KARLSRUHE. Der Staatsrechtler Dietrich Murswiek hat Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Berliner Kammergerichts eingelegt. Er bezieht sich auf ein Urteil, das Meinungsfreiheit faktisch den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und staatlicher Gesundheitsbehörden unterordnet.
Das Gericht hatte entschieden, es sei zulässig, wenn Online-Plattformen Beiträge löschen, die den Positionen der WHO, des Robert-Koch-Instituts oder des Bundesgesundheitsministeriums widersprechen – selbst dann, wenn diese Äußerungen objektiv richtig sind.
Der Fall betraf einen LinkedIn-Nutzer, der während Corona Beiträge veröffentlicht hatte, in denen er die Ausgrenzung Ungeimpfter, die geplante Impfpflicht und mögliche Nebenwirkungen der Corona-Impfung kritisierte. LinkedIn löschte die Beiträge und sperrte schließlich das Konto mit der Begründung, sie verstießen gegen die internen Regeln. Diese sähen ausdrücklich vor, daß keine Inhalte verbreitet werden dürfen, die „Leitlinien“ der WHO oder nationaler Gesundheitsbehörden widersprechen.
Murswiek sieht Parallelen zu Orwell
Während das Landgericht Berlin dem Kläger zunächst teilweise Recht gab und LinkedIn zur Wiederherstellung seines Kontos verpflichtete, hob das Kammergericht diese Entscheidung auf und wies die Klage vollständig ab. Zur Begründung hieß es, das Unternehmen dürfe in seinen AGB festlegen, welche Meinungen auf der Plattform zulässig seien. Es komme nicht darauf an, ob eine Aussage richtig, teilweise richtig oder falsch sei – allein der Widerspruch zu offiziellen Stellen reiche aus, um eine Löschung zu rechtfertigen.
Murswiek, der den Kläger vertritt, kritisierte das Urteil in einer Aussendung scharf: „Das Kammergericht hat die Bedeutung der Meinungsfreiheit in grotesker Weise verkannt. Auch private Plattformen müssen die Grundrechte beachten, wenn sie ein Forum für den Meinungsaustausch anbieten.“ Eine AGB-Klausel, die jede Kritik an den Auffassungen der WHO oder staatlicher Gesundheitsbehörden verbiete, verletze die Meinungsfreiheit „in ihrem Kern“.
In der Begründung der Verfassungsbeschwerde heißt es, das Urteil mache „falsche oder irreführende Aussagen hoheitlicher Institutionen unangreifbar und entziehe sie der Korrektur durch richtige Aussagen der Bürger“. Eine solche Regelung sei mit demokratischen Grundsätzen unvereinbar. Würde man diese Logik auf andere Politikfelder übertragen, etwa Klima-, Wirtschafts- oder Verteidigungspolitik, entstünde ein System von „Wahrheitsministerien“, das jede Abweichung von Regierungspositionen unterdrücke.
„So etwas kennen wir nur aus Orwells ‘1984‘ und von diktatorischen Willkürregimen“, warnt Murswiek. Mit der Verfassungsbeschwerde will er nun erreichen, daß das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Urteil aufhebt und klarstellt, daß auch private Plattformen die Meinungsfreiheit nicht beliebig einschränken dürfen. (rr)