Der erste Besuch von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) im Libanon begann in der vergangenen Woche mit einer Überraschung: Die Regierung in Beirut hob die Einschränkungen für die deutsche Marine und die anderen Kräfte des Unifil-Verbandes innerhalb der Sechs-Meilen-Zone vor der Küste auf. Was jeden anderen Minister erfreut hätte, löste bei Jung gegenteilige Empfindungen aus. Denn der Minister ist jetzt überführt, gegenüber Bundestag und Öffentlichkeit über den Libanon-Einsatz nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Mitte September hatte sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Debatte eingegriffen und zugesichert, die deutschen Einheiten hätten freie Fahrt überall vor der libanesischen Küste. Zuvor hatte es eine erbitterte Diskussion unter den Abgeordneten des Bundestages und vor allem innerhalb der Großen Koalition gegeben. Viele Abgeordnete befürchteten, daß der Einsatz keinen Sinn habe, wenn die Marine auf Distanz zur Küste des Libanon bleiben müsse. Waffenschmuggel für die Hisbollah sei dann leicht möglich. Allerdings war den Abgeordneten auch klar, daß es sich um eine mehr symbolische Debatte handelte. Denn die Hisbollah-Kräfte im Süd-Libanon werden nach den Erkenntnissen der Geheimdienstes über den Landweg von Syrien aus mit Waffen versorgt. Dennoch schien die Mehrheit der Koalition im Bundestag zu wackeln. Viele Abgeordnete waren noch aufgrund des Kongo-Einsatzes kritisch. Nach Afrika mußten erheblich mehr Soldaten geschickt werden und auch noch länger bleiben als von Jung zunächst angekündigt. Die Bundeswehr steht unter Druck Um die Kritiker zu beruhigen, gaben Merkel, Jung und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) Freifahrtscheine für die Marine aus, obwohl zumindest im Verteidigungs- und Außenministerium bekannt gewesen sein müßte, daß die Verhandlungen zwischen dem Libanon und den Vereinten Nationen noch nicht abgeschlossen waren und der Libanon seine Souveränität nicht abgeben wollte. Jetzt stehen Merkel und ihre Minister vor einem Problem. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dem Bundestag nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Die Geschichte kommt für die Koalition höchst ungelegen. Die Bundeswehr steht unter Druck wie noch nie. Deutsche Soldaten in Afghanistan sollen 2003 und 2004 makabre Fotos mit Totenschädeln geschossen haben. Außerdem ist von anderen geschmacklosen Fotoserien die Rede. Es stellt sich die Frage, ob die Soldaten für den Einsatz im Ausland schlecht ausgebildet sind und ob die Dienstaufsicht durch die Offiziere nicht funktioniert hat. Schwerwiegend sind auch Vorwürfe gegen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Angehörige dieser Elite-Einheit sollen Anfang 2002 in Kandahar in Afghanistan den in Bremen lebenden Türken Murat Kurnaz mißhandelt haben. Um den Druck etwas zu reduzieren, machte Jung einen überraschenden Vorschlag. Der Verteidigungsminister kündigte einen Truppenrückzug aus dem Ausland an. Von den 1.000 Soldaten in Bosnien sollen einige hundert zurückgeholt werden. Jungs Rechnung, Druck abzubauen und abzulenken, ging nicht auf. Sofort setzte eine Debatte ein, warum die Bundeswehr, deren Stärke 250.000 Mann beträgt, überlastet sein soll, wenn gerade 9.000 Soldaten im Auslandseinsatz sind. Besonders Merkel zeigte sich verärgert. Sie würde gerne noch weitere Soldaten in Einsätze schicken, und dazu paßt das Überlastungsgerede des Verteidigungsministers nicht. Auch das kürzlich vom Kabinett beschlossene Weißbuch sieht eine Zahl von 14.000 Soldaten für Einsätze vor. Allerdings steht nicht im Weißbuch, daß sich darunter auch U-Boote und Tornado-Verbände befinden, die für Einsätze auf dem Balkan und im Kosovo nicht zu gebrauchen sind. Jung ist jedenfalls enorm unter Druck geraten. Beim Libanon-Einsatz soll sein Ministerium gegenüber dem Kanzleramt die Forderungen und Souveränitäts-Vorbehalte des nahöstlichen Landes heruntergespielt haben. Außerdem wurde die Öffentlichkeit über die Größe des deutschen Einsatzverbandes falsch unterrichtet. Die Bundeswehr verschwieg, daß auch ein Spionageschiff, das Flottendienstboot Alster, dazu gehörte. Die israelische Luftwaffe entdeckte das vor den israelischen Hoheitsgewässern operierende Schiff und gab zwei Salven als Warnung ab. Beinahe wäre es zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Israel gekommen – ein Szenario, vor dem zahlreiche Abgeordnete gewarnt hatten und weshalb es nicht zur Entsendung deutscher Bodentruppen in den Süden des Libanon gekommen war. Jung ist wie keiner seiner Vorgänger mit einer Vielzahl von Bundeswehr-Skandalen beschäftigt, und man vermutet, daß noch weitere Erkenntnisse aus Afghanistan zutage gefördert werden könnten. Der Verteidigungsminister wurde inzwischen von Merkel für sein öffentliches Krisenmanagement gelobt, obwohl Jungs Pannenserie lang ist. Noch so ein Lob, und die Entlassung rückt näher, heißt es bereits in Berlin. Der FDP-Abgeordnete Rainer Stinner ist sicher, daß Jung zu Weihnachten nicht mehr im Amt sein wird.