Das obligatorische politische Sommertheater während der Parlamentsferien hat in diesem Jahr zum Teil karnevalistische Züge erhalten. Das lag an dem viertägigen Fernsehrummel, mit dem über den Wahlparteitag der Demokratischen Partei Amerikas berichtet wurde. Daß dies in den USA wie zwischen Weiberfasching und Rosenmontag in Köln, Düsseldorf oder Mainz abläuft, ist auch in Deutschland längst bekannt. Mit Politik hat das nicht viel zu tun, Show ist alles. Interessant ist nur, daß dies die deutsche Presse in ihrer Mehrheit gerade bei den US-Demokraten so hochpuscht, als ginge es um uns selber und als würden deutsche Werbetrommeln für Kerry auch nur einen einzigen Amerikaner interessieren. Die Ernüchterung wird sich einstellen, sollte Kerry tatsächlich das Rennen machen und die Praxis dann zeigen, daß auch er keinen Sofortfrieden im Irak herbeizaubern kann, daß auch er das Kyoto-Protokoll nicht unterschreiben und sich nicht der internationalen Gerichtsbarkeit unterstellen, kurzum: die USA also die uneingeschränkt herrschende Supermacht bleiben wird – das zumindest hat er deutlich gemacht, alles weitere ließen er und seine Zeremonienmeister im Nebel. In Deutschland und Europa sorgten historische Jahrestage für öffentliche Auftritte: Vor neunzig Jahren der Ausbruch des Ersten Weltkrieges, vor sechzig Jahren der Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzung. Mit dem Ersten Weltkrieg haben Politik und Geschichtsschreibung weitestgehend „ihren Frieden gemacht“, das heißt, was da noch an Neuem berichtet oder über Bekanntes reflektiert wird, geschieht objektiv und ohne nationale Aufgeregtheiten. Das ist eben Geschichte. Anders mit den Themen des Zweiten Weltkrieges. Daß der Bund der Vertriebenen eine hochzuachtende Gedenkveranstaltung über den Warschauer Aufstand abgehalten hat, stieß sowohl bei uns, mehr aber noch in Polen auf geharnischte Kritik der nicht müde werdenden Political Correctness. Weil sich bei diesem Ereignis die verbrecherische Rolle Stalins, der seine Truppen an der Weichsel stoppen und den polnischen Aufständischen nicht zu Hilfe kommen ließ, nicht aussparen läßt, kommt aus der „korrekten“ Ecke sofort der Vorwurf der „Gleichsetzung“ von Hitlerismus und Stalinismus. An der „Einzigartigkeit“ deutscher Verbrechen darf eben nicht gerüttelt werden, selbst wenn dadurch historische Fakten unterdrückt und verfälscht werden. Es ist beschämend, aber auch bezeichnend für den inneren Zustand der Union, wie sie in dieser Auseinandersetzung ihre Bundestagsabgeordnete (und Vorstandsmitglied) Erika Steinbach im Regen stehen läßt. Allerdings: mit Totschweigen und Wegducken ist das Thema nicht aus der Welt zu schaffen. Alles andere verlief als „normales“ Sommertheater. Es reichte von Spekulationen über eine Kabinettsumbildung (bei der Schröder im Herbst Eichel, Stolpe und die Damen Ulla Schmidt und Bulmahn entlassen will), über Wichtigtuereien von Abgeordneten aus den zweiten und dritten Reihen aller Fraktionen in Sachen Steuerreform, Hartz IV und das Wirtschafts- und Arbeitsmarktdilemma bis hin zum Aufbegehren des linken SPD- und DGB-Flügels mit Probeläufen für eine neue linke Partei. Man sieht: Deutschland hält auch während der parlamentarischen Sommerpause keinen Dornröschenschlaf. Nur der Prinz, der die dichte Dornenhecke durchschlägt und die Prinzessin wachküßt, ist nicht in Sicht.