BERLIN. Der Bundestag hat der doppelten Widerspruchslösung bei der Organspende eine deutliche Absage erteilt. 379 Abgeordnete stimmten am Donnerstag gegen den von SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach eingebrachten und von Gesundheitsminister Jens Spahn unterstützten Gesetzentwurf. 292 Parlamentarier sprachen sich dafür aus.
Anschließend fand der Gesetzentwurf zur erweiterten Zustimmungsregelung eine klare Mehrheit von 382 zu 261 Stimmen. Dieser Antrag sieht vor, daß Bürger künftig bei Behördengängen regelmäßig nach ihrer Bereitschaft zur Organspende gefragt werden sollen.
Gröhe sieht Kern der freiheitlichen Rechtsordnung betroffen
Vorausgegangen war der Abstimmung eine quer über Fraktionsgrenzen hinweg kontrovers geführte Debatte. Grünen-Chefin Annalena Baerbock, auf die der Antrag zur erweiterten Zustimmungslösung zurückgeht, verwies in der Debatte auf die deutsche Geschichte und die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes, die die Würde des Menschen festschrieben. „Der Mensch gehört nicht dem Staat, nicht der Gesellschaft, sondern nur sich selbst“, stellte Baerbock klar.
Auch die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt warnte vor einer Situation, in der jeder Bürger bis zum Widerspruch automatisch Organspender wäre. Sie verwies auch auf den Rechtfertigungsdruck, der dadurch entstehen könnte. „Menschen könnten fühlen, daß sie in eine Ecke kommen“, sagte die SPD-Politikerin.
Für den früheren Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ging es bei der Abstimmung um nicht weniger als „den Kern des Menschenbilds unserer freiheitlichen Rechtsordnung“. Zudem bezeichnete er die Widerspruchslösung als untauglich, um die Zahl der Organspender zu erhöhen. Der aus der Tschechoslowakei stammende AfD-Abgeordnete Paul Podolay sah in Lauterbachs Gesetzentwurf „sozialistische Gängelung“ und einen „staatlichen Zwang“, der nicht zu neuen Spendern führe.
Spahn: Eine Zumutung, die Menschenleben rettet
Allerdings meldeten sich auch Unterstützer der Widerspruchslösung zu Wort. „Wenn man ein Organ will, muß man auch spendebereit sein, deswegen macht es auch Sinn von einer Spendenbereitschaft aller auszugehen“, sagte der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein. Der frühere Bundestagsvizepräsident Hermann-Otto Solms (FDP) verwahrte sich in seiner Rede gegen den Vorwurf, die Widerspruchslösung würde die individuelle Freiheit einschränken.
Sie genüge dem Prinzip der Selbstbestimmung des Einzelnen, führte er aus. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn verteidigte den Entwurf. Es gehe ihm um „eine andere Kultur“ bei der Spendenbereitschaft. Dabei verwies er auch auf andere EU-Staaten, in denen die Widerspruchslösung Gesetz ist. Die doppelte Widerspruchslösung sei „eine Zumutung, aber eine die Menschenleben rettet“. (tb)