Der ukrainische Außenminister Boris Tarasjuk kündigte unlängst an, daß sein Land während der österreichischen Ratspräsidentschaft 2006 ein EU-Beitrittsgesuch stellen will. Zweifelsfrei ist die Ukraine von ihrem historischen und kulturellen Hintergrund her in weit größerem Maße ein europäisches Land als die Türkei. Die aktuelle Krise der EU zeigt aber, daß deren Aufnahmekapazität erschöpft ist. Das Scheitern der EU-Verfassung bei den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden ist auch darauf zurückzuführen, daß die Bürger eine ins Unendliche gehende Erweiterung der EU ablehnen. Für die EU hat sich die Aufnahme der zehn ost- und südeuropäischen Länder im Mai 2004 als ein nur sehr schwer zu verdauender Brocken erwiesen. Sie ist daher weder in diesem noch im nächsten Jahrzehnt in der Lage, weitere Beitritte zu verkraften. Die Beitritte Rumäniens und Bulgariens – zwei Länder, deren EU-Reife ernsthaft zu bezweifeln ist – sollten, um die EU nicht weiter zu gefährden, um Jahre verschoben werden. In Rumänien beispielsweise trat Premier Calin Popescu-Tariceanu nach nur wenigen Monaten im Amt zurück, weil das von den Postkommunisten beherrschte Verfassungsgericht die von der EU geforderte Justizreform verworfen hatte. Ein Land, das im Gegensatz zur Türkei und den Balkanländern bereits jetzt die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen EU-Beitritt erfüllt, ist Kroatien. Zudem ist die frühere jugoslawische Teilrepublik ein mitteleuropäisch geprägtes Land, das mit Österreich und Ungarn über Jahrhunderte kulturell und politisch verbunden war. Doch anstatt mit Zagreb baldmöglichist Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, wird dieses Land mit fadenscheinigen Argumenten (Auslieferung des vom Haager Kriegsverbrechertribunal gesuchten Generals Ante Gotovina) in den Wartesaal verwiesen. Ankara dagegen werden die bestehenden gravierenden Defizite in Demokratie- und Menschenrechtsfragen geflissentlich nachgesehen. Das jüngst beschlossene Strafrecht etwa, das Journalisten wegen türkeikritischer Artikel hinter Gitter bringen kann, ist an den Gralshütern der „europäischen Werte“ offenbar spurlos vorübergegangen. Um in Zukunft Krisen wie die jetzige zu vermeiden, ist eine grundlegende Reform der EU vonnöten. Dabei sollte ein Kerneuro-pa der Nettozahler, bestehend aus Deutschland, Frankreich, Österreich, den Benelux-Staaten und den skandinavischen Ländern, geschaffen werden. Dieses Kerneuropa der Nettozahler sollte dann, wenn neue Entscheidungsmechanismen gefunden werden, über die Erweiterung der EU entscheiden. Ein solches Modell hätte den unbestreitbaren Vorteil, daß jene Mitgliedstaaten, die am meisten in den EU-Haushalt einzahlen, auch über die Verwendung ihrer Beiträge entscheiden könnten. Die bisherige Politik, bei Geldknappheit stets nach Beitragserhöhungen zu rufen, hat sich als Sackgasse erwiesen. Daß die Nettozahler nicht länger gewillt sind, sich als Melkkühe mißbrauchen zu lassen, hat auch das Scheitern der Finanzverhandlungen beim EU-Gipfel Ende Juni gezeigt. Eine Regelung, die den Nettozahlern ein verstärktes, tonangebendes Gestaltungsrecht in der EU einräumt, wäre im Sinne der vielbeschworenen „europäischen Solidarität“ also nur recht und billig. Denn: „Wer zahlt, schafft an.“ Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung „Zur Zeit“ und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.