Die Empfehlung des Bundesinnenministeriums (BMI) an die Behörden der Länder, die ehemaligen deutschen Ostgebiete melderechtlich als Ausland zu betrachten, sorgt nicht nur unter Vertriebenen für Unverständnis (JF 25/09). Künftig wird bei Personen, die nach dem 2. August 1945 ostwärts von Oder und Neiße geboren worden sind, ein Geburtsstaat (etwa Polen) eingetragen.
Warum muß bei der Eintragung in ein deutsches Melderegister der Staat angegeben werden, in dem der Gemeldete geboren wurde? Besteht die Meldepflicht in Deutschland nicht in jedem Falle? Das BMI meint, deshalb werde ja auch kein Geburtsstaat ins Melderegister eingetragen, wenn der Geburtsort innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches lag. Zur Klarstellung: Das Deutsche Reich heißt jetzt Bundesrepublik Deutschland; ansonsten handelt es sich um denselben Staat. Die Eintragung des Geburtsstaats betrifft also nur im Ausland geborene Menschen, diese allerdings unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um deutsche Staatsangehörige oder Ausländer handelt. Ein bißchen willkürlich mutet die Unterscheidung schon an. Ein zwingender Grund für die Ungleichbehandlung bei Eintragungen ins Register ist nicht zu erkennen. Die Identifizierung des Geburtsorts könnte auch auf andere Weise erfolgen, etwa indem man auf Provinzen hinweist (Schlesien) oder zum Beispiel hinzufügt: „heute Estland“. Die Regelungswut des BMI erscheint überflüssig.
Aber warum weicht man ausgerechnet bei Vertriebenen von der bislang bewährten Regelung ab? Wer zum Beispiel noch am 1. August 1945 in Liegnitz geboren wurde, erhält jetzt im Melderegister keinen erläuternden Hinweis auf den Geburtsstaat, weil „Deutsches Reich“ selbstverständlich ist. Wenn die Geburt aber zwei Tage später, am 3. August, erfolgte, muß „Polen“ hinzugefügt werden. Was ist denn am 2. August geschehen? Jedenfalls nichts von rechtlicher Relevanz.
Am 2. August 1945, sagt das BMI, war die Potsdamer Konferenz. Die teilnehmenden Staaten Sowjetunion, Vereinigte Staaten, Großbritannien haben in Potsdam keine Gebietsabtretungen vorgenommen, konnten es auch gar nicht.
Immerhin haben sie die Gebiete jenseits von Oder und Neiße polnischer Verwaltung unterstellt und die Vertreibung der deutschen Bevölkerung ermöglicht. Dadurch entstand faktisch die Oder-Neiße-Grenze, die vom wiedervereinigten Deutschland völkerrechtlich erst 1990 anerkannt wurde. Eine Rückwirkung wurde nie vereinbart. Es hätte nahegelegen, zumindest die Kinder deutscher Staatsangehöriger, die nach Kriegsende in den Oder-Neiße-Gebieten geboren wurden, melderechtlich wie andere Deutsche zu behandeln und auf einen Hinweis auf den Geburtsstaat zu verzichten.
Probleme hätte eine solche Entscheidung für deutsche Meldestellen nicht gebracht. Aber vielleicht wollte man im BMI in vorauseilendem Gehorsam etwaige Proteste des polnischen Nachbarn vermeiden? Dafür gibt es in dem der neuen Regelung zugrunde liegenden Schreiben des BMI an die Länderministerien vom 19. März 2009 einen Hinweis: „Unberührt bleibt die Regelung der deutsch-polnischen Paßabsprache von 1976, nach der für die Bezeichnung eines in Polen gelegenen Geburtsortes der 8. Mai 1945 maßgeblich ist.“
Die erwähnte Absprache stammt aus der Zeit, als Polen sein Geschichtsbild von den „wiedergewonnenen Westgebieten“ dadurch unterstreichen wollte, daß es darauf bestand, Geburtsorte von Deutschen wie Stettin, Elbing oder Breslau in Pässen stets mit ihren polnischen Namen zu bezeichnen. Andernfalls wurden Visa an Deutsche nicht erteilt. 1976 akzeptierte die Bundesregierung das polnische Verlangen bei denen, die dort nach dem 8. Mai 1945 geboren wurden. Jetzt wird diese Regelung für das deutsche Melderecht um knapp drei Monate auf den 2. August hinausgeschoben. Logischer wird sie dadurch nicht. Es bleibt abzuwarten, ob die Regelung, die 1976 nur Reisepässe betraf, jetzt auch für die Bezeichnung der Geburtsorte im Melderegister gelten soll. Dann wäre – in einem deutschen Register – bei Ortsnamen auf die Benutzung der deutschen Sprache zu verzichten. Das Datum 2. August 1945 signalisiert Verständnis für die Behauptung polnischer Politiker, ihr Land sei von den Siegermächten zur Vertreibung der Deutschen gezwungen worden. Das polnische Geschichtsbild könnte sich einmal mehr auch in Deutschland durchsetzen.