In Frankreich hat das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung über ein Verbot des weiteren Baus von Minaretten um so mehr Wellen geschlagen, als die Regierung jüngst eine „Debatte über die nationale Identität“ angezettelt hat. Dies dürfte vor allem wahlkampftaktischen Erwägungen geschuldet sein – in fünf Monaten stehen Regionalwahlen an – und wurde von der Linken umgehend als „Instrument der nationalen Spaltung“ kritisiert.
Die Kommentare zum Sieg der Schweizer Minarettgegner fielen überaus überraschend aus. Einerseits erklären selbsternannte Demokraten das Ergebnis für „unakzeptabel“. Andererseits hört man geschworene Antidemokraten der radikalen Rechten auf einmal die Tugenden des allgemeinen Wahlrechts preisen.
Staatschef Nicolas Sarkozy kommt zumindest das Verdienst zu, das Schweizer Votum ernst zu nehmen. Mit Blick auf jene, die es als „unzulässig“ bezeichnen, schrieb er in Le Monde: „Hinter der Vehemenz solcher Stellungnahmen verbirgt sich in Wirklichkeit ein eingefleischtes Mißtrauen gegenüber allem, was vom Volk ausgeht (…) Die Völker Europas sind weltoffen und tolerant, aber sie wollen nicht, daß ihre Lebenswelt, Denkweise und gesellschaftlichen Beziehungen denaturalisiert werden. Das Gefühl des Identitätsverlusts kann tiefes Leid verursachen. Die Globalisierung trägt noch zur Verstärkung dieses Gefühls bei. Wie wohl das französische Volk in derselben Frage entscheiden würde?“
Dazu liegen recht eindeutige Zahlen vor. Ein großer Anteil des französischen Volkes lehnt nicht nur den Bau von Minaretten, sondern auch von Moscheen ab. Eine grundsätzliche Ablehnung des Islam als solchen läßt sich hingegen nicht feststellen. Laut einer Umfrage, die am 9. Dezember in Le Parisien veröffentlicht wurde, halten 54 Prozent der Franzosen die Ausübung des muslimischen Glaubens für vereinbar mit der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (82 Prozent stimmten derselben Aussage bezüglich des Katholizismus zu). Nur 21 Prozent erklärten beides für „vollkommen unvereinbar“. Bemerkenswerterweise gab sogar der Rechtspopulist und FN-Chef Jean-Marie Le Pen bei einem Interview mit dem Magazin Flash im September zu Protokoll, er sehe „keinerlei Unvereinbarkeit“ zwischen den „fünf Säulen des Islam“ und dem französischen Lebensstil.
Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern haben die rechten Bewegungen Frankreichs den Schweizer Volksentscheid nicht einhellig als Vorbild und Bestärkung des eigenen Kurses verstanden. Zwar forderte Le Pens Tochter Marine im Namen des FN eine Volksabstimmung auch in Frankreich (zu der es selbstverständlich nicht kommen wird). Die Bewegung für Gleichheit und Versöhnung unter Führung des ehemaligen Le-Pen-Beraters Alain Soral indes hat sich für den Bau der umstrittenen Großmoschee in Marseille ausgesprochen. „Einer Jugend, die ihre Werte und Orientierungen zu verlieren droht, die Möglichkeit des geistigen Rückhalts zu verweigern“, laufe indirekt auf eine Förderung von Kriminalität hinaus.
Sarkozy schlägt eine andere Lösung vor. Er spricht von métissage, Rassenmischung, die er definiert als „den Willen, zusammenzuleben. Der Kommunitarismus ist die Entscheidung dafür, voneinander getrennt zu leben.“ Dann behauptet er allen Ernstes, „Rassenmischung ist keine Verleugnung der Identitäten“.
Die Kritik am Kommunitarismus, der als schwere Anfechtung des „Laizismus“ gesehen wird, macht den gemeinsamen Nenner der gesamten politischen Klasse aus – vom Bürgerlichen Sarkozy, der darin die größte Gefahr für das Gemeinwesen sieht, bis hin zu dem kommunistischen Parlamentsabgeordneten André Gérin, der die Burka als „eindeutige Bestärkung des Kommunitarismus“ verbieten will. Aufgrund ihrer jakobinischen Tradition erkennt die französische Republik seit jeher nur Individuen an und verleugnet die Existenz von Identitätsgemeinschaften. Indes ist die Burka ein ausgesprochenes Randphänomen. Wer „das Extrem hinterfragt, um von der Norm zu reden“, so der Islamwissenschaftler Tariq Ramadan, verhalte sich nicht „vernünftig“.
Brennende Autos gehören Silvester schon zur Tradition
In Frankreich leben derzeit schätzungsweise sechs Millionen Muslime. Es gibt 64 Moscheen mit Minaretten. Die Minarette der beiden noch im Bau befindlichen Großmoscheen in Marseille und Straßburg sollen eine Höhe von 30 Metern haben. Einer anderen Umfrage vom August zufolge besuchen nur 23 Prozent aller Personen muslimischer Abstammung regelmäßig eine Moschee.
In Wirklichkeit bereitet der Bau von Minaretten den Franzosen sehr viel weniger Sorgen als der Anstieg der Kriminalitätsrate. Natürlich ist die große Mehrheit der Einwanderer nicht kriminell – umgekehrt hat aber die große Mehrheit der Kriminellen (bis zu 70 Prozent aller Gefängnisinsassen) einen Migrationshintergrund.
Milliarden von Euro sind in den vergangenen zwanzig Jahren ergebnislos für „Stadtteilpolitik“ verpulvert worden. Vor allem in den Randbezirken, den berüchtigten Banlieues, weiten sich immer mehr die „rechtlosen Zonen“ aus, wo der Staat und seine Ordnungshüter nichts zu sagen haben. Und die brennenden Autos gehören in der Silvesternacht längst zur alljährlichen „Tradition“.
Alain de Benoist, französischer Philosoph und Publizist, ist Herausgeber der Zeitschriften „Nouvelle École“ und „Krisis“.
Foto: Geplante Moschee in Marseille (Modell): Platz für 7000 Gläubige