Die Zahlen haben nicht nur die Innenminister von Bund und Ländern alarmiert: Allein in der ersten Jahreshälfte haben die Behörden in Deutschland 150 Angriffe gegen Asylbewerberheime gezählt, hauptsächlich Sachbeschädigungen und Schmierereien. Wie aus dem in der vergangenen Woche veröffentlichten Verfassungsschutzbericht hervorgeht, übersteigt diese Zahl die Summe vergleichbarer Taten des gesamten vergangenen Jahres.
Allerdings wurden 2014 besonders viele Asylantenheime neu eröffnet. Die jüngsten prominenten Fälle in der Liste der Anschläge sind Lübeck und Meißen. Zuvor brannte es in Einrichtungen in Tröglitz, Chemnitz, Dippoldiswalde und Zossen. Die Attacken erinnern vordergründig an die Anschlagsserie in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Solingen während der Asyldiskussion Anfang der neunzige Jahre.
In vielen Fällen sind die Täter noch nicht ermittelt
In vielen Fällen sind die Täter noch nicht ermittelt. Doch ein Verdacht ist zumeist schnell bei der Hand: „Die Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund müssen ernst genommen werden“, sagte nach dem Feuer in Lübeck der Sprecher der Grünen-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Burkhard Peters. „Zumal sich die Anzeichen für rechtsextreme Aktivitäten in der Region und eine Vernetzung über die Landesgrenzen hinweg jüngst verdichteten.“
In der Hansestadt hatten im Stadtteil Kücknitz bisher unbekannte Täter Ende Juni einen Brand im Rohbau eines geplanten Asylantenheims entfacht. Die Staatsanwaltschaft Lübeck verwies auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT nach der Brandursache auf laufende Ermittlungen. In der Nähe des Tatortes seien jedoch vor dem Anschlag Aufkleber der NPD auf Litfaßsäulen und Pfählen aufgetaucht. Außerdem sei das Schild, das auf die zukünftige Verwendung des Hauses hinweist, mit der Parole „No Asyl. Kein Schrott für Kücknitz!“ beschriftet worden. Allerdings wollte der Sprecher der Staatsanwaltschaft keinen Zusammenhang zu der Tat bestätigen, da die Aufschrift bereits älter gewesen sei. Diese lege aber eine politische Motivation nahe.
„Hier gibt es nichts zu distanzieren“
Die NPD wies den Verdacht der Drahtzieherschaft zurück. „Hier gibt es nichts zu distanzieren“, sagte ein Sprecher der Bundespartei der JF. Der Anschlag sei ein Auswuchs des Kapitalismus und habe nichts mit der NPD zu tun. Die Aufkleber seien eine „plumpe“ Strategie von Bauunternehmen, um Wohnviertel in Mißkredit zu bringen und somit Konkurrenten zu schaden.
Auch im sächsischen Meißen wurde Ende Juni ein bislang unbewohntes Asylantenheim von Unbekannten angegriffen. Ein oder mehrere Täter verschafften sich unter Anwendung von Gewalt Zutritt in das ehemalige Wohnhaus und entzündeten nach Angaben des Leipziger Operativen Abwehrzentrums der Polizei (OAZ) ein Feuer mit Hilfe eines Brandbeschleunigers. Verletzt wurde niemand.
Hinweise auf die Motivation fand die Polizei hier möglicherweise direkt am Tatort: An der Tür des Hauses fanden die Beamten Zettel, die zum Verlassen des Landes aufforderten. Über den genauen Inhalt wollte die Pressestelle des OAZ keine Auskunft geben. Auch der oder die Urheber der gefundenen Notizen seien noch nicht gefunden worden.
Weiter Unklarheit im Fall Tröglitz
Beide Fälle weisen Parallelen zum Fall Tröglitz auf, der deutschlandweit für Schlagzeilen gesorgt hatte. Dort hatten im April bisher unbekannte Täter den Dachstuhl des bezugsfertigen Asylwohnheims in Brand gesetzt. Der Chef des Landeskriminalamtes, Jürgen Schmökel, rief bei Linkspartei und Grünen Empörung hervor, als er im Zusammenhang mit dem Anschlag vor einer Verengung des Verdachts auf das rechtsextreme Milieu warnte. Zwar liege das Hauptaugenmerk auf rechtsextremistischen Tätern. „Es kann aber überhaupt nicht ausgeschlossen werden, daß eine politische Richtung diskreditiert werden soll“, sagte Schmökel der Mitteldeutschen Zeitung.
Tatsächlich legte Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) laut Bild seinen Kabinettskollegen schon Ende Mai einen Zusammenhang zu zwei anderen Brandvorfällen nahe. Beide Immobilien gehörten wie das Heim in Tröglitz einem Unternehmer. Daher bestehe zumindest die Möglichkeit, daß es sich hierbei um Versicherungsbetrug gehandelt haben könnte, wurde spekuliert.
Daß bei vorschnellen Schuldzuweisungen Vorsicht geboten ist, zeigt auch die schwere Brandstiftung in einem Asylantenheim in Görlitz. Dort konnten vor einigen Wochen nur durch aufmerksames Personal Verletzte und größere Schäden verhindert werden. Bei dem Täter handelte es sich um einen 27 Jahre alten polizeibekannten Marokkaner, der durch die Brandlegung die Unterbringung in einem Einzelzimmer erzwingen wollte. Ihm drohen nach Angaben der Staatsanwaltschaft Görlitz nun bei einer Verurteilung bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe.
JF 29/15