Bernd Lucke geht optimistisch in das neue und für die Alternative für Deutschland (AfD) wohl entscheidende Jahr. „Die zurückliegenden drei Monate waren ein teilweise schmerzhafter, aber notwendiger Selbsterneuerungsprozeß. Dieser ist jetzt weitgehend abgeschlossen“, schreibt der AfD-Chef in einem Rundbrief zum Jahreswechsel an die Parteimitglieder mit Blick auf die zahlreichen Streitigkeiten in vielen Landesverbänden. Einzig in Hessen gebe es noch personelle Auseinandersetzungen. Nun gelte es, sich auf die 2014 anstehenden Europa- und Landtagswahlen zu konzentrieren.
Doch ausgerechnet im Gründungsland Hessen kochte der Streit zum Jahreswechsel wieder hoch und sorgt erneut für Unruhe in der Partei. Dabei schien der monatelange Streit dort nach dem Parteitag im Dezember ausgeräumt. Die Mitglieder hatten einen neuen Vorstand gewählt, mit dem die beiden konkurrierenden Lager innerhalb des Landesverbandes offenbar leben konnten. Doch schon wenige Tage nach dem Parteitag wurde der gerade erst gewählte Schatzmeister Peter Ziemann vom Bundesvorstand seines Amtes enthoben.
Zuvor waren im Internet von Ziemann verfaßte Texte aufgetaucht, die nach Ansicht der Parteiführung „die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands in Frage stellen“. Manche Parteimitglieder vermuten dagegen hinter der Absetzung des Schatzmeisters finanzielle Unregelmäßigkeiten des alten Vorstandes, die vertuscht werden sollten. So auch die stellvertretende Vorsitzende Angela Miehlnickel, die deshalb von ihrem Amt zurücktrat. Als kurz darauf auch noch Vorstandssprecher Volker Bartz „auf drängende Bitte aller Landesvorstandsmitglieder“ wegen parteischädigendem Verhaltens seines Postens enthoben wurde, war der Streit endgültig wieder aufgebrochen. Am Sonnabend soll nun in Gießen auf einem weiteren Parteitag ein neuer Schatzmeister gewählt und die unbesetzten Vorstandsposten neu vergeben werden.
Auch Lucke gerät in die Kritik
Wie bereits bei den Auseinandersetzungen der vergangenen Monate geht es auch diesmal offenbar weniger um inhaltliche als vielmehr um persönliche Differenzen. So stören sich viele AfD-Mitglieder in Hessen am Vorgehen des Bundesvorstandes. Vor allem der Umstand, daß die Vorwürfe gegen Ziemann und Bartz, dem unter anderem vorgeworfen wurde, seinen Doktor und Professorentitel zu unrecht zu führen, in aller Öffentlichkeit erhoben und mutmaßlich gezielt an die Medien weitergeleitet wurden, sorgt für Empörung. Bartz behauptet mittlerweile, daß er einem Betrüger aufgesessen sei. Ein Promotionsvermittler habe ihm angeboten, seine Doktorarbeit im „Ostblock unterzubringen“, heißt es in einem Schreiben an Lucke. Da dies offenbar nicht erfolgt sei, habe er nun einen neuen Ausweis beantragt in dem der Titel nicht mehr aufgeführt wird.
Auch AfD-Sprecher Bernd Lucke gerät zunehmend in die Kritik. Im Zusammenhang mit den Amtsenthebungen wird ihm von hessischen Parteimitgliedern ein totalitärer Führungsstil vorgeworfen. Lucke, so der Vorwurf, räume rücksichtslos alle Widerstände aus dem Weg, die in seinen Augen einen Erfolg der Partei bei der Europawahl gefährden könnte. Die mittlerweile aus der Partei ausgetretene Miehlnickel sprach gar von „stalinistischen Säuberungen“. Die von der AfD-Spitze öffentlich gemachten Anschuldigungen gegen Ziemann und Bartz werden vielfach als „ehrabschneidend“ kritisiert. Die beiden seien dadurch in ihrer bürgerlichen Existenz bedroht worden. „Ich fürchte um meine berufliche Zukunft“, begründet denn auch ein Parteimitglied seinen Entschluß, nun aus der AfD auszutreten. Es herrsche mittlerweile ein Klima der Angst, da niemand mehr wisse, was man in der Partei noch sagen dürfe und was nicht. In den vergangenen Wochen hätten daher bereits zahlreiche Mitglieder frustriert das Handtuch geworfen, heißt es aus der AfD. Darunter vielfach besonders engagierte Mitglieder.
Hübner kritisierte mangelnde Fortschritte in der Programmarbeit
Der geschäftsführende Landessprecher Gunther Nickel gesteht ein, daß es derzeit mehr Austritte als Eintritte gebe. Dennoch sei der hessische Landesverband der AfD mit rund 2.000 Mitgliedern immer noch einer der größten. Bei den Kritikern im Landesverband handele es sich seiner Ansicht nach nur „um eine kleine Gruppe von Leuten“. Diese versuchten vergeblich, die Partei in eine „bestimmte politische Richtung“ zu drängen, für die es aber keine Mehrheit in der Partei gebe. Nickel rechne daher damit, daß demnächst bis zu 50 weitere Parteimitglieder austreten. Anders lasse sich der Konflikt nicht befrieden, glaubt er.
Zu der Gruppe von Kritikern, die Nickel vermutlich im Sinn hatte, gehört das ehemalige Vorstandsmitglied Wolfgang Hübner, der zu den wichtigsten Vertretern des konservativen Flügels zählt. Seine Kritik geht über die Zustände im hessischen Landesverband hinaus. Er wirft der Bundespartei eine fehlende inhaltliche Positionierung in wichtigen politischen Fragen vor. „Es gibt zum Beispiel keine prägnante Stellungnahme der AfD zur Diskussion um die Armutseinwanderung“, kritisiert Hübner. Überhaupt seien kaum Fortschritte in der Programmarbeit zu erkennen. Darüber könne auch nicht das Programm für die Europawahl hinwegtäuschen.
Schon am Wochenende könnte der Bruch innerhalb der hessischen AfD endgültig vollzogen werden. Sowohl Lucke als auch sein aus Hessen stammender Kovorsitzender Konrad Adam wollen zu den Mitgliedern sprechen – ein Zeichen, dafür, wie ernst die Lage in Hessen mittlerweile eingeschätzt wird.
JF 3/14