Wie die Echternacher Springprozession verhält sich die SPD bei dem Versuch, in Hessen das erste rot-grüne Bündnis mit dunkelroter Tolerierung zu installieren. Erst gibt Parteichef Kurt Beck den Landesverbänden freie Hand beim Umgang mit der Linkspartei. Denn prescht die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti vor und versucht, ein Tolerierungsmodell auf den Weg zu bringen. Direkt danach meldet sich der SPD-Parteivorstand in Berlin und teilt mit, man habe Andrea Ypsilanti „ernsthafte Bedenken“ übermittelt. Unterschrieben wurde diese für SPD-Verhältnisse ungewöhnliche Erklärung von Parteichef Kurt Beck und seinen Stellvertretern Andrea Nahles, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. Nur noch eine knappe Mehrheit der SPD-Wähler stört das sich anbahnende „hessische Modell“. Im ZDF-Politbarometer hatten 40 Prozent der befragten sozialdemokratischen Sympathisanten nichts dagegen, wenn sich Ypsilanti mit Stimmen der Grünen und Linken zur Ministerpräsidentin wählen lassen und damit Amtsinhaber Roland Koch (CDU) ablösen würde. Allerdings ist nur ein Viertel aller Bundesbürger für ein Tolerierungsmodell. Das entspricht etwa dem derzeitigen Wählerreservoir der SPD. Ypsilanti setzt alles auf eine Karte, um eine Neuwahl in Hessen zu verhindern, die die hessische SPD auf bayerische Verhältnisse und damit etwa 20 Prozent reduzieren könnte. Das war auch der Grund, warum die rechten SPD-Abgeordneten in Hessen (die sogenannte „Aufwärts-Gruppe“) um den früheren Fraktionsvorsitzenden Jürgen Walter jetzt die Spitzenkandidatin unterstützen. Denn es geht schon lange nicht mehr um Glaubwürdigkeit, sondern wie immer um Macht und Mandate. Zehn der 42 Mandate der Sozialdemokraten im hessischen Landtag stehen nach Schätzungen bei Neuwahlen auf dem Spiel. Das schweißt die Mandatsträger – eine Ausnahme bildet nach wie vor die Darmstädter Abgeordnete Dagmar Metzger – zusammen. Noch vor der Wahl hatte Ypsilanti versprochen, sie halte ihr Wort, nicht mit der Linkspartei zusammenzugehen. „Ich halte grundsätzlich mein Wort“, sagte sie jetzt der Frankfurter Rundschau. Dann die Einschränkung: „Aber hier geht es darum, abzuwägen zwischen dem einen Wort, das man gegeben hat – nicht mit den Linken -, und dem anderen, daß man einen Politikwechsel will. Ich habe mich für das zweite entschieden.“ Was Beck und seine Stellvertreter bewogen hat, noch einmal ein Zeichen gegen ein Linksbündnis zu setzen, weiß man nicht genau. In Berlin wird spekuliert, Steinmeier und Steinbrück sollen dahinterstehen und jetzt auch versuchen, den früheren Parteichef Franz Müntefering zu einer Rückkehr zu bewegen. Kenner der Partei fühlen sich an 1994 erinnert. Damals wollte sich Reinhard Höppner in Sachsen-Anhalt von der PDS, der heutigen Linkspartei, als Chef eines SPD-Landeskabinetts tolerieren lassen. Der damalige SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping wetterte dagegen und legte ein Veto gegen das „Magdeburger Modell“ ein. Doch Höppner setzte sich durch und blamierte Scharping. Heute weiß man, daß das Magdeburger Modell der Durchlauferhitzer für die ersten echten Koalitionen mit der Linkspartei war. In Mecklenburg-Vorpommern wurde nie groß Anstoß an der Kooperation zwischen SPD und Linkspartei genommen, und in Berlin regiert Rot-Rot unter Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bis heute. Selbst in West-Berliner CDU-Hochburgen kam es nicht zu Auswanderungswellen. Genauso soll der hessische Versuch der Türöffner zu weiteren Bündnismodellen sein, wenn es denn gelingt, Ypsilanti mit der schmalen Ein-Stimmen-Mehrheit an die Stelle von Koch zu hieven. Die hessische Spitzenkandidatin pocht auf ihre Eigenständigkeit: „Jede politische Ebene muß für sich entscheiden.“ Im Saarland beispielsweise könnte der Fall eintreten, daß die Linkspartei bei der Landtagswahl im kommenden Jahr mit ihrem Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine stärker wird als die SPD und es damit ein dunkelrot-rotes Bündnis geben könnte, auch wenn die Saar-SPD sich noch sträubt wie Ypsilanti vor der Landtagswahl. In Thüringen liegt die Linkspartei in allen Umfragen bereits jetzt weit vor der SPD. Auch hier könnten die Sozialdemokraten 2009 als Juniorpartner der Linkspartei enden. Eines Tages könnte sich Beck dann wieder an die Spitze der Springprozession setzen und nach einem Zugehen auf die Linken rufen. Oder Münte macht’s. Foto: Andrea Ypsilanti: Die SPD-Frau pocht auf Eigenständigkeit
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