Anthony Charles Lynton „Tony“ Blair wurde am 6. Mai fünfzig Jahre alt. Die britischen Medien überschlugen sich zu diesem Anlaß mit Beiträgen über den Premierminister als Staatsmann und Analysen seiner Bilanz nach bald sechs Jahren im Amt. Die BBC hatte eine Glückwunschsendung mit dem Titel „Happy Birthday Mr. Blair“ im Programm, worin ein bekannter Fernsehmoderator sich die perfekte Geburtstagsfeier für den Labour-Politiker ausdenken sollte. Es fällt auf, daß um Margaret Thatchers runde Geburtstage zu ihrer Zeit nie solch ein Wirbel gemacht wurde. Der noch immer jugendlich wirkende Tony Blair hat eine eindrucksvolle Karriere hinter sich. In Schottland geboren, studierte Blair Jura in Oxford arbeitete als Rechtsanwalt und machte seine ersten Schritte in der Politik. Sein kometenhafter Aufstieg in der Labourpartei zeugt nicht nur von seinen Fähigkeiten als Redner und Showmensch, sondern auch von der schwachen Vorstellung des übrigen Personals der damals noch stark dogmatisch-sozialistisch ausgerichteten Partei. Im Alter von nur dreißig Jahren eroberte er 1983 den Wahlkreis Sedgefield, eine traditionelle Labourbastion, die er seitdem hält. Während der Oppositionsjahre bekleidete Blair eine Reihe von Posten in diversen Schattenkabinetten. Nach dem unerwarteten Tod von Parteichef John Smith griff Blair nach dem Vorsitz und wurde jüngster Labourführer aller Zeiten. Innerhalb von drei Jahren verordnete er der Partei eine durchgreifende Reform, entrümpelte Teile des ideologischen Ballasts und verpaßte ihr ein moderneres Bild in der Öffentlichkeit. Zum Bedauern der Altlinken fiel die Klausel 4 des Parteiprogramms, der Verstaatlichungsparagraph, der Modernisierung zum Opfer. In erstaunlich kurzer Zeit gelang der Gruppe um Blair so die Verwandlung der von Gewerkschaftsbossen dominierten, miefigen Arbeiterbewegung in eine zukunftsträchtige Partei: New Labour. Nichts konnte Blair nun mehr aufhalten: Bei den Parlamentswahlen 1997 fügte er den ermatteten Tories von John Major eine schwere Niederlage zu und erstürmte Downing Street No. 10 als Großbritanniens jüngster Premierminister seit 1812. Befragt von der Financial Times, was seine Vision für das Land sei, antwortete Blair jüngst: „Ein Britannien, das wirtschaftlich stärker ist, das seinen Bewohnern große Chancen eröffnet, das mit Arbeitslosigkeit und Armut fertig wird, mit modernen öffentlichen Diensten nach den Wünschen der Verbraucher und einem Justizsystem für das 21. Jahrhundert.“ Zudem, so der Premier, solle Britannien „einen vollen Platz in Europa“ einnehmen und „eine sicherere und gerechtere Welt schaffen“. Was für eine rosige Zukunft! Wirtschaftlich ist Großbritannien weiterhin erfolgreich. Der Labourregierung gebührt das Verdienst, die vernünftige Politik von Thatcher und Major weitergeführt zu haben. Gleichzeitig drängelt Blair die Insel immer wieder in die Eurozone, was zur Folge hätte, das die Briten auf Dauer eine eigenständige Wirtschaftspolitik aufgeben müßten. Im Konflikt um Nordirland hat Blair ebenfalls den Weg seiner Vorgänger fortgesetzt, Verhandlungen mit der IRA zu führen. Bei allem Verständnis für die Sorgen der protestantischen Unionisten hat diese Strategie vermutlich einige Leben gerettet. Auf anderen Politikfeldern hat Blair jedoch gehörigen Schaden angerichtet, besonders in Fragen der Ausländer- und Rassenpolitik. Durch eine neue Heiratsgesetzgebung hat er die Tore für weiteren Zuzug geöffnet. Auch die illegale Einwanderung und der Mißbrauch des Asylsystems erreichen entgegen allen Versprechen immer neue Höchststände. Schwere Kriminalität und massive Arbeitslosigkeit in „ethnisch geprägten Vierteln“ seien durchaus gravierende Probleme, gibt Blair zu. Doch viel beklagenswerter als die massiven Unruhen in Nordengland findet er den vermeintlichen Rassismus der Briten, der angeblich zur mangelhaften Integration der asiatischen, afrikanischen und karibischen Einwanderer beigetragen habe. Gutmenschentum, vielleicht getragen durch religiöse Ansichten, verleitet Blair, den Ernst der Lage mit salbungsvollen Worte zu übertünchen. Seit Blairs Regierung 1998 die Ermittlungen zum vermutlich rassistisch motivierten Mord an dem jungen Schwarzen Stephen Lawrence wiederaufgenommen hatte, rollt eine Lawine von multikultureller Propaganda durch das Land. Eine von Lord Macpherson geleitete Untersuchung attestierte der gesamten Londoner Polizei „institutionellen Rassismus“. In dasselbe Horn stieß die „Kommission zur Zukunft des multiethnischen Britanniens“, deren sogenannter Parekh-Bericht beim einfachen Volk Wellen der Empörung ausgelöst hat: Der Ausdruck „britisch“ solle abgeschafft werden und die britische Geschichte könne „über Bord geworfen werden“, hieß es in dem umstrittenen Kommissionspapier wörtlich. An der Umformung der britischen Institutionen beteiligt sich die Linke mit Eifer. Eine von Blair angestoßene Verfassungsänderung soll das traditionell eher konservative House of Lords reformieren und säubern. Bis auf einen Rest von 92 erblichen Peers möchte die Regierung das Oberhaus dann mit willigen Neuadligen auffüllen. Da die Reform jedoch unausgegoren und auch im eigenen Lager umstritten ist, bliebt das Gesetz bislang im Parlament stecken. Ein weiterer wichtiger Schritt der politischen Neugestaltung ist die Devolution genannte Loslösung Schottlands und Wales‘ aus der Union. Die Bürger dieser beiden Landesteile können nun ein eigenes Zusatzparlament wählen, Engländer jedoch nicht. Auf längere Sicht sehen einige Beobachter die Einheit des Vereinigten Königreichs gefährdet. Da Blair in wirtschaftlichen Fragen einen gemäßigt konservativen Kurs fährt, sucht er die Parteilinke mit kleineren ideologischen Häppchen abzuspeisen. Ein Lieblingsprojekt ist dabei das Verbot der Fuchsjagd, die als traditioneller Sport ländlicher Kreise anti-elitären Linken ein Dorn im Auge ist. Aufgrund heftigen Widerstands der ohnehin durch Krisen verarmten Bauernschaft und ländlichen Bevölkerung konnte das Verbot bislang nur in Teilen des Landes durchgesetzt werden. Einige Prestigeprojekte der Regierung entpuppten sich als völlige Fehlplanungen, so der Bau des sogenannten Millennium Domes in London. Das kitschige Ding kostete den britischen Steuerzahler über eine Milliarde Pfund (1,45 Milliarden Euro), es findet sich jedoch seitdem keine Verwendung für den Bau. So steht er nun zumeist leer oder wird für politisch korrekte Ausstellungen genutzt. Während für Dome reichlich Gelder vorhanden waren, sind das staatliche Gesundheitssystem oder die öffentlichen Verkehrsmittel chronisch unterfinanziert. Auch im Schulsystem kann der Leistungsverfall nur durch beständige Absenkung der Prüfungsstandards verdeckt werden. Bessere Schulen, effizientere staatliche Krankenhäuser, Verbrechensbekämpfung und Antworten auf die multikulturellen Probleme sind die innenpolitischen Herausforderungen für den Premier. Die schweren Verluste für die Labourpartei bei den jüngsten Kommunalwahlen – über 833 Sitze und 28 von 94 Ratsmehrheiten gingen verloren – sind auf eine gewisse Ernüchterung der Wähler zurückzuführen. Aber auch als Reaktion auf Blairs Entscheidung zum Krieg mit Irak. Die Außenpolitik, deren „ethische Dimension“ Blair in Sierra Leone, Kosovo und nun im Mittleren Osten entdeckt hat, wird zum Prüfstein für seine politische Karriere. Teile der Labourpartei sind durch der Auseinandersetzung um den Krieg und Blairs autoritären Führungsstil schwer gekränkt. Der schnelle militärische Sieg hat seine Position zwar wieder gestärkt, doch von einer dauerhaften Befriedung ist der Irak ebenso wie Labour noch weit entfernt. Derek Tuner ist Herausgeber der britischen Zeitschrift „Right Now“.
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