BERLIN. Der bekannte Staatsrechtler Dietrich Murswiek hat deutliche Kritik an dem Vorhaben geäußert, noch mit Hilfe des alten Bundestages neue Schuldenregeln im Grundgesetz zu verankern. „Was die Spitzenpolitiker der Unionsparteien jetzt mit den SPD-Sondierern verabredet haben, ist ein strategischer Mißbrauch der dem alten Bundestag in der Übergangszeit noch zustehenden Kompetenzen“, schreibt Murswiek in einem juristischen Essay für Tichys Einblick.
In dem Text setzt sich der emeritierte Professor kritisch mit der laut ihm selbst herrschenden Meinung im Staatsrecht auseinander, „daß vor dem Zusammentritt des neuen Bundestages der alte Bundestag uneingeschränkt alle Beschlüsse fassen dürfe, die in den Zuständigkeitsbereich des Parlaments fallen“. Dies sei zwar mit dem Wortlaut des Grundgesetzes vereinbar. Zugleich müsse man aber Sinn und Zweck der Regelung beachten.
„Neuer Bundestag wird ausgetrickst“
Zweck sei demnach, daß ein „parlamentsloser Zustand“ in der Zeit zwischen der Wahl des neuen Parlamentes und dessen erster Zusammenkunft vermieden werde. Zugleich verweist Murswiek auf das demokratische Legitimationsprinzip. Betrachte man dies zusammen, ergebe sich „eine Begrenzung der dem alten Bundestag in der Übergangszeit zustehenden Kompetenzen“.
In der Folge solle das neue Parlament nur Entscheidungen treffen dürfen, „die unabdingbar getroffen werden müssen und sich nicht noch einige Tage bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages verschieben lassen“. Darum gehe es aber bei der nun beabsichtigten Änderung des Grundgesetzes zur Aufnahme neuer Schulden nicht, sondern allein darum, „den neu gewählten Bundestag auszutricksen und ihn mit Hilfe der alten Mehrheit vor vollendete Tatsachen zu stellen“. Das zeuge von einer „Verachtung des Wählerwillens“.
Unklar, ob Karlsruhe interveniert
Damit bezieht sich Murswiek darauf, daß im neuen Parlament eine Sperrminorität von AfD und Linkspartei besteht und damit von zwei Parteien, die den von Union und SPD vorangetriebenen Kurs nicht mittragen wollen. Im alten Bundestag gibt es dagegen noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit von Union, SPD und Grünen, um eine Grundgesetzänderung zu beschließen. Allerdings lassen die Grünen noch offen, ob sie tatsächlich zustimmen werden.
Sollte es tatsächlich zu diesem Verfahren kommen, hofft Murswiek, daß das Bundesverfassungsgericht eingreift. Er betont allerdings zugleich unter Verweis auf die herrschende Meinung, es sei nicht sicher, daß das Karlsruher Gericht tatsächlich in diesem Sinne interveniere. Murswiek hat als Staatsrechtsprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg gelehrt und war als Berater für verschiedene Parteien aktiv. Bis 2015 war er Mitglied der CDU. (ser)