Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) kann einem schon fast leid tun: Obwohl der jetzige Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, als damaliger Landesvater (bis November 2002) für die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre die Hauptverantwortung trägt, ist Steinbrück derjenige, der die Konsequenzen zu spüren bekommt. Gleich an fünf Stellen brennt es dabei derzeit lichterloh. Das sind der Untersuchungsausschuß des nordrhein-westfälischen Landtags über angebliche Vetternwirtschaft Clements bei der Vergabe millionenschwerer Werbe- und Beratungsaufträge, der Korruptionsskandal bei der Müllentsorgung, die Milliardenverluste bei der Westdeutschen Landesbank (WestLB) sowie der letzte Platz aller westdeutschen Bundesländer bei der wirtschaftlichen Entwicklung in den Jahren 2000 bis 2002. Und nun entschied der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof (VerfGH) in Münster am 2. September, daß die von Steinbrück aufgestellten und von Clement abgezeichneten Landeshaushalte der Jahre 2001 und 2002 gegen die Landesverfassung verstießen. Um dem Artikel 83 dieser Verfassung entsprechen zu können, wonach die Neuverschuldung nicht höher als die Ausgaben für Investitionen sein darf, hatte Steinbrück einen Trick angewandt, für den jeder Unternehmer wegen Bilanzfälschung ins Gefängnis gewandert wäre. Er deklarierte nämlich neu aufgenommene Kredite kurzerhand als „Rücklage“ und drückte dadurch im Haushalt die Neuverschuldung unter die Investitionen. Wer glaubte, Politiker sähen Fehler ein, irrte sich Daraufhin war die CDU nach Münster gegangen und hatte vollinhaltlich recht bekommen. Diese Konstruktion verstößt nach Worten von VerfGH-Präsident Michael Bertrams nämlich gegen das Wirtschaftslichkeitsgebot. Das Land mußte Zinsen für etwas zahlen, das bei sorgfältiger Haushaltsführung unnötig gewesen wäre. Zudem müßten Überschüsse, die nach Steinbrücks Trickserei ja auf dem Papier standen, zum Schuldenabbau verwendet werden. Wer aber nun geglaubt hatte, die verantwortlichen Politiker würden ihre Fehler einsehen, sah sich getäuscht – wen wundert es eigentlich noch? Von Clement war bezeichnenderweise nichts zu hören. Steinbrück entschuldigte sich in einem Interview damit, er sei lediglich „einer Praxis gefolgt, die es über Jahre von Bayern über Baden-Württemberg bis Hessen gegeben hat; parteiübergreifend hat daran niemand etwas Anstößiges gesehen“. Immerhin meinte Steinbrücks Nachfolger als NRW-Finanzminister, Jochen Dieckmann, man werde sich „selbstverständlich“ beim Doppelhaushalt 2004/2005 an dem Münsteraner Spruch orientieren. Und dieser Doppelhaushalt stellt den wohl größten finanziellen Kraftakt in der Geschichte des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes dar. So müssen Steinbrück und Dieckmann 1,6 Milliarden Euro einsparen, damit der Haushaltsentwurf der Landesverfassung entspricht. Dies soll unter anderem durch Streichungen bei zahlreichen Förderprogrammen und Einsparungen bei den Beamten, vor allem auch der Polizei, erreicht werden. Dies trifft natürlich nicht unbedingt auf Gegenliebe bei den Betroffenen. Vor allem die Polizisten reagierten mit großer Wut auf die vorgesehenen Streichungen, die ihre Arbeit noch weiter erschweren würden. Schon heute tragen die Gesetzeshüter Millionen von Überstunden vor sich her und müssen mit Budgets arbeiten, die noch nicht einmal ansatzweise ausreichen, Verbrechen wirkungsvoll zu bekämpfen. Daraufhin machten in der vergangenen Woche über 4.000 Polizisten aus ganz Nordrhein-Westfalen ihrer Wut Luft und demonstrierten vor dem Landtag in Düsseldorf. Bald entscheidet sich die Zukunft der WestLB Massive Kritik gibt es auch seitens des Bundes der Steuerzahler über die „verfehlte Schuldenpolitik“. Spätestens Ende 2004 wird nach Einschätzung des Verbandes der NRW-Gesamtschuldenstand die Marke von 100 Milliarden Euro überschreiten und das Land dann in der Steuerfalle sitzen. Um dies zu verhindern, sei jetzt nicht weiteres Herumgetrickse, sondern ein umfassendes Spar- und Umstrukturierungsprogramm vonnöten. Mit großer Spannung erwarten Beobachter das Ergebnis der Beratungen Steinbrücks mit seinem hessischen Kollegen Roland Koch (CDU). Die beiden Landeschefs wollen in diesen Tagen „das umfassendste Programm zum Abbau von Subventionen in der deutschen Geschichte vorstellen“. Einigen Medienberichten zufolge soll dieses durchaus an die Tradition von Bundesfinanzminister Hans Eichel anknüpfen, der Steuererhöhungen bzw. neue Steuern kurzerhand als Abbau von Steuervergünstigungen respektive Abbau von Subventionen bezeichnete. Steinbrück steht also im wahrsten Sinne des Wortes vor einem politisch heißen Herbst. Nicht nur, daß der Zeitplan, den Haushaltsentwurf für 2004 bis zum 30. September vorzustellen, nicht eingehalten werden konnte, stehen in den kommenden Wochen auch weitere Sitzungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Vetternwirtschaft an. Im Herbst wird sich auch die Zukunft der WestLB entscheiden. Denn dann wird die Bundesanstalt für Finanzaufsicht ihren dritten und wohl entscheidenden Bericht zur WestLB vorlegen. Derzeit prüft die Berliner Finanzaufsicht neben der Milliardenschieflage bei der britischen Leasing-Gesellschaft Box Clever 15 weitere Großrisiken des Bankhauses.
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