Mit der Vollstreckung der Todesurteile gegen Lorenzo Enrique Copello Castillo, Bárba-ro Leodan Sevilla García und Jorge Luis Martínez Isaac, die am 2. April zusammen mit acht Komplizen eine kubanische Fähre entführt haben, hat Fidel Castro deutliche innenpolitische Zeichen gesetzt. Das drakonische Strafmaß soll Nachahmer abschrecken und seinen kubanischen Untertanen zeigen, daß der „Comandante en Jefe“ die Zügel noch immer fest in der Hand hält. Bewußt nimmt er dabei in Kauf, daß dieses Durchgreifen außenpolitisch für gewaltigen Flurschaden sorgt. In den Augen vieler Kubaner hat Fidel Castro die Ordnung wieder hergestellt. Die Flugzeugentführungen Ende März und Anfang April hatten die Inselbewohner erschüttert. Daß die US-Amerikaner, die am 11. September selbst die Opfer von Terroristen geworden sind, Luftpiraten nicht ausliefern, verstand die Bevölkerung nicht. Und Regierungschef Castro nutzte die Entführungen und den Einmarsch der US-Amerikaner ohne Uno-Mandat in den Irak, um in zahlreichen Fernsehauftritten die Aggressivität des mächtigen Feindes zu beschwören und an den Patriotismus der Kubaner zu appellieren. Ziel der Bush-Regierung sei eine Eingliederung des sozialistischen Kubas in die Vereinigten Staaten, wetterte der 75jährige Partei- und Staatschef. Den Weg dahin würden zurzeit subversive Elemente zu ebnen versuchen, die mit Geldern aus den USA eine fünfte Kolonne bilden wollten. „In Kuba steht noch heute ein historischer Konflikt an, und zwar das Recht und der Kampf der Kubaner für ein unabhängiges Land, und das historische Verlangen und die konkreten Pläne der Annexion Kubas durch die Vereinigten Staaten“, erinnerte auch Außenminister Felipe Pérez Roque auf einer Pressekonferenz in Havanna. Ein Unterschied zwischen friedlichen Bürgerrechtlern sowie bewaffneten und gewaltbereiten Ausreisewilligen wird nicht gemacht. Aus Sicht der kubanischen Regierung sind alle, die sich gegen das seit vier Jahrzehnten herrschende Castro-Regime stellen, „im Dienste des Imperiums handelnde Söldner“. Dissidenten und Kriminelle werden dabei in einen Topf geworfen. Die einen würden versuchen, der Konterrevolution den Weg zu ebnen, die anderen die „illegale Migration zur Destabilisierung des Landes“ nutzen. Die Exil-Kubaner in Miami würden den „Nährboden für eine neue Etappe von gesteigerter Feindseligkeit gegen Kuba“ bieten. Gleichzeitig kämen die USA ihrer Verpflichtung nicht nach, jährlich mindestens 20.000 Kubaner mit Visum einreisen zu lassen. Ein entsprechender Vertrag war 1994 geschlossen worden, nachdem Tausende Kubaner auf Booten, Flößen und Lkw-Reifen die Flucht nach Florida antraten und Castro sie zum Erschrecken der USA gewähren ließ. Seit damals liefert die US-Küstenwache in der Regel kubanische Flüchtlinge aus, die sie auf dem Wasser aufgreift. Nur wer es bis ans Ufer des gelobten Landes schafft, darf bleiben. Die USA hätten bisher lediglich knapp 2,5 Prozent der vereinbarten Visa erteilt, um ausreisewillige Kubaner zu Gewaltakten oder zur riskanten Flucht über das Meer zu provozieren, so der Außenminister. Außerdem würden die USA Flugzeugentführer nicht als Kriminelle behandeln, sondern als Helden empfangen und feiern. Überdies müsse sich die US-Regierung fragen lassen, warum sie bei den Themen Bekämpfung des Drogenhandels, der illegalen Emigration, der Entführung von Flugzeugen und Schiffen, des Menschenschmuggels und im Kampf gegen den Terrorismus eine Zusammenarbeit mit Kuba ablehne. In den Augen des „Máximo líder“ Castro sind auch die drakonischen Haftstrafen gegen insgesamt 75 Oppositionelle gerechtfertigt. Die friedlichen Regimekritiker, die in den Augen der Regierung „Agenten und Söldner der USA“ sind, wurden zusammen zu 1.453 Jahren Haft verurteilt. Aus Sicht des kubanischen Außenministers sind diese Urteile sogar noch zu milde: „Einige dieser Angeklagten haben wegen ihres Verhaltens eine höhere Strafe verdient, als sie erhalten haben“, sagte Felipe Pérez Roque. Da es sich bei den Prozessen um eine innerkubanische Angelegenheit gehandelt habe, seien natürlich weder ausländische Beobachter noch Journalisten zugelassen worden. Nur im Fall der US-Vertretung in Havanna, aus Sicht des Regimes „das Hauptquartier und der Generalstab der internen Subversion in Kuba“, ruderte der Außenminister verzweifelt zurück. Eine Schließung dieser sei „der goldene Traum derjenigen, die die Blockade und die Angriffspolitik gegen Kuba aufrechterhalten“ wollen, sagte der Politiker mit Blick auf die einflußreichen Exilkubaner in Miami. Castro selbst hatte dagegen Anfang März in einer Rede vor der Nationalversammlung gedroht: „Kuba könne auf die US-amerikanische Interessenvertretung in Havanna gut und gern verzichten.“ Der besondere Unmut des Diktators gilt dabei dem Leiter der Ständigen Vertretung, James Cason, weil er Dissidenten unterstützt. Die Flugzeug- und Schiffsentführungen der vergangenen Monate – Havanna spricht von insgesamt sieben seit Oktober – lieferten den Vorwand für ein hartes Durchgreifen. Mit den Todesurteilen und der Hinrichtung von drei der elf Schiffsentführer hat sich die Regierung in Havanna allerdings außenpolitisch ins Abseits gestellt. Menschenrechtsgruppen in aller Welt und selbst die sonst einen sehr zurückhaltenden Kuba-Kurs fahrende konservative spanische Regierung haben Castro als „Tyrann“ bezeichnet. Selbst die einstige SED-Parteizeitung Neues Deutschland sprach erstmals von einem „fatalen Kurswechsel“. Inzwischen drohen alle liberalen Bestrebungen erstickt zu werden. Haben die Bürgerrechtler kaum Rückhalt in der Bevölkerung, so sorgt das harte Vorgehen des Regimes gegen das bisher zugelassene private Unternehmertum unter der Bevölkerung für Unruhe. Speziell die Betreiber von Pensionen und Gaststätten, aber auch private Händler und Bauern werden unter fadenscheinigen Begründungen drangsaliert und vorgeladen. Die Bespitzelung der Bürger hat drastisch zugenommen. Selbst ausländische Touristen spüren die Anwesenheit von ziviler Polizei, die Kontakte zwischen Einheimischen und Ausländern unterbinden oder zumindest sorgfältig registrieren soll. Der Besitz von Computern wurde Privatpersonen verboten. Das Varela-Projekt, ein von etwa 11.000 Kubanern unterschriebener Referendumsvorschlag für demokratische Verfassungsreformen, wurde als „Bestandteil der Subversionsstrategie gegen Kuba“ und als „grobe Manipulierung der Verfassung und der Gesetze“ diskreditiert. Auch die Hoffnungen, die der Besuch von Ex-US-Präsident Jimmy Carter auf eine Entschärfung der Beziehungen zwischen den USA und Kuba geweckt hatte, sind damit zerplatzt. Die Regierung Castro ist reformunfähig. Kurz vor dem 50. Jahrestag des (mißglückten) Sturms auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba, der als Geburtsstunde von Castros Bewegung des 26. Juli gilt, greift das Regime noch einmal zu allen Repressionsmitteln und isoliert sich selbst. Nur wenn’s ums Geld geht, bleibt alles ideologiefrei: Der Euro wird zwar zunehmend akzeptiert, doch der Dollar des Erzfeindes USA bleibt inoffizielle Zweitwährung – und die einfachen Kubaner müssen sich mit wertlosen Pesos abfinden. Foto: Propaganda-Plakat mit Staatschef Castro: „Fataler Kurswechsel“