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Richter entscheiden gegen „Unwürdigkeitsklausel“

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Die Bundesregierung hat zur sogenannten Unwürdigkeitsklausel vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig abermals eine Niederlage erlitten, und zwar in gleich zwei Verfahren. Ein Unternehmen, das im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeiter sowie Kriegs- und Strafgefangene beschäftigt, sie aber anständig behandelt hat, hat damit nicht gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen, entschied der 3. Senat. Auch sei darin kein schwerwiegender Mißbrauch der Stellung oder ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems zu sehen. Man sollte meinen, dieser Befund sei eine Selbstverständlichkeit, denn diese Unternehmen hatten keinen Einfluß darauf, daß sie damals solche Menschen zur Arbeit einsetzen mußten: Ihre frühere Belegschaft war kriegsbedingt stark ausgedünnt, und der nationalsozialistische Staat zwang sie unter Strafandrohung, die angeordneten Produktionsmengen einzuhalten, zumal dann, wenn er die Produktion als versorgungswichtig oder das Unternehmen zum Rüstungsbetrieb bestimmt hatte. Entweder wurden ihnen die Zwangsarbeiter zugewiesen, oder sie waren gezwungen, solche Zwangsarbeiter anzufordern. Aber heute versucht die Bundesregierung mit ihren Behörden immer wieder, diesen allgemein und historisch belegten Befund in Abrede zu stellen, und zwar stets und nur dann, wenn er sich gegen ihr fiskalisches Interesse richtet. Was steckt dahinter? In beiden Verfahren ging es um die Ausgleichsleistung nach dem Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 (ALG). Gedacht ist sie als Teilentschädigung für den grob rechtsstaatswidrigen, entschädigungslosen Vermögensentzug in der SBZ-Zeit. Dieser Entzug war ein zusätzlicher Teil der politischen Verfolgung des „Klassenfeindes“. An sich zwar muß rechtswidrig konfisziertes oder entzogenes Privateigentum zurückgegeben werden. Das ist der Grundsatz auch in den gesetzlichen Regelungen nach der Wiedervereinigung für die Verletzungen des Eigentumsrechts in der einstigen Sowjetischen Besatzungszone und anschließend in der DDR. Aber die zuständigen Behörden und die Gerichte haben – vor allem durch Fehlauslegungen dieser gesetzlichen Regelungen – den Rückgabegrundsatz stark durchbrochen. Das ist nicht nur dort der Fall, wo Rückgabe faktisch nicht mehr möglich war oder versagt wurde, um „redlichen Erwerb“ durch DDR-Bürger und nun deren Eigentum zu schützen; es ist auch aus dem Grund geschehen, daß der Staat das einst entzogene und mit der Wiedervereinigung in seinen Besitz gelangte Privateigentum nicht zurückgeben wollte, um sich fiskalisch daran zu bereichern. Opfer erhalten nur „Ausgleichsleistungen“ Zu diesen Fällen der Rückgabeverweigerung gehört vor allem die Gruppe des Groß- und Besitzbürgertums, die die Kommunisten in der SBZ-Zeit als „Klassenfeind“ vernichten wollten und zu diesem Zweck pauschal als „Faschisten“ oder als „Nazi- und Kriegsverbrecher“ gebrandmarkt hatten. Der automatische Vermögensentzug diente dazu, diese Bevölkerungsschicht auch wirtschaftlich zugrunde zu richten; er sollte sie mittellos machen, um ihr jeglichen Einfluß zu nehmen. Aber die Familien dieser Schicht samt der heutigen Erbengeneration werden anstelle der Rückgabe, selbst wenn sie noch möglich ist, nur mit einer „Ausgleichsleistung“ abgespeist, die einen winzigen Bruchteil des heutigen Vermögenswertes ausmacht. Je größer dieser Wert, desto kleiner der Prozentsatz der Ausgleichsleistung. Opfer dagegen, die ihr Vermögen durch die DDR verloren haben, erhalten eine regelrechte Entschädigung. Doch mit dieser Ungleichbehandlung nicht genug: Durch Ausschlußklauseln im ALG, wie sie für die Opfer von Vermögensunrecht in der DDR-Zeit und NS-Zeit weder im Vermögens- noch im Entschädigungsgesetz gelten, benachteiligt sie der Gesetzgeber noch stärker. So versagt er ihnen die Ausgleichsleistung dann, wenn er das Opfer des kommunistischen Vernichtungswillens für unwürdig befindet. Als unwürdig gilt der Betreffende, wenn er dem nationalsozialistischen oder kommunistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat. Versagt wird ihm und seinen Erben die Leistung auch dann, wenn er gegen die Grundsätze von Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat. Oder dann, wenn er seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer in schwerwiegender Weise mißbraucht hat. Diese „Unwürdigkeitsklausel“ nutzen die zuständigen Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen außerordentlich exzessiv, um möglichst viele antragstellende Opferfamilien für „unwürdig“ erklären zu können. Zu diesem Zweck beschäftigen sie etliche andere Verwaltungen mit Nachforschungsanfragen und müssen umfangreiche, von den Antragstellern ausgefüllte Fragebögen auswerten. Dementsprechend hoch ist der Arbeitsaufwand. Damit zieht sich die Bearbeitung der Anträge weiter in die Länge. Das wiederum fordert Mahnschreiben der Antragsteller heraus. Die sind dann ebenfalls zu bearbeiten. Bundesregierung wehrt sich mit Händen und Füßen Vorhaltungen deswegen und Anregungen, die überzogenen Würdigkeitsprüfungen einzuschränken, werden abgeschmettert. So geschehen vor einem Jahr im Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (BaroV), das inzwischen umgetauft wurde in Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV). Der vierzehnköpfige Beirat dieses Amtes hat in seiner Sitzung vom 30. März 2006 entsprechende Beschlußempfehlungen niedergestimmt. Allerdings sehr knapp: nur sechs Stimmen für ein „Weiter wie bisher“, eine Stimme dagegen und sieben Enthaltungen. Auf die weiterhin exzessive Unwürdigkeitsprüfung gedrungen haben die Vertreter vom Bundesfinanzministerium sowie der Präsident des Bundesamtes Horst-Dieter Kittke. Sie benutzen den Beirat nur wie ein Verwaltungsgremium, aber nicht, wie vom Gesetz vorgesehen, als unabhängiges Beratungs- und Kontrollorgan. Sie und die Fiskalinteressen des Bundes dominieren den Beirat. Wer darin Mitglied wird, bestimmt ohnehin allein das Finanzministerium. Wohl darum wollten sich die sieben außenstehenden Mitglieder nicht offen gegen das Ministerium stellen und haben sich ängstlich der Stimme enthalten. Diese Enthaltungen sind insofern eigentlich als Gegenstimmen zu verstehen. Üblicherweise prüfen die Ämter nicht, ob die Antragsteller dem NS-System erheblichen Vorschub geleistet und damit tatsächliche individuelle Schuld auf sich geladen haben: Wer Zwangsarbeiter beschäftigt hat, den beurteilen sie pauschal als unwürdig. Dem hat nun das Bundesverwaltungsgericht neuerlich einen Riegel vorgeschoben (BVerwG 3 C 38.05 vom 28. Februar 2007). Ein erster Riegel ist sein Grundsatzurteil im Fall Krasting vom 19. Oktober 2006 (JF 44/06). In den beiden Revisionsverfahren jetzt hat das Gericht als richtig bestätigt, was die Verwaltungsgerichte Dresden (3 C 38.05, Fall Schauer) und Berlin (3 C 13.06, Fall Schaper) zugunsten der Opfer schon in erster Instanz entschieden haben. Auch hier hat sich die Bundesregierung wieder mit Händen und Füßen gegen eine letztinstanzliche Niederlage gewehrt. Sie schaltet sich in Verfahren immer dann ein, wenn sie für sie von grundsätzlicher Bedeutung sind, und entsendet dann in das Verfahren den Vertreter des Bundesinteresses. Dieses Interesse vertrat in der mündlichen Verhandlung Frau Dr. Sudhoff. Sie wollte in das Revisionsverfahren sogar noch neue Tatsachen einführen, obwohl das Gericht keine Tatsacheninstanz ist. Damit hat sie die fünf Richter des 3. Senats auch für die zahlreichen Zuhörer wahrnehmbar genervt. Das Motiv für diese Gegenwehr und für die pauschale Aberkennungspraxis der Ämter: Der Fiskus will sogar noch um die geringen Ausgleichsleistungen herumkommen.

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