Im Endspurt zur Landtagswahl am 19. September in Sachsen beherrschen fast nur noch zwei Themen den Wahlkampf: das Sozialreformprogramm der Bundesregierung Hartz IV, welches eine Wiederbelebung der traditionellen „Montagsdemonstrationen“ in Leipzig bewirkte, und – vor allem in der letzten Wahlkampfphase – die erneute Aufnahme eines „Kampfes gegen Rechts“, mit dem vor dem drohenden Einzug der NPD in die Dresdener Volksvertretung gewarnt werden soll. Blickt man zunächst auf die wirtschaftlichen Rahmendaten als Gradmesser für die Abstimmung, dann stehen die Vorzeichen für die mit Hilfe einer soliden absoluten Mehrheit allein regierende CDU nicht allzu gut. Die Arbeitslosigkeit stagniert seit der vergangenen Wahl auf nahezu unverändert hohem Niveau. Der Blick der Landesregierung blieb zumeist einseitig auf die Ansiedelungen von Unternehmen mit Zukunftstechnologien konzentriert, die sich jedoch auf Kernzentren beschränkt, wogegen sich der Mittelstand sträflich vernachlässigt fühlt. Zwar gelang es auch, in der zu Ende gehenden Legislaturperiode einige Standorte von Großunternehmen zu eröffnen – doch häufig lediglich aufgrund von Planungsmängeln und Ungeschicklichkeiten der Nachbarländer Brandenburg und Sachsen-Anhalt.
Generell spiegelt sich in diesem Befund ein weiteres Problem des Landes wider; der kontinuierliche Abzug von jungen und hochqualifizierten Personen. Ein besonders drastisches Beispiel ist das äußerst fragwürdige System der „Umzugs- bzw. Wegzugsprämien“, deren Einsatz die Landesregierung tolerierte. Die bis zu 5.000 Euro betragenden Summen wurden von Kommunen selbst an Personen ausgezahlt, die nur eine sehr unsichere berufliche Perspektive in Westdeutschland in Aussicht hatten, um im Falle einer erneuten Arbeitslosigkeit die kommunalen Kassen der Herkunftsorte zu entlasten.
Kampagnen gegen die „braune Gefahr“ Auch in vielen anderen Fragen verzichtete die CDU trotz ihrer komfortablen Position auf die Entwicklung von Alternativen zur wenig glücklichen Merkel-Politik. Und letztlich konnte auch der anfänglich als besonders volksnah und charismatisch angesehene Ministerpräsident Georg Milbradt bislang nicht die Popularität seines Vorgängers Kurt Biedenkopf erreichen. Die teilweise Distanzierung von Hartz IV in den letzten Wochen dürfte zu spät kommen und auch zu fadenscheinig sein, um noch damit punkten zu können. Freundlicher sieht die Situation für die PDS aus. Die Postkommunisten – die bei der letzten Landtagswahl auf einen Stimmenanteil von 22,2 Prozent kamen – versuchten erfolgreich, sich an die Spitze der Proteste gegen die Sozialreformen der Bundesregierung und der ebenfalls dafür stimmenden Union zu setzen. Auch das Ergebnis der Kommunalwahlen vor drei Monaten spielte der Partei in zweierlei Hinsicht in die Hände. Einerseits konnte die PDS erhebliche Gewinne verzeichnen, andererseits ermöglichte das teilweise beträchtliche Zulegen der von ihr – aber auch den meisten Medien – über den Kamm als „rechtsextrem“ bezeichneten Parteien, ihre Kampagnen gegen die vermeintliche „braune Gefahr“ etwas glaubwürdiger zu gestalten. Als Hemmschuh könnte sich für die Partei allerdings der massive Verdacht gegen ihren Spitzenkandidaten Peter Porsch erweisen, Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen zu sein. Für wie abträglich Porsch die auf der Basis von Akten der Birthler-Behörde erhobenen Anschuldigungen hält, unterstreichen seine Bemühungen, per Gerichtsentscheid zu erzwingen, daß bis zum Wahltermin die Medien nur stark eingeschränkt über das Material berichten dürfen – mit zweifelhaftem Erfolg. Dagegen würde sich die SPD, die bereits bei der letzten Landtagswahl mit 10,7 Prozent ein katastrophales Ergebnis erreichte, über eine solche Prognose wohl eher freuen. Während der ersten beiden Legislaturperioden nach 1990 noch stark auf die Kritik an der PDS konzentriert, versuchten die Sozialdemokraten sich im Zuge der „Biedenkopf-Affäre“ als die einzige um Aufklärung bemühte Opposition zu verkaufen, was ihnen auch teilweise gelang.
Doch seitdem die Bedeutung dieser Affäre in der Öffentlichkeit in den Hintergrund trat und nunmehr auch die sächsische Landespartei die Hypothek des allgemeinen Protestes gegen die rot-grüne Bundesregierung tragen muß, dürfte für die SPD bereits eine Stabilisierung des äußerst schwachen Ergebnisses von 1999 im einstigen Stammland der Sozialdemokratie bereits als Erfolg zu werten sein. Neben den bisherigen drei im Landtag vertretenen Parteien darf sich die NPD die größten Hoffnungen auf Mandatsgewinne machen. Letzte Umfragen von verschiedenen Meinungsinstituten gehen von einem Stimmenanteil von acht bis zehn Prozent aus. Diese guten Werte dürften einerseits an der starken Präsenz der Partei in der Öffentlichkeit liegen. Unter Spitzenkandidat Holger Apfel, Leiter des „Deutsche Stimme“-Verlages in Riesa, gaben sich die Nationaldemokraten im Wahlkampf bewußt moderat und volksnah. Vom Einzug der Grünen könnte viel abhängen Zu einem aufsehenerregenden Zwischenfall kam es, als die Staatsanwaltschaft Riesa den NPD-Verlag Deutsche Stimme durchsuchen ließ und Wahlkampfmaterial beschlagnahmte. Apfel spricht von einem Mißbrauch der Justiz durch die Politik. Mit der Beteiligung an den Hartz-Protesten konnte die NPD darüber hinaus – ähnlich wie die PDS – ein gut kommunizierbares Thema besetzen. Weiter spielte ihr der in Absprache beschlossene Verzicht der Kandidaturen von DVU und Republikanern – deren dafür verantwortliche sächsische Parteispitze für ihr eigenmächtiges Handeln allerdings mit Unterstützung der Bundespartei ihres Postens enthoben wurde – in die Hände. Der wichtigste Faktor zugunsten der NPD ist jedoch die stark geschwundene Integrationskraft der sächsischen Union für konservative und rechte Wählerschichten, die sich bereits im Ergebnis der Kommunalwahlen in hohem Maße widerspiegelte. Daß die NPD mit ihren reinen Protest verkündenden Parolen auch das Potential des gemäßigten rechten Lagers für sich gewinnen kann, ist allerdings stark zu bezweifeln. Einen kleinen Teil dürfte die ebenfalls kandidierende DSU einbinden können, die nach Umfragen allerdings keine Chancen hat, in den Landtag einzuziehen. Unsicher ist nach wie vor, ob es FDP und Grünen gelingen wird, die Fünf-Prozent-Hürde zu meistern. Dennoch könnte insbesondere von einem möglichen Einzug der Grünen viel abhängen, die sich seit den Kommunalwahlen als besondere Einpeitscher für ein gemeinsames Bündnis aller „demokratischen“ Parteien gegen rechts – natürlich unter Einbeziehung der Postkommunisten – engagiert haben. Falls die Grünen tatsächlich in den Landtag kämen, wäre die Bildung einer rot-rot-grünen Koalition und damit ein Regierungswechsel nicht unwahrscheinlich.
Vor allem die FDP hat unter ihrem Landesvorsitzenden Holger Zastrow an Profil gewonnen. Ähnlich wie die Saar-FDP präsentiert der Unternehmer Zastrow die Liberalen als eine bürgerliche Protestformation.
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