Das Bundesverfassungsgericht hat das Luftsicherheitsgesetz für verfassungswidrig erklärt, weil es gegen einen Kernsatz des Grundgesetzes verstößt: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ (Art. 2,2 GG). Demnach ist das Abschuß eines gekaperten Flugzeuges im Interesse des Lebens der Passagiere strikt verboten. Wie immer man diese Entscheidung nach Abwägung aller Argumente „pro und contra“ auch beurteilt: sie ist insofern zu begrüßen, weil sie an einen entscheidenden Grundsatz unserer Rechtsordnung erinnert. Diese Erinnerung ist dringend geboten! Seit über zehn Jahren wird täglich mit staatlicher Billigung hundertfach dagegen verstoßen – und zwar durch die Praxis des seit dem 1. Oktober 1995 geltenden „Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes“. Nach diesem Gesetz ist der Schwangerschaftsabbruch weiterhin grundgesetzwidrig. Deshalb ist auch der Paragraph 218 des Strafgesetzbuches nicht gestrichen worden. Die Abtreibung bleibt jedoch straffrei, sofern ihr eine „Beratung“ vorausgegangen ist. Sie ist also faktisch nicht verboten. Auf diese Weise, so die Begründung, soll der Schutz des Lebens der ungeborenen Kinder besser gewährleistet werden als durch eine Strafandrohung. Eine Novellierung des Gesetzes ist ausdrücklich vorgesehen, sofern die Zahl der Abtreibungen nicht deutlich gemindert wird. Dieses Ziel ist nachweislich nicht erreicht worden. Die Zahl der vermeintlich „legalen“ Abtreibungen stagniert – trotz „Beratung“ – auf dem hohen Stand von jährlich rund 130.000. Eine Erklärung für diese skandalöse Entwicklung liegt darin, daß die gesetzgebenden Organe der vom Bundesverfassungsgericht auferlegten Beobachtungspflicht nur völlig unzureichend nachgekommen sind. Die wenigen Vorstöße in dieser Absicht haben nicht die notwendige Unterstützung im Parlament gefunden, auch nicht in der CDU! An aufwendigen Kampagnen und Schutzmaßnahmen für bedrohte Tierarten quer durch die Zoologie hat es in den vergangenen Jahren nicht gefehlt. Nichts dagegen, aber alles dafür, daß eine gewisse Rangfolge zum Schutz des Lebens erkennbar bleibt. Die Konsequenzen dieser eklatanten Mißachtung der Auflagen des Verfassungsgerichtes für das Rechts-, Demokratie- und Politikverständnis unseres Volkes, insbesondere der Jugend, sind bekannt. Sie sollten endlich auch benannt werden. Wenn schon nicht aus ethischen und rechtlichen Gründen, dann doch wenigstens im Blick auf die katastrophale demographische Entwicklung Deutschlands. Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.
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