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Ein Besuch in Absurdistan

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Ende voriger Woche verkündete die amtliche Nachrichtenagentur KCNA voller Stolz, die Demokratische Volksrepublik Korea verfüge nun über die Technik der Uran-Anreicherung. Schon länger soll das nordkoreanische Regime die Wiederaufbereitungsverfahren beherrschen, bei denen Plutonium aus verbrauchten Uran-Brennstäben abgeschieden wird. Sollte dies stimmen, dann wäre Pjöngjang in der Lage, spaltbares Material für Atomwaffen herzustellen.

Die KCNA zitierte aus einem Schreiben der Regierung an den UN-Sicherheitsrat. Es ist eine Reaktion auf die Auskunftsforderung des Sanktionsausschusses. Diese war erfolgt, nachdem die Vereinigten Arabischen Emirate einen Monat zuvor eine nordkoreanische Waffenlieferung an den Iran auf einem australischen Schiff beschlagnahmt hatten. Mit der Erprobung einer ballistischen Rakete im April und dem zweiten Atomtest Ende Mai wollte der „Geliebte Führer“ Kim Jong-iI wieder einmal militärische Stärke demonstrieren. Zugleich drohte die nordkoreanische Führung in ihrem Brief den Ausbau der „nuklearen Abschreckung“ und der „Selbstverteidigungsmaßnahmen“ an, sollte der UN-Sicherheitsrat Sanktionsstrafen vor Gespräche stellen.

Viel spricht aber zugleich dafür, daß die Drohgebärden auch innenpolitische Gründe haben. Während Südkorea zu einem der führenden Industrieländer aufgestiegen ist, müssen die Landsleute im Norden in einem vollständig abgeschotteten Land leben, das sich als gigantisches Potemkinsches Dorf entpuppt. Von außen betrachtet wirkt es wie ein surrealer stalinistischer Themenpark. Dies verdeutlichte ein Reisebericht der Juristin Caterina Döring, die im Sommer vier Tage in Nordkorea verbrachte. Vergangene Woche erzählte sie vor der Libertären Plattform (LP) in Berlin über ihre skurrilen Erlebnisse. Alles mutete so an, als seien die Menschen „in einer Zeitschleife hängengeblieben“. Dies dürfte nicht zuletzt auf die sogenannte Juche-Ideologie zurückzuführen sein, die vom „Großen Führer“ Kim Il-sung zusammengebastelt wurde. Sie ersetzte 1977 den bis dahin gültigen Marxismus-Leninismus. Zentraler Gedanke dieser ostasiatisch inspirierten Selbständigkeitsideologie (damals in Abgrenzung zu Moskau und Peking) ist das Bekenntnis, demzufolge ein „Arbeiterführer“ die Gesellschaft zu transformieren habe und alle ihm bedingungslose Loyalität bezeugen müßten.

Ausdruck dieser totalitären Macht ist nicht nur jenes Abzeichen mit dem Konterfei des 1994 verstorbenen Präsidenten Kim-Il-sung, das jeder Nordkoreaner zu tragen hat. Sie zeigt sich auch in der veränderten Zeitrechnung: Neun Jahre nach Kim Il-sungs Tod wurde der Juche-Kalender eingeführt. Dieser setzt mit der Geburt von Kim Il-sung im Jahr 1912 ein. Bei den japanischen Kaisern fing der Kalender erst bei ihrer Amtsübernahme an. Zudem ist Nordkorea der einzige Staat der Welt, der von einem Toten regiert wird: Der „Große Führer“ ist Präsident auf ewig. Der Personenkult seines Sohnes, des offenbar schwer erkrankten Kim Jong-il, steht dem kaum nach. Ihrer beider Antlitz ist omnipräsent, sogar in den aus West-Berlin stammenden U-Bahn-Zügen, wo sie statt der Werbetafeln hängen. Selbst der Stern auf den Mercedes-Limousinen der Funktionäre (Privatautos gibt es nicht) wurde durch ein Juche-Symbol ersetzt.

Wo das gesamte Leben auf einen Führer ausgerichtet ist, kann auch die Reise als Tourist nicht selbstbestimmt erfolgen. Deshalb sind Touristen an zwei „Guides“ gebunden, die die Besucher permanent begleiten. Dies ist schon deshalb nötig, weil es nicht gestattet ist, eine deutsche Reisebroschüre über Nordkorea einzuführen. Ebenfalls werden bei Einreise Mobiltelefone und Pässe abgenommen: „Es kam uns vor“, so Caterina Döring, „als wären wir von der Welt verschluckt gewesen“ – von einer Kulissenlandschaft, die aus einer unvorstellbaren Indoktrinierung resultiert.

Selbst Zirkusveranstaltungen sind nur Spiegelbild einer ebenso gigantischen wie gespenstischen Inszenierung, hinter deren Fassade sich schätzungsweise 500.000 politische Häftlinge (bei 24 Millionen Einwohnern) verbergen: So rezitiert der Trapezkünstler auf dem Hochseil das Parteiprogramm, während der Bär in der Manege sich vor lauter Angst in die Hose macht. Den Wagen der Looping-Bahn in Pjöngjang fehlen indes die Bügel, die Fliehkraft muß es richten. Als Wechselgeld gibt es gefälschte Euro-Noten. Wie bankrott Nordkorea ist, zeigt auch der Besuch in einem Supermarkt für Touristen: „Wir hatten das Geschäft, in dem auch eine Tiefkühltruhe war, noch nicht ganz verlassen“, erinnert sich Döring, „da wurde der Strom schon abgeschaltet“. Für die angebotene deutsche H-Milch mit Ablaufdatum 2002 war das allerdings nicht mehr relevant.

Wie groß die Misere ist, zeigt sich an den Leuten, die überall Gräser pflücken, weil sie Hunger leiden – in Südkorea haben derweil schon 30 Prozent Übergewicht. Das einzige, was Nordkorea neben Waffen zu exportieren vermag, ist ein bunter Reigen „lebendiger Bilder“, in denen jeder Mensch nur ein Pixel ist. Einen in dieser Hinsicht exemplarischen und bis heute einzigartigen Zugang gewähren die Fotografien des Franzosen Philippe Chancel. In diesen tritt dem Betrachter – gerade in der Fülle der permanenten Inszenierungen – die innere Leere des angeblich so gefährlichen „Schurkenstaates“ vor Augen.   

Philippe Chancel: Nordkorea – Fotografien aus einem abgeschotteten Land. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2006, gebunden, 300 Abbildungen, 221 Seiten, 45 Euro

Foto: Hotelzimmer mit TV-Sendung und dem „Geliebten Führer“ Kim Jong-il: „Es kam uns vor, als wären wir von der Welt verschluckt“

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