt. Der ÖVP-Politiker sagt „Ja zu Verhandlungen, aber mit offenem Ziel. Nach vierzig Jahren Vorgesprächen sollte die EU-Kommission jetzt grünes Licht für Verhandlungen geben.“ Er ist aber gegen die „Alternative: Vollbeitritt oder nichts“. Er verlangt eine „seriöse Debatte“ über „die Kosten. Über die Migration. Über die Landwirtschaft. Über die demokratischen Standards“, sagte er der Grazer Kleinen Zeitung. Die FPÖ ist klar gegen Beitrittsverhandlungen. „Die Türkei gehört kulturell und geschichtlich nicht zu Europa“, so Parteivize Heinz-Christian Strache. Man will aber die Koalition mit der ÖVP deshalb nicht platzen lassen. Jörg Haider unterstützt hingegen Schüssels Position. Die Grünen und Teile der SPÖ sind ebenfalls dafür. SPÖ-Klubchef Josef Cap warnt: „Die EU ist nicht auf eine Aufnahme der Türkei vorbereitet.“ Tendenz + – Ungarn Im sozialistisch-liberal regierten Ungarn gibt es bisher keinen offiziellen Standpunkt bezüglich der Aufnahme der Türkei. „Erst nach dem 6. Oktober, wenn die Europäische Kommission ihren Vorschlag abgegeben hat, wird man darüber beraten“, erklärte Péter Gottfried, Staatssekretär für EU-Integration im ungarischen Außenministerium. „Bezüglich der EU Erweiterung sind wir nach wie vor der Auffassung, daß die Kopenhagener Kriterien ausschlaggebend für jeden Anwärter sein müssen“, so Gottfried am 22. September. „Wenn diese erfüllt sind, kann man die Möglichkeit zu einem Beitritt nicht verweigern“. Die Fidesz-Opposition ist beitrittsskeptisch. Tendenz + Griechenland Der konservative griechische Premier Konstantinos Karamanlis unterstützt Ankaras Beitrittswunsch. „Wir Griechen wollen eine europäische Türkei“, erklärte er vor drei Wochen in Saloniki. Griechenland strebe eine Verbesserung der bilateralen Zusammenarbeit mit der Türkei sowie eine vollständige Wiederherstellung der griechisch-türkischen Beziehungen an. Tendenz + Tschechien/Slowakei „Für mich ist die Türkei im kulturellen Sinn nicht Teil Europas“, erklärte der rechtsliberale tschechische Staatspräsident Václav Klaus. Die sozialdemokratisch-christliberale Regierung von Premier Stanislav Gross wird wahrscheinlich trotzdem für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stimmen. Auch die bürgerliche Koalition unter Mikulás Dzurinda in Preßburg wird wohl kaum gegen die sich andeutende EU-Mehrheit stimmen. Die populistische Opposition ist zerstritten. Tendenz + Zypern 1974 besetzte die türkische Armee den mehrheitlich von Türken bewohnten Nordteil der Insel – als Reaktion auf einen möglicherweise drohenden Anschluß ganz Zyperns an Griechenland. Viele Griechen wurden vertrieben. Die 1983 gegründete Türkische Republik Nordzypern wird von der Türkei anerkannt. Die Zypern-Griechen haben im April den Uno-Plan einer Vereinten Republik Zypern eindeutig abgelehnt – auch aus Angst, daraus könnte eine „Eintrittskarte“ für die Türkei in die EU werden. Die Zypern-Türken blieben trotz ihrer Zustimmung weiter außerhalb der EU (JF 19/04). Diese unerwartete Ablehnung hat das neue EU-Netto-Zahlerland (Süd-)Zypern in Brüssel zum Paria gemacht. Vorgesehene EU-Subventionen wurden von Brüssel in den Norden umgeleitet. Ob sich angesichts dieser Lage die griechisch-zypriotische Regierung traut, offen gegen Beitrittsverhandlungen mit Ankara einzutreten, ist nicht absehbar. Tendenz –