Rumänische Hütchenspieler genießen mittlerweile einen besseren Ruf als Investmentbanker. Die tiefe Verachtung von Anlageberatern ist angesichts der Billionen von Euro, die als Verlust abgeschrieben werden müssen, verständlich – formaljuristisch allerdings nicht berechtigt. Der Anleger mußte sich der Anlagerisiken bewußt sein, die den Totalverlust nicht ausschlossen. Hohe Profitaussichten gehen zwangsläufig mit hohem Risiko einher, das sollte schon der gesunde Menschenverstand sagen. Andererseits gehört es zu den Grundregeln des Anstands, daß auf solche Risiken deutlich hingewiesen wird und der smarte Bankberater, von der eigenen Courtage geblendet, nicht flott darüber hinweggeht.
Das Motto lautet: „Gibst du mir hier, gebe ich dir da“
Ebenso populär wie das Herziehen über die Schlitzohrigkeit der Anlageberater ist die Verdammung ihrer Gehälter. Die Regierung verlangt die Deckelung und entrüstet sich über Bonuszahlungen in Millionenhöhe. Auch hier steht zunächst die Erfüllung geschlossener Verträge an. Wenn Entsetzen angebracht ist, dann über die Urheber dieser Verträge. Von den Bankern wird ein freiwilliger Verzicht auf die vertraglich vereinbarten Leistungen gefordert, weil ihr Anspruch unmoralisch sei. Der Vertragspartner, der Aufsichtsrat, der dann ebenso unredlich ist, wird selten erwähnt. In den freigebigen Aufsichtsräten sitzen allerdings vielfach Unternehmensvorstände, die in ihren eigenen Unternehmen in Nehmerlaune sind. Das verquaste Großunternehmensnetz handelt nach dem Motto „Gibst du mir hier, gebe ich dir da“. In ihm sind aber nicht nur Banken, sondern auch produzierende Unternehmen und vor allem Politiker verstrickt. Solange die – aus öffentlich moralischer Sicht unverschämten – Geschäfte allein von den Kunden oder den Aktionären finanziert werden, ist die marktwirtschaftliche Welt durchaus in Ordnung: Die unzufriedenen Kunden können eine andere Bank aufsuchen, die Aktionäre ihre schlecht verwalteten Aktien verkaufen. Bleiben sie, machen sie sich an dem unanständigen Geschäftsgebaren mitschuldig. Geht das Unternehmen dabei bankrott, verlieren allein sie ihre Einlagen und Anteile. Auch das gehört zur Marktwirtschaft. Die ordnungspolitische Grundlage geht allerdings verloren, wenn sich der Staat einmischt – selbst in wohlmeinender Absicht.
Das staatliche Hilfsprogramm zur Bankenfinanzierung belohnt auf Kosten der Allgemeinheit die Gier der Waghalsigen und bestraft die Bescheidenheit der Vorsichtigen. Der marktnatürliche Zusammenhang zwischen hohem Ertrag und hohem Risiko wird außer Kraft gesetzt, die individuelle Absicherung gegen den Verlust aus Steuermitteln und Staatsschulden finanziert. Im Ergebnis bestätigt und verstärkt der Staat die Tugendlosigkeit; tugendhaftes Verhalten wird dagegen in Frage gestellt.
Schlechtes Beispiel macht Schule. Die großzügig angebotene Hilfe für die Banken setzt zwangsläufig eine Lawine von Hilferufen anderer Unternehmen in Gang, die ebenfalls im freien Spiel der Marktkräfte Schiffbruch erlitten haben. Bemerkenswert ist dabei die Diskriminierung von Einzelunternehmern und Kapitalgesellschaften. Als der Multiunternehmer Adolf Merckle in seiner Finanzkrise den Staat um Hilfe bat, erhielt er eine Abfuhr. Merckle hatte sich mit Aktien verspekuliert, wie etliche Großbanken auch. Die enormen Verluste trieben ihn, nach seiner Auffassung seiner Ehre beraubt, in den Freitod. Die mittelständische Unternehmerin Maria-Elisabeth Schaeffler, die sich bei der Übernahme des ungleich größeren Continental-Konzerns finanziell überhoben hat, weint, als ihre Mitarbeiter für staatliche Überbrückungshilfen demonstrieren. Der Staat verweigert bislang die Schließung des Finanzlochs. In beiden Fällen zu Recht, denn private Fehlkalkulationen sind privat auszutragen.
Anders dagegen die anhaltende Diskussion um die Rettung des Automobilherstellers Opel. Die dort in Aussicht gestellten Staatshilfen sind unverständlich angesichts der Tatsache, daß Opel privaten Aktieninhabern gehört, eigentumsrechtlich also kein Unterschied zu Merckle und Schaeffler besteht. Die angedachte Aufhebung der marktwirtschaftlichen Ordnung im Falle Opel erstaunt auch angesichts der Tatsache, daß in früheren Zeiten eine deutsche Landesregierung ohne zu Zögern anders entschied. 1961, als die Prinzipien der Marktwirtschaft noch unstrittig waren, wurde die Pleite der ebenfalls traditionsreichen Bremer Automarke Borgward in Kauf genommen.
Die Fehler auf Kosten der Allgemeinheit sanktioniert
Es gehört zum Wesen der Marktwirtschaft, daß erfolglose Unternehmen vom Markt verschwinden. Der Markt bestätigt dadurch die Entscheidungsmacht der Konsumenten, Produkte zu kaufen oder nicht. Nicht zuletzt verstärkt die Marktwirtschaft die unternehmerischen Tugenden. Wer vertrauensvoll und zuverlässig anbietet, findet treue Nachfrager. Die überwältigende Mehrheit der Unternehmer handelt nach diesen Prinzipien. Neben dem Konsumentenrecht, zu kaufen oder nicht, besteht allerdings auch die Verpflichtung des Käufers, bei der Auswahl des Produktes mit Bedacht und Sorgfalt vorzugehen.
Die meisten Konsumenten kommen dieser Pflicht nach, wenn auch die Tendenz festzustellen ist: bei Vernachlässigung dieser Pflicht müsse halt „der Staat“ (in Wahrheit die Steuerzahler) den entstehenden Schaden beseitigen. Mischt sich aber der Staat in die Markttugenden ein, ist unmoralisches Verhalten vorprogrammiert – oder nachträglich auf Kosten der Allgemeinheit sanktioniert. Das lautere Prinzip der Marktwirtschaft wird politisch beschädigt.
Die Mahnung des Bundespräsidenten, der moderne Banker solle sich auf „die Tugenden des soliden Bankiers“ besinnen, klingt edel: Nachdem sich die „ganze Branche offenbar so berauscht“ habe an Renditen und darüber blind geworden sei für Risiken, seien nun Demut, Anstand und Bescheidenheit gefordert. Diese Tugenden sind aber vorbildlich vom Staat selbst einzufordern. Gutgemeinter staatlicher Aktionismus, der zu einer wahnwitzigen Verschuldung zu Lasten der kommenden Generationen führt, verspottet jeden politischen Aufruf zur Tugendhaftigkeit.