BERLIN. Der Bundestag hat am Donnerstag grünes Licht für den sogenannten Staatstrojaner gegeben. Künftig ist es der Bundespolizei und den Geheimdiensten in Deutschland gestattet, staatliche Späh- und Abhörsoftware auf Computern und Smartphones zu installieren. Hierfür waren eine Novellierung sowohl des Bundespolizeigesetzes als auch des Verfassungsschutzgesetzes notwendig.
Das „Gesetz zur Modernisierung der Rechtsgrundlagen der Bundespolizei“ wurde mit den Stimmen der Großen Koalition angenommen. Die Opposition stimmte geschlossen gegen den Entwurf. Ein Änderungsantrag der AfD wurde abgelehnt. Für die Neuregelung des Verfassungsschutzgesetzes stimmten in einer namentlichen Abstimmung 355 Abgeordnete, ausschließlich aus den Reihen der Großen Koalition. Es gab 280 Gegenstimmen und vier Enthaltungen.
Wer nichts zu verbergen hat, der hat ein verdammt trauriges Leben. Die Einführung des Staatstrojaners bei Verfassungsschutz und Bundespolizei ist ein Generalangriff auf die Bürgerrechte und die IT-Sicherheit. Heute habe ich die Ablehnung der @fdpbt im Bundestag begründet. pic.twitter.com/SmayTHbmOj
— Konstantin Kuhle (@KonstantinKuhle) June 10, 2021
„Die Einführung des Staatstrojaners bei Verfassungsschutz und Bundespolizei ist ein Generalangriff auf die Bürgerrechte und die IT-Sicherheit“, beklagte FDP-Politiker Konstantin Kuhle bei Twitter. „Wer nichts zu verbergen hat, der hat ein verdammt trauriges Leben.“ Die medienpolitische Sprecherin der AfD, Joana Cotar, kritisierte: „Noch vor kurzem hat die SPD-Vorsitzende Saskia Esken großspurig angekündigt, den erweiterten Einsatz von Staatstrojanern auf keinen Fall mitzutragen.“ Nun habe sich die Regierung auf ein Gesetz geeinigt, „das genau diesen Einsatz besiegelt“. Wie beim IT-Sicherheitsgesetz 2.0 oder beim Thema Uploadfilter kümmere es Union und SPD nicht, was Fachwelt und Gesellschaft sagen. „Sie treten die Freiheit in unserem Land weiter mit Füßen.“
„Sehenden Auges in die Verfassungswidrigkeit“
Verfassungsschutz und Bundespolizei können künftig die Telekommunikation von verschlüsselten Nachrichten überwachen, auch wenn die betroffenen Personen noch gar keine Straftat begangen haben. Demnach wird die herkömmliche Telekommunikationsüberwachung „um die Möglichkeit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ), welche das Abhören verschlüsselter IP-Telefonie ermöglicht“, erweitert. Das Bundespolizeigesetz sieht einen Einsatz begründet, „sofern bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine konkretisierte Straftat im Zusammenhang mit einer der beiden benannten Sachverhalte aus dem Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei mit höchstem Schädigungspotential für Leib und Leben und bedeutende Infrastrukturen droht.“
Die Quellen-TKÜ bei noch unverschlüsselten Telefonaten, Emails und SMS steht bereits seit 2017 in der Strafprozeßordnung. Mehrere Verfassungsbeschwerden stehen noch aus. Die Neuregelung erlaubt nun auch Bundespolizei und Geheimdiensten die Anwendung der Quellen-TKÜ auf Messengerdienste wie Whatsapp, Signal oder Microsoft Teams.
Datenschützer und IT-Sicherheitsexperten warnen vor den Konsequenzen der Entscheidung. „Wie jede Schadsoftware können auch Staatstrojaner nur heimlich auf IT-Geräten installiert werden, wenn man deren IT-Sicherheit verletzt“, heißt es etwa auf dem Portal netzpolitik.org. „Damit der Staat Sicherheitslücken ausnutzen kann, hat er einen Anreiz, diese offen zu halten. Das BKA hat bereits verhindert, daß Sicherheitslücken geschlossen werden. Das ist ein Risiko für die Innere Sicherheit.“ Der Göttinger Staatstrechtler Benjamin Rusteberg warnte bereits im Mai, der Gesetzgeber laufe „sehenden Auges in die Verfassungswidrigkeit“. (ha)